Brügge sehen… und sterben ? –
so heißt ein Filmdrama mit tragikomischen Grundton, das vor der mittelalterlichen Kulisse der vorweihnachtlichen Stadt Brügge spielt. Ein herrlicher Film für Freunde des schwarzen Humors mit Colin Farrell und Brendan Gleeson aus dem Jahr 2008.
Uns zieht es Ende Juli für ein Wochenende in die belgische Stadt, die sich bis heute einen ganz besonderen Charme bewahrt hat. Der mittelalterliche Stadtkern erhielt deswegen im Jahr 2000 von der UNESCO das Prädikat „Weltkulturerbe“.
Brügge ist Hauptstadt der Provinz Westflandern und entwickelte sich seit dem 13.Jahrhundert durch Fernhandel und Textilindustrie zu einer der wichtigsten Handelsmetropolen Europas. Es gab eine Verbindung mit der Hanse. Im 14.-15. Jahrhundert erfuhr Brügge unter der Herrschaft der Herzoge von Burgund seine Blütezeit und erlangte großen Reichtum. Brügge war damals eine der reichsten Städte Europas. Der Niedergang Brügges als Handelsmetropole war Folge der Versandung des Wasserweges zur Nordsee. Führungsposition und Rechte der Stadt mussten Ende des 15. Jahrhunderts an Antwerpen abgegeben werden. Antwerpen hatte freien Zugang zur Nordsee über die Schelde. Unter spanischer Herrschaft von 1524-1730 kam es im Weiteren zur Verarmung von Brügge.
Die Anfahrt mit dem Auto über Eindhoven, Antwerpen und Gent läuft von der deutschen Grenze an sehr entspannt. Der „Straßenkampf“ mit dem bei uns üblichen Machtgehabe auf der linken Spur macht einfach in Benelux keinen Sinn, denn es drohen empfindliche Strafen. Ich genieße also das Cruising- Tempo mit 130 bzw. 120Km/h in Belgien und entsprechend entspannt erreichen wir nach etwa 3,5 Stunden unser Hotel am westlichen Rand der Brügger Altstadt.
Wir machen uns auf den Weg in die Altstadt und besuchen als erstes das Sint-Janshospitaal. Gegründet wurde das Krankenhaus bereits im 12. Jahrhundert und ist möglicherweise das erste in Europa. Kranke wurden hier bis ins 19. Jahrhundert gepflegt. Der historische Krankensaal mit angrenzender Kapelle wird heute als Museum genutzt, in dem zahlreiche Exponate und Bilder (u.a. Hans Memling 15.Jh) ausgestellt sind. Auch der von Memling illustrierte Reliquienschrein der hl. Ursula aus dem 15 Jh. hat hier den passenden Ort gefunden. Sehr sehenswert ist auch die zugehörige Apotheke.
Mit dem Bau der Onze-Lieve-Vrouwe-Kerk wurde 1225 begonnen. der 115,5m hohe Turm macht die Kirche zum zweithöchsten Backsteingebäude der Welt. Die Kirche beherbergt die berühmte „Madonna mit Kind“ von Michelangelo Buonarotti. Die Skulptur aus Carraramarmor ist eines der wenigen Werke Michelangelos außerhalb von Italien. Ursprünglich für den Siener Dom angefertigt fand die Madonna durch eine Brügger Familie hier ihren Platz.
Karl der Kühne und seine Tochter Maria von Burgund haben in prunkvollen Sarkophagen aus dem 15. Jh. ihre letzte Ruhestätte in der Kirche gefunden. Darunter befinden sich, durch einen Glasboden einsehbar, bemalte Grabgewölbe aus dem 13. Jahrhundert.
Auf dem Weg zum Groeningemuseum queren wir eine Gracht über die kleine Bonifacius-Brücke. Die verschachtelten Backsteinhäuser entlang der Gracht und die Touristenboote lassen ein wenig an Venedig denken. Das Groeningemuseum zeigt als Kunstmuseum Werke altflämischer Meister, das wir nicht zuletzt wegen des Bildes „Das Jüngste Gericht“ von Hieronymus Bosch besuchen.
Wir drehen am Nachmittag noch eine Runde und besuchen die beiden großen Plätze der Stadt. Am Platz „Burg“, auf dem sich die mittelalterliche Burg befand stehen heute bedeutende Gebäude, wie das Stadthuis, der Justizpalast und die Heilig-Blut-Kapelle. Nicht weit davon ist der Grote Markt, der vom 83 m hohen Belfried aus dem 13. Jahrhundert dominiert wird. Der Belfried demonstrierte früher die Macht des selbstbewussten Bürgertums, diente der Brandwache und darf bis heute von keinem anderen Gebäude überragt werden.
Neben hübschen Giebelhäusern ist der Grote Markt an seiner Ostseite flankiert vom neogotischen Provinciaal Hof. An der Nordseite steht ein Denkmal mit den beiden Volkshelden Jan Breydel und Pieter de Coninck, die Brügge im Jahr 1302 erfolgreich in der Schlacht der goldenen Sporen gegen die Franzosen verteidigt haben. Der Grote Markt hatte im Mittelalter noch Anschluss an die Wasserwege Brügges.
Der bewölkte Tag neigt sich dem Ende und es beginnt kräftig zu plästern. Wir haben uns einen Tisch in dem kleinen Restaurant „De Stove“ ganz in der Nähe des Marktplatzes reserviert. Nach einem ausgezeichneten Essen wenden wir uns am Abend noch einmal dem nächtlichen Glanz der Brügger Altstadt zu.
Der Gang durch die Gassen, entlang der Grachten und über die Plätze am Abend hat seinen ganz besonderen Reiz und unterstreicht das mittelalterliche Ambiente der Stadt. Einen fantastischen Blick hat man vom Rosenkranzkai (Rozenhoedkaai), an dem sich historische Häuser nebst Belfried in der breiten Gracht spiegeln. Der Name resultiert aus dem früheren Verkauf von Rosenkränzen an dieser Stelle.
Von der „Burg“ her schallt Live- Musik durch die Gassen. An diesem Wochenende ist auf dem Platz vor dem Stadthuis die Bühne für das Moods- Festival aufgebaut. Der belgische Singer & Songwriter Admiral Freebee spielt mit Band auf und begeistert das Publikum mit starken Songs wie „Let it Shine“- wir genießen eine Weile die tolle Stimmung unter dem farbig illuminierten Stadthuis.
Was wäre Belgien ohne seine Bierlandschaft- Brügges älteste Stadtbrauerei „De Halve Maan“ gibt es seit 1546. Die Starkbierprodukte sind „Brugse Zot“ und der „Straffe Hendrik“- doch Pilstrinker aufgepaßt, der Hendrik ist mit 9 Vol% in der Tat ein straffes Zeug.
Zufrieden vom heutigen Tag suchen wir unser Nachtquartier am Westrand der Altstadt auf.
Tag 2 unseres Kurztrips beginnt sonnig und nach dem Frühstück ziehen wir los. Am König Albert I- Park haben wir Gelegenheit Autos aus längst vergangener Zeit vorbeifahren zu sehen. Es sind europäische und amerikanische Schönheiten mit viel Chrom und üppigen Kotflügeln, die als letzte ihrer Art einen zusätzlichen Nostalgieakzent in dieser schönen Stadt setzen. Stickoxyde gab es früher sicher noch nicht 🙂
Brügge hat wunderschöne Parkanlagen, wie im Süden der Stadt den Minnewaterpark, den wir auf dem Weg zum Beginenhof durchqueren. Der Beginenhof aus der Mitte des 13. Jahrhunderts war im Mittelalter Wohnanlage der Beginen. Beginen waren Frauen und Männer, die sich in Belgien und Flandern seit Anfang des 13. Jahrhunderts in geistlichen Gemeinschaften zusammenschlossen. Heute wird die Brügger Anlage von Benediktinerinnen bewohnt. Über das klassizistische Portal entlässt uns dieser spirituelle Ort zurück in die Altstadt.
Wir laufen zum Gentpoort, einem der erhaltenen Stadttore im Südosten der ehemaligen Stadtmauer. Seit Beginn des 15. Jahrhunderts gaben vier Stadttore den Weg in eines der mächtigsten Handelzentren Europas frei. Vom Dach des mittelalterlichen Bollwerks hat man einen schönen Rundumblick auf Stadt und Land.
Ein weiterer schöner Park mit Pavillon, Teich, Springbrunnen und alten Bäumen ist der Königin Astrid- Park. Durch Altstadtgassen kommen wir noch mal am Rosenkranzkai vorbei. In den Andenkenläden stehen Armeen von Manneken Pis- Figuren.
Ein Geschäft mit Schluchten von Regalen aller erdenklicher Bierspezialitäten Belgiens findet man an der Location „The Beer Wall“. Eine derartig bunte und vielfältige Auswahl findet der deutsche Biergourmet im heimischen Gefilde leider heute nicht mehr. Wirklich toll sind auch die Exponate der belgischen Comic- Helden Tim & Struppi und Lucky Luke in den gleichen Räumlichkeiten.
An der „Burg“ wollen wir uns heute den gotischen Saal in einem der ältesten Rathäuser Belgiens ansehen. Die Ursprünge gehen auf die Jahre 1376-1420 zurück. Die gewölbte Eichenholzdecke des gotischen Saals stammt noch aus dieser Zeit.
Kein Besuch in Brügge ohne den Blick vom Belfried genossen zu haben. Dafür heißt es Treppen (366) steigen, um die Aussichtsterrasse zu erreichen. Das Glockenspiel aus dem 17 Jh. mit 47 Bronzeglocken läutet auch heute noch drei mal pro Woche. Der Rund- und Tiefblick vom Turm ist immer wieder lohnend- zuletzt waren wir 1998 mit unserer damals 1-jährigen Tochter hier oben.
In den Hallen, in denen der Belfried integriert ist, durchstreifen wir eine Ausstellung des belgischen Künstlers Kris Vercruysse. Wir wechseln noch einmal zur Burg und dort wartet noch ein weiteres Highlight auf uns- die Heilig- Blut- Basilika. Es handelt sich um eine Doppelkirche mit einer romanischen Unterkirche (Basiliuskapelle) und der Oberkirche, die der Zerstörungswut französischer Truppen 1790 zum Opfer fiel. Der Wiederaufbau geht auf das 19. Jahrhundert zurück.
Die Heilig- Blut- Basilika beherbergt eine der bedeutendsten Reliquien Europas. es handelt sich um eine Ampulle mit dem Blut Christi, die ihren Weg nach dem zweiten Kreuzzug durch einen Kreuzritter (Dietrich von Elsass) von Jerusalem nach Brügge gefunden haben soll. Seit 1291 wird die Reliquie immer zu Christi- Himmelfahrt bei der Heilig- Blut- Prozession durch die Stadt getragen.
In der Oberkirche kann man einen Blick auf die Ampulle werfen- in einer Schlange werfen die Gläubigen dafür eine Münze in den Opferstock. Das dabei entstehende Geräusch wird elektronisch verstärkt, damit sich auch niemand einen Gratisblick erschleicht. Das kann auch ich vor meinem Schöpfer nicht verantworten und werfe, wie von mir erwartet eine Münze hinein- „Klong“- stelle mich in die Warteschlange und muss schmunzelnd ein wenig an die Ablass- Kultur des Mittelalters denken.
In der romanische Unterkirche mit ihren stämmigen Säulen und ihrer frühmittelalterlichen Schlichtheit steht eine kunstvoll geschnitzte Madonna mit Kind von 1300. In den Museumsräumen der Oberkirche gibt es weitere unglaublich alte Exponate zu sehen.
Das Wetter hat sich immer freundlicher entwickelt und wir lassen den Tag und unseren Wochenendtrip nach Brügge am Grote Markt ausklingen. Wir nehmen noch etwas belgische Kultur mit und nehmen Platz in einer Friterie in den hübschen Giebelhäusern gegenüber des Belfried.
Die tiefstehende Nachmittagssonne lässt das Panorama rund um den Grote Markt in satten Farben erstrahlen. Auch meine Pommes strahlen golden, ich muss an den Comic- Band „Asterix bei den Belgiern“ denken- da fragt die gallische Häuptlingsfrau die frittiererfahrene Belgierin, ob man Kartoffeln eigentlich auch frittieren kann. Die Antwort auf diese Frage hat ihren Platz in der belgischen Ernährungskultur gefunden. In Antwerpen gab es bereits 1842 die älteste Friterie Belgiens.
An der Sint- Salvatorskathedraal vorbei verlassen wir die Altstadt und fahren nach Hause. Wir sind für ein Wochenende in diese wunderbare Stadt eingetaucht und haben viel gesehen- ohne zu sterben.
A. Korbmacher
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