Skiwoche im Val di Sole 2020 –
Im Schatten des Monte Corona
Ja- es gibt ihn tatsächlich, den Monte Corona. Auf meinen Gipfelpanoramen am Ende dieser Tour hat meine Peak-Finder App diesen Gipfel auf meinem Smartphone in der Nähe der Brenta lokalisiert. Corona ist bereits zu Beginn unserer Skiferien in aller Munde, hat in diesem Zusammenhang aber nichts mit dem hier schon länger stehenden Berg oder der bekannten mexikanischen Biermarke zu tun.
Das für die menschliche Gesundheit brisante Corona- Virus hat bereits Anfang 2020 für Schlagzeilen in Asien geführt. Das aus dem Tierreich stammende Virus mit der Bezeichnung SARS-CoV-2 hat sich den Homo Sapiens ausgesucht um mit diesem hochmobilen Wirt eine Weltreise anzutreten. Mit der Fähigkeit sich von Mensch zu Mensch weiterzuverbreiten hat es sich vom Epizentrum der chinesischen Millionenmetropole Wuhan bereits auf allen Kontinenten etabliert. Alle Bemühungen seine Ausbreitung zu stoppen scheiterten an unserer eng vernetzten und globalisierten Welt. Die erste Region in Europa, in der es zu einer rasanten Ausbreitung gekommen ist, ist die Provinz der Lombardei in Italien.
Wir machen uns unsere Entscheidung daher nicht leicht und beobachten die Tagespresse genau. Macht es Sinn unsere Reise ins Trentino zu stornieren ?- Diese Frage beantworte ich im Dialog mit Dorothee zu diesem Zeitpunkt noch mit einem klaren „Nein“. Längst ist das Virus auf allen Kontinenten, in allen Ländern und auch bei uns in Nordrhein- Westfalen angekommen. Und ja!- wir werden uns infizieren, aber nicht in der nächsten Woche, sondern voraussichtlich erst nach unserer Rückkehr, beim Kontakt mit Betroffenen in Praxis und Klinik. Das Trentino ist Ende Februar noch kein ausgewiesenes Risikogebiet. Die Sorge vor einer Ansteckung mit dem Virus bereitet uns daher bei unserer Abreise zunächst nur geringe Sorgen, wie auch die Belastbarkeit des vor einem Jahr operierten und perfekt verheilten Kreuzbandes an Dorothees Knie . Wir werden aber erleben, das die Situation sich bereits eine Woche später auch in Deutschland deutlich zuspitzen, und zu massiven Einschränkungen im öffentlichen Leben führen wird.
Besorgnis erregend ist der Umgang einiger aufgeregter Zeitgenossen mit der beginnenden „Krise“. Die täglichen Meldungen in den Medien drehen sich um Hamsterkäufe in Supermärkten. Ein älterer Mailänder in den abendlichen Nachrichten bemerkt in Bezug auf leere Nudel- Regale: „So war das nicht einmal im Krieg“. Fake- News und Verschwörungstheorien fallen mal wieder auf idealen Nährboden. Der Egoismus und das Ellenbogenverhalten in der Gesellschaft machen die Runde und Deutschland kauft Toilettenpapier – na gut- nach den Hamsterkäufen gibt’s sicher auch mehr zu wischen…..
Unser Ziel, Vermiglio im Val di Sole im Trentino hat bei unserer Anfahrt noch keine gemeldeten Corona Fälle. Für Reisende aus der Lombardei mit seiner Hauptstadt Mailand bestehen allerdings bereits drastische Reise- Reglementierungen. Unsere Freunde und Gastgeber in Vermiglio Sylvana und Walter bestätigen uns zahlreiche Stornierungen von Buchungen aus dem Großraum Mailand, der Hauptstadt der Lombardei.
Wir sind Ende Februar am Freitag bereits gegen Mittag unterwegs und suchen uns eine entspannte Route, die uns teilweise abseits der Autobahnen bis hinter Würzburg führt. Hier machen wir wieder Zwischenstop in Willanzheim bei Kitzingen am Main. Über den Landgasthof mit seiner Lage an der mittelalterlichen Kirchenburg Hüttenheim habe ich in meinem Vorjahres- Bericht „Val die Sole 2019“ bereits geschrieben. Die Wirtsfrau, ehemalige Wuppertalerin freut sich über unseren erneuten Besuch.
Auch am Samstag lassen wir uns Zeit und umfahren München bei schönem Wetter, durchfahren das Inntal und überfahren den Alpenhauptkamm am Brenner. Über Bozen und den Mendelpass passieren wir das Nonstal mit seinen derzeit brach liegenden Apfelplantagen. Vom Mendelpass können wir bereits auf Brenta und Presanella blicken. Am Nachmittag erreichen wir das verschneite Val di Sole. Bereits vor dem Jahreswechsel hat es an der Alpensüdseite ungewöhnlich ergiebige Schneefälle gegeben, während Venedig „Land-Unter“ gemeldet hat. Nach einer rustikalen „Mafia- Torte“ in der Pizzeria „Dei Dossi“ in Vermiglio treffen wir im B&B Magnini auf unsere Freunde Sylvana und Walter- und ja – mit Umarmung.
Wir haben bereits im letzten Sommer das schönste Gästezimmer im Magnini mit eigener Sauna im Badezimmer bestellt. Wir freuen uns wieder hier zu sein. Noch am Abend setzt Schneefall ein und etwas geschafft von der Anfahrt gehen wir direkt auf unser Zimmer. Unsere Gastgeber sind am Abend einer Einladung gefolgt und wir schauen noch in einen alten Bond mit Sean Connery rein- seltsam, wenn der italienisch spricht.
Der Schneefall hält in der Nacht an und in Anbetracht des anstehenden Wetterberichts schlafen wir uns in den Sonntag hinein entspannt aus. Wir lassen uns viel Zeit beim schmackhaften Frühstück, das Sylvana jeden Morgen mit viel Liebe zubereitet. Neben Selbstgebackenem gibt es jeden Morgen einen leckeren Obst- Gemüse- Saft, der jedes Virus in seine Schranken weist. Es gibt viel zu reden, denn immerhin liegt unser letzter Aufenthalt hier bereits 6 Monate zurück.
Die Berge rund um das Val di Sole, die Brenta, Adamello, Presanella, Monte Vioz und der Monte Cevedale sind uns von unseren Wanderungen und Hochtouren recht vertraut geworden. Nun sind wir zum Skilaufen hier, nur das Wetter geht am Sonntag und Montag noch nicht ganz konform mit unserer Vorstellung von einem perfekten Skitag.
Es sind die ersten Schneefälle nach vielen sonnigen Wochen im Val di Sole. Sylvana empfiehlt uns einen Spaziergang direkt vom „Magnini“ im vorderen Ortsteil Cortina auf einen querenden Bergweg, der bis hinunter nach Ossana an der Einmündung des Pejo- Tals führt. Wir gehen lediglich ein Stück bis hinauf zu einer Bank am „Croz de Ciciane“ mit der angegebenen Höhe von 1250m, wo Sylvana gerne ihre Mittagspause verbringt- wir verstehen warum, denn bei gutem Wetter kann man von hier ins Val di Sole bis hinauf zum Passo Tonale blicken.
Nach dem Schwitzen in der Sauna lassen wir unseren ersten Tag beim Abendessen im hinteren Ortsteil Stavel ausklingen. Wir probieren eine neue Agritur mit dem Namen „Malgola“ aus. Auch hier hat man sich darauf besonnen eigene Produkte in der Küche zu verarbeiten, eine Glasscheibe im Boden bietet Stall- Blick auf die Produzenten des herrlichen Ziegenkäse. Die Chefin kommt aus Rumänien, hat selbst vor vielen Jahren auf der Denza- Hütte bei unserem befreundeten Bergführer und Hüttenwirt Mirco Dezulian gearbeitet und kennt auch seinen derzeitigen Koch Valerio gut.
Am Montag wollen wir erneut eine kleine Wanderung auf der talauswärts rechten Seite bis nach Ossana unternehmen. Die Wolken haben die Berge verhangen und werden zum Nachmittag dichter mit erneut einsetzendem Schneefall. Wir suchen uns den Weg durch den Neuschnee bis wir die Burg von Ossana sehen. Castel San Michele steht, urkundlich erstmals 1191 erwähnt strategisch günstig an der Einmündung des Pejo- Tals, an der Handelsstraße über den Tonale- Pass. Wir kaufen etwas in einem Bauernmarkt ein und fahren im Schneetreiben mit dem Bus zurück nach Vermiglio. Auch heute bleibt die Sauna nicht kalt, bevor wir uns am Abend mit Sylvana, Walter, Erika und Mirco zum Abendessen verabredet haben.
Wir haben für Alle ein Schweizer Käsefondue mitgebracht und sind erstaunt, das Sylvana und Walter diese Form der Käsezubereitung eigentlich gar nicht kennen. Zusammen mit eingelegten Gemüsen vom Bauernmarkt schmeckt es aber allen gut und auch der Inferno Riserva vom Weingut Nera aus dem Valtellina ist eine Hausnummer. Sylvana hat es sich nicht nehmen lassen ein Hirschkalbs- Filet zu organisieren und zuzubereiten, das als Fleisch- Zugabe zum Fondue ebenfalls von allen gern genommen wird. Es ist ein geselliger Abend und per Bildschirm- Telefonie gibt es ein großes Hallo, als auch Frank kurz reinschaut. Mirco hat eine Fuß- Operation gut überstanden und ist leider bereits für die ganze Woche als Touren- Führer gebucht- eine gemeinsame Skitour mit ihm habe ich jedenfalls auf meiner Agenda.
Dienstag fahren wir für unseren ersten Skitag hinauf nach Marilleva 1400. Von hier bringt uns die Seilbahn auf 2179m auf den Monte Vigo. Über Madonna di Campiglio im Val Rendena hinweg blicken wir auf die Dolomiti di Brenta. Einige Male war ich auf den Klettersteigen entlang der imposanten Wände der Brenta unterwegs. Wir nutzen den heute immer noch bedeckten Tag, um mich an meine neuen Ski und Dorothee an ihr neu verankertes Kreuzband zu gewöhnen. Das Abendessen nehmen wir im Hotel Baita Velon im hinteren Ortsteil Stavel ein, während es draußen wieder schneit.
Am Mittwoch setzt sich die Sonne mehr und mehr durch und verheißt einen großartigen Skitag. Wir wollen heute erneut das Skigebiet von Marilleva, diesmal bei sonnigem Wetter befahren. Vom Monte Vigo fahren wir hinunter zum Campo Carlo Magno oberhalb von Madonna di Campiglio. Von hier bringt uns die Kabinenbahn hinauf zum Grosté- Pass auf 2444m. Nach Nordosten präsentiert sich der Alpenhauptkamm hinter dem Nonstal und Meran. Nach Nordwesten sind es vertraute Gipfel, wie Adamello, Presanella, Monte Vioz, Cevedale und Zufallspitze. Um einen möglichst guten Blick auf die Brenta zu haben wechseln wir auf den 2101m hohen Aussichtsberg Monte Spinale.
Die schneebedeckte Brenta hat sich bei dem heutigen Wetter perfekt in Szene gesetzt. Inmitten dieses Panoramas thront der zweithöchste Gipfel, der Cima Tosa mit seinem gewaltigen Vorbau dem Crozzon di Brenta. Mit 3151m ist der Cima Brenta die höchste Erhebung. Eine Weile lassen wir diese Kulisse auf uns wirken, um uns am Nachmittag vom Grosté- Pass aus wieder an die Überschreitung ins Val di Sole zu machen. Ein toller Skitag ganz nach unserem „Gusto“, von dem wir am Abend Sylvana und Walter im Ristorante „Vecchia Macina“ in Pellizano beim gemeinsamen Abendessen begeistert berichten. Auf der Rückfahrt begegnen wir einer Herde Mufflons am Straßenrand.
Am Donnerstag gibt es noch einmal einen entspannten Tag, den wir am Vormittag nutzen, um in Male, Ossana und Pellizano Spezialitäten für zu Hause einzukaufen. Am Mittag ziehen Wolken auf, aus denen schon bald die ersten Schneeflocken fallen. Was gibt es da schöneres als nach zwei Saunagängen einfach mal in einen tiefen Schlaf zu fallen. Heute hat uns Sylvana zum Abendessen eingeladen. Es gibt köstliche Zucchini- Schiffchen, gefüllt mit Thunfisch.
Der Freitag, unser letzter Tag meint es wettertechnisch noch einmal gut mit uns. Wir fahren bei Sonnenschein die Passstraße am Ex- Forte Strino vorbei hinauf zum Passo Tonale auf 1883m. Wir nehmen die Kabinenbahn auf den 3000m hohen Passo Presena. Nach Süden öffnen sich von hier die beeindruckenden Gletscherflächen aus der die 3196 Meter hohe Lobbia Alta aufragt, an deren Nordflanke sich die Rifugio ai Caduti dell’Adamello befindet. Dort drüben verlief die Front der italienischen Seite im 1. Weltkrieg. Mit Mirco haben wir 2013 auf dem Grat zwischen dem Passo Croce und der Punta Giovanni Paolo II die legendäre tonnenschwere Kanone besucht, die seit dem ersten Weltkrieg dort oben steht. Der Gipfel des Monte Adamello 3539m ist leider durch das Corno Bianco annähernd verdeckt.
Die erste Abfahrt auf dem frisch gefallenen Schnee ist einfach nur traumhaft. Es sind kaum Leute auf der Piste unterwegs, so das wir zu einer zweiten Bergfahrt von der Mittelstation am Passo Paradiso 2600m einchecken. Wir wollen heute das Skigebiet auch noch auf den Nordhängen des Passo Tonale befahren und verlassen am Mittag das schöne Gebiet am Presenagletscher. Dorothee möchte sich die schwarze Piste unterhalb des Passo Paradiso ersparen und schwebt talwärts, während ich auf der steilen Piste mit meinen neuen Carvern voll auf meine Kosten komme.
Hier wo wir heute unserem Freizeitvergnügen nachkommen tobte in den Jahren zwischen 1914-1918 der weiße Krieg. Am Passo Paradiso hatten sich die Kaiserjäger verschanzt, wo noch heute die in den Berg getriebenen Felsengalerien zu erkennen sind. Vor 2 Jahren haben wir die zum Museum ausgebaute Gallerie besucht.
Am Nachmittag kommen erste Wolken auf und von den Höhen nördlich des Tonale- Passes, wie vom 2557m hohen Passo Contrabbandieri bietet sich noch einmal ein traumhafter Blick auf Presanella, Cima Presena und den gegenüberliegenden Passo Paradiso. Dieser Tag hat unserer Woche im Val di Sole noch einmal die Krone aufgesetzt. Wir haben unsere Freunde in dieser einzigartigen Gegend wiedergetroffen und das Val di Sole erstmals im Winter besucht. Ganz Italien wird erst bei unserer Abreise als Risikogebiet für die eskalierende Corona- Pandemie deklariert. Die italienische Regierung hat bereits in Regionen der Lombardei drastische Maßnahmen zur Eindämmung des Virus beschlossen. Vorsorglich haben wir Menschenansammlungen und auch die große Kabinenbahn hinauf nach Pejo 3000 vermieden.
Nach dem Frühstück winken uns Sylvana und Walter noch zum Abschied und wir verlassen das Val di Sole bei herrlichem Wetter wieder durch die Apfelplantagen des Val di Non mit den schneegekrönten Zinnen der Brenta im Rückspiegel. Auch die Presanella gibt sich bei wolkenlosem Himmel noch einmal die Ehre.
Die Grenzpassage am Brenner läuft noch ohne eingehenderen Kontrollen. Das wird sich aber bald ändern, denn nach Italien werden in Europa in den nächsten Wochen Ausgangsreglementierungen und Reiseverbote in allen Ländern ausgesprochen um die unkontrollierte Ausbreitung des Corona- Virus einzudämmen. Wir werden in den nächsten 2 Wochen erleben was das auch für uns bedeutet. Drei Wochen später Ende März sind weltweit mehr als eine halbe Million Menschen infiziert mit insgesamt 25000 Corona- Toten- 10000 gemeldete Corona- Tote allein in Italien. Dramatische Szenarien melden die Medien aus Bergamo und aus Regionen in Frankreich und Spanien.
Während auf Italiens überfüllten Intensivstationen Patienten an Beatmungsmaschinen ums Überleben kämpfen macht der „beste Präsident“ der Welt wie so oft seine eigenen Fakten und spielt Zahlen herunter, spricht lapidar von einer Grippe. Er lässt dabei völlig außer Acht, das ein großer Teil seiner Wähler weder eine Krankenversicherung noch das nötige Kleingeld für eine Testung hat.
Wir in unserem alten versifften Europa tragen seiner Meinung auch die Schuld, das die Pandemie Amerika erreicht- Donald Trump präsentiert stolz sein eigenes negatives Testergebnis, das großartigste Testergebnis – ever. Das Drehbuch für eine trashige Hollywood- (Tragik-) Komödie wird derzeit geschrieben- in Real-Time- und vor Teil II werden wir möglicherweise nicht verschont bleiben. Ende März verheißen die eskalierenden Neuinfektionen in den USA nichts Gutes. Kühlwagen werden vor den großen Krankenhäusern New Yorks in Stellung gebracht um Kapazitäten für die zu erwartenden Verstorbenen zu schaffen. Amerika kauft die Waffengeschäfte leer, was mir persönlich noch mehr Angst macht als das Horten von Scheißhauspapier. Ja !- ich habe Angst vor Be“Scheuer“ten Politikern und ebensolchen Anführern dieses Planeten die Konsequenz-los dem Wahnsinn fette Beute liefern.
Wir legen auf der Heimfahrt noch eine Zwischenübernachtung in Rothenburg ob der Tauber ein. Wir waren hier noch nicht und haben in den historischen Mauern dieser mittelalterlichen Stadt ein Hotelzimmer festgemacht. Das alte Gebäude liegt direkt am Markusturm, einem der Stadttore, auf dem sich ein nistendes Storchenpaar eingefunden hat. Bei letztem Tageslicht drehen wir noch eine Runde über den Wehrgang der Stadtmauer. Nicht ganz ungefährlich, denn in Rothenburg sind zahlreiche Chinesische Touristen unterwegs- und manche husten sogar 😉
Vom Rödertor, dem östlichen Stadttor aus dem 14. Jahrhundert laufen wir den Wehrgang der historischen Stadtmauer entlang bis zur Spitalbastei aus dem 16.-17. Jahrhundert am südlichen Ende der Stadtbefestigung. Auch diesen mächtigsten Teil der Wehranlage können wir noch bei wenig Tageslicht erkunden, auf den hölzernen Zwischenböden stehen Kanonen. Die untergehende Sonne wirft letzte Sonnenstrahlen durch die Geschützöffnungen in den dunklen Innenraum.
An der Reichsstadthalle (Zehntscheune von 1699) vorbei laufen wir zurück zum Hotel. Nach dem Abendessen folgen wir einer Empfehlung der Rezeption an einer Abendführung durch das historische Rothenburg teilzunehmen. Bereits recht bettschwer raffen wir uns zu diesem Rundgang auf. Ein Nachtwächter im historischen Gewand öffnet uns bei einer lebendigen Zeitreise rund um das Rathaus am Marktplatz der Stadt die Augen für das Leben im mittelalterlichen Rothenburg. Wir wissen nach dem kurzweiligen Rundgang auch was es bedeutet Torschlusspanik zu haben, zu lügen das sich die Balken biegen und Trübsal zu blasen.
Eine historisch nicht überlieferte Geschichte aus der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs ist als Meistertrunk- Legende Teil der Stadtgeschichte geworden. Am 30. Oktober 1631 wurde Rothenburg erobert. Der katholische General Tilly sollte der Legende nach durch einen Willkommenstrunk gnädig gestimmt werden. Dieser 3,25 Liter fassende prunkvolle Becher inspirierte den Feldherrn zu der Ansage, dass er die Stadt verschonen würde wenn jemand den Becher in einem Zuge leeren würde. Die Aufgabe übernahm erfolgreich Altbürgermeister Georg Nusch. Zu jeder vollen Stunde öffnen sich die Fenster der Ratsherrenstube gegenüber des Rathauses und gewähren einen Blick auf den becherleerenden Nusch und dem beeindruckten Tilly.
Am Sonntagmorgen besuchen wir noch den westlich gelegenen Burgfelsen, auf dem sich einst die staufische Reichsburg befand. Der Bau der Burg geht auf das Jahr 1142 unter der Herrschaft Konrad III. zurück. Als einziges Gebäude hat die Blasiuskapelle die Zeit überstanden und wurde nach einem Erdbeben im Jahr 1356 wieder aufgebaut. Ein Gedenkstein vor der Kapelle erinnert an das „Rintfleisch- Pogrom“ aus dem Jahr 1298, bei dem fast die gesamte jüdische Bevölkerung Rothenburgs ausgelöscht wurde. Der verarmte Röttinger Scharfrichter und Metzger Rintfleisch nahm einen angeblichen Hostienfrevel zum Anlass in ganz Franken Juden zu ermorden. 450 jüdische Kinder und Erwachsene suchten Zuflucht auf der Burg und wurden von ihren christlichen Nachtbarn erschlagen und verbrannt. Mit ein paar gut gestreuten Gerüchten, heute im postfaktischen Zeitalter „Fake-News“ genannt und einer wütenden Flachdenker- Kohorte (Follower) wurde in der Geschichte schon vieles in Schutt und Asche gelegt. Interessengruppen im World Wide Web gibt es reichlich- wehret den Anfängen!
Erwähnt sei noch die 1258 im frühgotischen Stil erbaute Kirche der Stadt, die gleich mehrere mittelalterliche Altäre beherbergt. Der berühmteste ist der geschnitzte Heilig- Blutaltar von Tilman Riemenschneider aus dem Jahr 1501-1504 mit einer entsprechenden Reliquie. Nicht weniger sehenswert ist das Rathaus der Stadt mit einem gotischen Teil von 1250-1400 und dem vorderen Renaissancebau. Wir kämpfen uns noch auf den 60 Meter hohen Rathausturm und überblicken Rothenburg von hier noch einmal mit 360 Grad Rundblick.
Rothenburg ist eine Stadt in der jeder Balken eine lange Geschichte in sich trägt. In der Kürze der Zeit konnten wir uns leider nur einen Überblick verschaffen- diese Stadt ist selbst eine Reise wert.
Eine schöne Woche hat in Rothenburg einen gelungenen Abschluss gefunden. Die Lage in Europa spitzt sich nach unserer Heimfahrt weiter zu. Beim Schreiben der letzten Zeilen dieses Berichts erfahre ich, das unsere für Mai geplante Wanderreise in die Türkei storniert wurde. Die Corona- Pandemie wird uns in diesem Jahr noch lange beschäftigen. Die Bedeutung für die Menschheit ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht absehbar. Der Welt- Wirtschaft wird eine schwere Rezession prophezeit. Die Reisefreiheit im Schengen- Raum ist erstmals seit ihrer Einführung massiv eingeschränkt, Versammlungsverbote, Kontaktbeschränkungen und geschlossene Grenzen – Shut Down auf ganzer Linie im Kampf gegen den winzigen und unsichtbaren Feind Corona.
A. Korbmacher
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