Normandie-Cotentin 2025
Am Freitagmittag des vorletzten August- Wochenendes machen wir uns auf den Weg in Richtung Frankreich. Nach unserer Radtour im Mai entlang der Maas im Lorraine ist es nun die westliche Normandie, wo wir im Norden der Halbinsel Contentin ein Quartier auf dem Land bei Briquebec festgemacht haben. In die über 800 Kilometer lange Anfahrt schieben wir eine Zwischenübernachtung in Bapaume im Hotel de la Paix ein. Bapaume liegt an der Somme und war im WWI ein umkämpfter Ort in der Zone Rouge der Schlacht an der Somme. Nach dem Abendessen besuchen wir den hiesigen australischen Soldatenfriedhof. Auf dem kleinen Friedhof finden sich auch deutsche Gräber. Direkt auf der anderen Straßenseite unseres Hotels erinnert ein Denkmal an den Rassenwahn der deutschen Besatzer, dem der Bürgermeisters Abel Guidet im November 1944 zum Opfer fiel.

Auf der Weiterfahrt am Samstagmorgen säumen Soldatenfriedhöfe und Gedenkstätten der Schlachtfelder des ersten Weltkriegs unseren Weg. Über Amiens und Rouen gelangen wir an die Seine, die hier in den letzten Mäandern vor ihrer Mündung in Le Havre von weißen Kalksteinklippen flankiert ist. In einem solchen Mäander liegt Jumiège, wo der heilige Philibert 674 eine Benediktinerabtei auf einer von Chlodwig II und Balthild geschenkten königlichen Domäne gründete. 841 von den Wikingern zerstört folgten Wiederaufbau und erneute Zerstörung, um Baumaterial für die Festungen Rouens bereitzustellen.

Die heutige Ruine gibt den Zustand des Neubaus der Abtei von 1052 wieder. Die Einweihung fand am 1.Juli 1067 durch den Erzbischof von Rouen unter Anwesenheit von Wilhelm dem Eroberer statt. Wir durchstöbern dieses Meisterwerk der Romanik bei herrlichem Wetter und setzen dann mit der Fähre an das linke Seine- Ufer über. Die Autobahn bringt uns mit „Flux-Libre“ über Caen und Bayeux hinauf ins Cotentin. Mit dem neuen System „Flux-Libre“ entfallen die Mautstationen an den ersten französischen Autobahnen, bezahlt oder abgebucht wird dabei nur noch über eine automatische Nummernschilderkennung- das klappt erstaunlich gut.

Die Normandie hat seit dem Mittelalter eine bewegte und kriegerische Geschichte vorzuweisen. Im 9. Jahrhundert überfielen die Nordmänner die Küsten Europas. Im Jahr 911 schloss der fränkische König Karl III. mit dem Wikingerführer Rollo einen Vertag, bei dem er Gebiete um die Seine- Mündung an die Nordmänner= Normannen abtrat. Rollo musste sich und seine Anhänger allerdings taufen lassen. Die Nachfahren Rollos wurden dann die Herzöge der Normandie. Einer der Herzöge war Wilhelm, der nach der berühmten Schlacht von Hastings im Jahr 1066 England besiegte. Dafür erhielt er den Beinahmen „The Conqueror“, wurde König von England und prägte als Normanne nicht nur die Normandie sondern letztlich auch die Geschichte Englands. Erst am Ende des hundertjährigen Krieges wurde die Normandie 1204 wieder an Frankreich angeschlossen.

Unsere Ferienwohnung liegt auf einem Landgut zwischen Briquebec-en-Contentin und Valognes und gehört zu Rocheville. Dorothees Schwester Stefanie ist bereits seit einer Woche in der östlichen Normandie unterwegs gewesen und hat nun ganz in der Nähe ihr Quartier in L‘Étang-Bertrang bezogen. Wir verabreden uns und gehen erst einmal gemeinsam einkaufen um den Bedarf der kommenden Woche abzudecken. Am Sonntag fahren wir zusammen nach Bricquebec, wo wir uns zunächst die Burganlage ansehen. Die ersten Hinweise auf eine einfache Befestigung als Holzkonstruktion gehen hier auf das Jahr 942 zurück. Die heutige Burg mit Donjon, Uhrenturm, Mauer- und Wallanlagen wurde im 14. Jahrhundert angelegt.

Die Ruine einer romanischen Kirche befindet sich im Ort am Friedhof. Auf unserem weiteren Weg nach Saint-Saveur-le-Viconte halten wir an einem der vielen Memorials im Zusammenhang mit den Ereignissen der alliierten Landung in der Normandie an. Es ist Camp Patton in Néhou, wo General George S. Patton sein Hauptquartier an einem Apfel-Hain errichtete, um von hier die Durchbruchsschlacht in Richtung Süden nach Avranches zu koordinieren.

Sehr sehenswert sind die Burg von Saint-Sauveur-le-Viconte und die Kirche Marie-Madeleine der Benediktinerabtei aus dem 11. Jahrhundert. Hier wirkte im 18. Jahrhundert die Ordensschwester Marie- Madeleine Postel, die posthum heiliggesprochen wurde. Der Innenraum mit seiner normannischen Architektur und den für die Epoche typischen Darstellungen an den Kapitellen ist ein Sprung um 1000 Jahre zurück auf der Zeitachse. Wir fahren nun westwärts über die Hochheide des Mont de Besneville- Aussichtsberg. Ein Aussichtspunkt mit Orientierungstisch befindet sich auf einer der drei ehemaligen Windmühlen. Weit reicht der Rundumblick von hier in die Ebene und auf die Küste Richtung Westen.

In Barneville-Carteret treffen wir mit der Église Saint Germain de Barneville auf eine weitere romanische Kirche aus der Zeit der normannischen Herrschaft im 12. Jh. Am Cap de Carteret steigen wir auf den Umlauf des Leuchtturms hoch über Düne und Meer. Wir blicken hier hinüber auf Jersey und die anderen vorgelagerte Inseln im Ärmelkanal. Tief unter uns liegt der bei Ebbe sehr breite Sandstrand, hinter dem sich die Ruine einer Kirche aus dem 5. Jh. befindet.

Am Hafen haben wir im Hotel La Marine, im Restaurant Marnage einen Tisch reserviert. Wir sind recht früh und nehmen gerne einen Aperitif auf der Terrasse. Absolut faszinierend ist das Naturschauspiel der einsetzenden Flut in der weitläufigen Hafenbucht. Der Pegelstand von 1,80m steigt dabei rapide an auf zuletzt 6,10m. Mit der auflaufenden Flut können nun die Boote den Hafen verlassen, die vorher auf dem Grund des Hafenbeckens lagen. Wir genießen ein tolles Abendessen in dem durchaus ambitionierten Restaurant und lassen uns gute Sachen vom Land und aus dem Meer auf unserer Zunge zergehen.

Am Montag heißt unser Ziel zunächst Sainte-Mère-Église. An der romanischen Kirche im Ort baumelt ein Fallschirmspringer vom Kirchturm. Die Installation erinnert an die Geschichte, bei der ein deutscher Offizier den Befehl gegeben haben soll den hilflosen US-Soldaten an diesem heiligen Ort nicht zu erschießen. In der Nacht vor dem Sturm auf die Küste der Normandie sprangen 14-15-Tausend Fallschirmspringer der 82. und 101. US- Luftlandedivision hinter den feindlichen Linien im Hinterland der Landungsstrände Utah- und Omaha- Beach ab. Absetzfehler haben die Airborne- Soldaten weit verstreut. Das Airborne- Museum im Ort, das speziell diese Luftlandeoperation behandelt heben wir uns für später auf. Den Befreiern von Sainte-Mère-Église ist ein Motiv-Fenster in der Kirche gewidmet.

Wir fahren heute weiter zum Utah- Beach und kommen am Easy-Company Memorial und Major Richard Winters- Memorial vorbei. Die Namen sind mir aus der herausragenden 10-teiligen, prämierten Filmproduktion „Band of Brothers“ bekannt, die Tom Hanks und Stephen Spielberg 2001 erstellten. Die Serie verfolgt den Vormarsch der Easy- Company bis zum Kriegsende mit der Kapitulation Deutschlands am 8.05.1945.

Beim Besuch des Utah- Beach Museums treffen wir neben zahlreichen Exponaten auch wieder auf Richard „Dick“ Winters, der seine Easy- Company des 2.Batallions des 506.US- Fallschirmspringerregiments der 101. US-Luftlandedivision quer durch Europa an den Rhein führt. An den traumhaften Sandstränden erinnern nur noch die Bunkerreste, wie die am Mottet des Temples nördlich von Utah- Beach an die Ereignisse des D-Day am 6. Juni 1944, als um 05:30h mit dem Feuer der Schiffsartellerie die Apokalypse losbrach.

Wir fahren an der Ostküste des Cotentin nach Norden und finden mit der auf einer Anhöhe bei Crasville gelegenen Église de Grenneville einen schönen Ausblick auf die Île Tatihou und den Tour Vauban auf der vorgelagerten Halbinsel bei Saint-Vaast-la-Hogue. An einem Grabstein entdeckt Dorothee eine imposante Wespenspinne. Trotz ihrer gelbschwarzen Warnfarbe geht von der Spinne keine Gefahr aus. An der Nordostspitze erreichen wir den Küstenort Barfleur, der sich mit dem Prädikat „Plus beaux villages de France“ als eines der schönsten Dörfer Frankreichs rühmen kann. Die Kirche Sainte Marie- Madeleine beherbergt eine Hand-Reliquie der Heiligen, die wir bereits in Saint-Saveur-le-Viconte kennengelernt haben. An der Küste vor der Kirche verweilen wir noch etwas in der Sonne und beobachten die mit Kescher und Korb bewaffnete Seafood- Jäger und Sammler.

Der letzte Punkt, den wir heute noch anfahren ist der nordöstliche Zipfel bei Gatteville-le-Phare mit dem gleichnamigen, vorgelagerten Leuchtturm. Wir kaufen etwas Fisch ein, den wir uns auf dem Holzkohlegrill an unserer Ferienwohnung zubereiten, wobei wir uns vorher ein paar selbstgeöffnete Austern genehmigen.

Am Dienstag fahren wir zeitig nach Bayeux. Hier wollen wir uns ein einzigartiges Zeugnis aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts anschauen. Es ist eine Stickarbeit auf einem 52 Zentimeter breiten Leinentuch, die auf einer Länge von über 68 Metern in 58 Einzelszenen die Geschichte der Eroberung Englands erzählt. Von einem Audioguide lassen wir uns als Teil einer dichten Schlange von Besuchern die Szenen genauer erläutern. Neben den Machtkämpfen um den englischen Thron sind die liebevollen Detaildarstellungen auf dem Bilderreigen ein großartiges und einzigartiges Zeugnis des Hochmittelalters.

Hauptfiguren sind Harald Godwinson- Earl of Wessex, der englische König Edward und der Normannenherzog Wilhelm. Waffen, Rüstungen und Schiffe sind detailliert dargestellt, sogar das Naturschauspiel des Haley’schen Kometen findet seinen Platz in dem Bilderreigen. Die Geschichte endet mit der Schlacht bei Hastings am 14. Oktober 1066. Es fehlt allerdings ein Stück des Teppichs mit den Schlussszenen. Das Fotografieren ist leider nicht erlaubt, zum Rekapitulieren des Handlungsstrangs ist der gesamte Teppich aber als gut aufgelöstes Fotodokument bei Wikipedia einzusehen. Eine prima Idee des Museums ist es, die Szenen des Teppichs mit Miniaturfiguren zu präsentieren. Zukünftig sollen dann alle Szenen des Teppichs auch in dieser plastischen Version zu sehen sein. Eine Stickvorlage für ein Wikingerschiff erwerben wir auf dem Weg zur Kathedrale in einem Handarbeitsgeschäft in Bayeux.

Die Kathedrale Nôtre Dame de Bayeux steht auf dem Boden, auf dem das ehemalige römische Augustodurum vermutet wird. Ein karolingischer Vorgängerbau wurde 891 von den Normannen zerstört. Die Kathedrale wurde vermutlich erst nach der Einsetzung Rollos, als erstem Herzog der Normandie im Jahr 911 erbaut. Im Jahr 1047 wurde die Kathedrale bei einem Großbrand zerstört, die vorromanische Krypta aus dieser Zeit blieb erhalten. Die Weihe nach dem Wiederaufbau der Kathedrale fand 1077 durch Bischof Udo von Bayeux, einem Halbbruder Wilhelms statt. Gleichzeitig wurde der berühmte Teppich von Bayeux fertiggestellt, der hier bis 1793 verwahrt und jährlich zur Erinnerung an die Unterwerfung Englands ausgestellt wurde. Die Kathedrale wurde ab 1180 zunehmend gotisiert und obwohl ihr in kriegerischen Zeiten immer wieder zugesetzt wurde blieb Bayeux im Gegensatz zu anderen Städten 1944 ohne Bombardement.

An der Église Saint-Loup (12.Jh.) in Saint-Loup-Hors, einem Vorort von Bayeux schauen wir kurz rein, bevor wir uns an den zweiten US- Landungsstrand Omaha- Beach zwischen Isigny-sur-Mer und Bayeux begeben. Hier haben wir einen Mittagstisch im „L’Omaha“ bestellt. Wir drehen nach dem Essen eine Runde entlang der Memorials und machen uns dann auf den Weg zum nahe gelegenen amerikanischen Soldatenfriedhof in Colleville-sur-Mer.

Mit der Operation Overlord begann am 6.Juni 1944 mit dem D-Day die größte Militäroperation der Kriegsgeschichte. 150000 alliierte Soldaten, landeten mit 7000 Schiffen, 11000 Flugzeugen und 23000 Fallschirmen an der Küste der Normandie. Allein am D-Day gab es auf Seiten der Alliierten 10000 Verluste, davon 4400 Gefallene. Auf deutscher Seite fanden an diesem Tag bis zu 9000 Soldaten den Tod. Bis zum Ende der Operation Overlord im August 1944 starben 37000 alliierte und bis zu 100000 deutsche Soldaten. Die Zahl der Verwundeten und Vermissten bei den Alliierten summierte sich auf 170000 und bei den Deutschen auf bis zu 140000. Man geht ferner von etwa 20000 toten französischen Zivilisten aus. Je nach Quelle variieren die angegebenen Zahlen.

An den Landungsstränden Utah und Omaha agierten die Amerikaner. Im Hinterland dieser Abschnitte wurden die 13348 Fallschirmspringer der 82. und 101. US-Luftlandedivision abgesetzt, dazu kamen 4400 Soldaten in Lastenseglern. Das Marschland hinter den Dünen wurde von den Deutschen geflutet, wobei nur wenige trockene Verbindungswege von der Küste ins Hinterland verblieben. Auf dem amerikanischen Friedhof in Colleville-sur-Mer haben 9386 US- Soldaten ihre letzte Ruhe gefunden. Ein Mahnmal erinnert auch an 1557 Vermisste der US- Armee. Scheinbar nicht endende Reihen von weißen Kreuzen und auch Davidsternen auf gepflegtem Grün liegen auf einer Anhöhe, von der der Blick bis zum Meer reicht. Beim zweimal täglichen feierlichen Fahnenappell verstummen alle Anwesenden und gedenken der jungen Männer, die hier für die Freiheit Europas den höchsten Preis gezahlt haben.

Waren die Toten durch Kriegseinwirkung im ersten Weltkrieg auf 17 Millionen Menschen beziffert, waren es im zweiten Weltkrieg weit über 50 Millionen, laut anderer Schätzungen auch bis zu 80 Mio. In einem 3. globalen Konflikt hätte die Menschheit ihr Existenzrecht auf Planet Erde wohl endgültig verzockt. Seine Meinung hat Albert Einstein im Zusammenhang mit der Erfindung von Nuklearwaffen in diesem Zitat kund getan:
„Ich weiß nicht, mit welchen Waffen der Dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber der Vierte Weltkrieg wird mit Stöcken und Steinen ausgetragen werden.“

Mit Friedhöfen unvorstellbaren Ausmaßes befänden sich die Überlebenden in der Steinzeit eines unbewohnbaren Planeten. Ich bin in einem friedlichen und seit vielen Jahren zunehmend geeinten Europa groß geworden. Erzfeinde haben zusammen gefunden, Grenzen sind keine Barrieren mehr. Ich habe meinen Wehrdienst in den 80ern am Ende des letzten kalten Kriegs abgeleistet. Es war ein gutes Gefühl, aber wohl doch ein Trugschluss, dass wir mit Diplomatie und Völkerverständigung auf unser Militär verzichten können. Das Gift eines aufkeimenden Nationalismus breitet sich in den Parlamenten Europas und der Welt rasant aus. Mit einer „Wir zuerst- Mentalität“ werden wir die Herausforderungen, vor denen die Menschheit zunehmend steht nicht meistern. Der neue kalte Krieg zwischen Ost und West verhärtet sich seit dem Beginn des Ukrainekriegs im Februar 2022 in beängstigender Weise, eine diplomatische Lösung dieses sinnlose Töten zu beenden ist nicht in Sicht.

Ein großformatiges Foto vor der Kirche von Colleville-sur-Mer zeigt US-Soldaten im Jahr 1944 vor der Ruine des Gotteshauses. Amerika hat uns damals vom Nationalsozialismus befreit und wurde als Befreier zu unserem „Big Brother“. Wir werden seit einigen Jahren von unserem transatlantischen Verbündeten immer wieder auf die Probe gestellt, durch die täglichen autokratischen Angriffe auf die älteste Demokratie der Welt. Mit dem Slogan „MAGA- Make America Great Again“ und der Aufkündigung internationaler Abkommen und Absprachen hat Europas Verhältnis zu seinem „Großen Bruder“ bereits erste Risse und es stellt sich zunehmend die Frage der Verlässlichkeit.

Wir unternehmen eine kleine Rundwanderung an der Batterie de Longues, einer deutschen Geschützbatterie des Atlantik-Walls hinter der Küste vor Bayeux. Aus den 4 Bunkern ragen die Rohre der 15cm-Schiffsgeschütze, die mit 6 Schuss pro Minute Ziele in bis zu 19,5 Kilometern erreichen konnten. Heute sind all diese Lost-Places die stummen Zeugen eines „tausendjährigen Reiches“, das gerade mal zwölf Jahre alt wurde. Nach Osten blicken wir auf die Klippen der Steilküste, vor der die riesigen Betonkästen (Phoenix-Caissons) liegen, mit denen die Alliierten sogenannte Mulberry-Häfen für den Nachschub nach der Landung in der Normandie errichteten. Auf dem Weg zum Parkplatz kommen wir am ehemaligen B11-Airfield der Royal-Airforce vorbei, auf dem vom 21.Juni bis 4. September 1944 englische Spitfires stationiert waren. Heute sieht man hier nur noch Ackerland.

Wir fahren noch etwas einkaufen und dann zurück zu unserer Ferienwohnung. Ein Salat, ein paar Austern und ein Gläschen Champagner, es braucht nicht viel zum Glücklichsein. Keinesfalls fehlen dürfen die vier AOP- Käse der Normandie, etwas Camembert, Livarot, Pont l’Évèque und der Neufchâtel und dazu frisches Baguette.

Am Mittwoch befahren wir den Nordwestlichen Zipfel des Contentin von Cherbourg aus über die Route des Caps. Am Landemer- Aussichtspunkt haben wir einen tollen Blick auf die Nordküste des Contentin, die den französischen Maler Jean-Francois Millet (1814-1875) zu einigen seiner Werke inspiriert hat. Geboren in Gréville-Hagues wurde er zu einem führenden Künstler der Schule von Barbizon. Dem Denkmal des Künstlers begegnen wir auf der Weitefahrt in seinem Geburtsort.

Auf der Route des Caps halten wir am hübschen Fischerhafen Port Racine und fahren bis an die Pointe des Groins an der nördlichsten Küste des Contentin. Wir beobachten die kleinen Strandläufer, die in der auflaufenden Brandung nach Futter suchen. Das Schauspiel der sich brechenden Wellen hat seine ganz eigene Faszination. Ein massiger schwarz-gelber Turm warnt die Schifffahrt gebührenden Abstand von den Klippen und Untiefen vor der Küste einzuhalten. Etwas weiter westlich befinden wir uns dann am Cap de la Hague. Wir parken an einem militärischen Gebäude (Le Sémaphore = Signalmast) und blicken von hier auf den Phare de Goury, den Leuchtturm der sich auf einer kleinen Felsinsel befindet.

Mit dem Bunker Wiederstandnest WN31 finden wir auch hier eine ehemalige deutsche Stellung des Atlantikwalls vor. Im Dunst kann man nach Westen die nördlichste Kanalinsel Alderney ausmachen. Der französische Physiker und Pionier der Telekommunikation Édouard Branley (1844-1940) führte hier 1902 Versuche zur drahtlosen Übermittlung von Signalen durch. Unsere Fahrt entlang der Kaps wendet sich nun entlang der Westküste nach Süden. Oberhalb der Baie d’Ecalgrain blicken wir auf eine der schönsten Buchten Frankreichs.

Am Falaise de Jobourg gehen wir eine kleine Runde an der Steilküste. Mit der Bezeichnung GR 223 führt hier der Chemin des Douniers entlang der wilden Küste, die ein Biotop für zahlreiche Wasservögel bietet. Wendet man den Blick ins Hinterland fällt die gigantische Wiederaufbereitungs- Anlage La Hague bei Jobourg ins Auge. Hier werden Plutonium und wiederverwertbares Uran aus abgebrannten Brennelementen vom hochradioaktiven Abfall getrennt. Das die Kernenergie, aus der Frankreich bis zu 70% seiner Energie deckt keine saubere und sichere Energiequelle ist sollte sich eigentlich nach Tschernobyl und Fukushima rumgesprochen haben.

Der Ausstieg aus dieser Technik war in Deutschland daher die einzig richtige Entscheidung. Das Abfallprodukt Plutonium hat eine Halbwertszeit von 24000 Jahren, sichere Endlagerstätten sind ein Märchen und auch hier in La Hague werden radioaktive Stoffe in die Atmosphäre und in den Ärmelkanal geleitet. Um uns die Anlage selbst einmal aus der Nähe anzuschauen fahren wir die kilometerlange Straße an dem hochgesicherten Gelände entlang, das irgendwie unheimlich auf uns wirkt.

Weiter südlich an der Westküste passieren wir den fast menschenleeren Strand bei Vauville, wo ein paar Kite-Surfer ihre Segel aufsteigen lassen. Nach Süden bei Flamanville wird das Idyll vom gleichnamigen Kernkraftwerk und im Hinterland von der Wiederaufbereitungsanlage flankiert. Bei der Weiterfahrt nach Süden kommen wir am Aérodrome de Vauville vorbei. Dort queren wir die Landebahn, die nur durch eine Ampel gesichert ist. Ein letztes Mal nähern wir uns der Küste am Panoramapunkt Sur-les-Dunes-Biville, von wo man bei guter Sicht die gesamte Palette der vorgelagerten Kanalinseln ausmachen kann. Über Vasteville, Saint-Christophe-du-Foc, Rauville-la-Bigot und Quettetot fahren wir zurück nach Briquebec. Im Landwirtschafts- Markt „La Clé des Champs“ decken wir uns mit normannischen Spezialitäten für zu Hause ein.

Am Donnerstag halten wir uns wieder in Richtung Westküste über Portbail und besuchen weiter südlich die Abbaye de Sainte-Trinité in Lessay. Wir finden uns auch hier in einer normannischen Kirche des 11. Jahrhunderts wieder, die als Besonderheit das erste Kreuzrippengewölbe der Normandie, wenn nicht sogar Europas aufweist.

Weiter südlich besuchen wir das normannische Wasserschloss Château de Pirou. Als einer der zwölf Söhne Tankreds de Hauteville erbaute Serlon I de Hauteville im 12. Jahrhundert diese Niederungsburg. Der Umbau zum Wasserschloss geht auf das 17. Jh. zurück. In den alten Mauern ist ein neuzeitliches Werk im Stil des mittelalterlichen Teppichs von Bayeux ausgestellt. Es erzählt die Geschichte der Eroberung Siziliens, die mit der Familiengeschichte dieser Burg verknüpft ist. Serlon I war ein Bruder Robert Guiscards und Wilihelm Eisenarms, die 1066 Sizilien eroberten. Der erste Herrscher Siziliens wurde Roger I. Aus der Ehe seiner Enkelin mit Heinrich VI ging dann der große Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Friedrich II (1194-1250) hervor.

Auf den kulinarischen Höhepunkt des heutigen Tages treffen wir im Restaurant „Le Mascaret“ in Blainville, wo wir bei Philippe Hardy einen Mittagstisch reserviert haben. Wir haben uns für „La Petite Table du Mascaret“ entschieden, ein preisgünstiges 3- Gang- Menü mit dem der Sternekoch uns einige tolle Kreationen seiner Kochkunst darbietet. Geschmacklich mehr als überzeugt haben wir hier mit einer entspannten Auszeit neue Kräfte für den Nachmittag gesammelt.

Entlang der breiten Flusslandschaft der Sienne auf ihrem Weg zur Mündung an der Westküste fahren wir den südlichsten Punkt unserer heutigen Rundreise durch das Cotentin, die Abtei von Hambye an. Südwestlich von Coutances überqueren wir mit der Pont de la Roque die Soulles, die hier mit der Sienne zusammenfließt. An der alten, 1944 zerstörten Brücke befinden sich einige Gedenktafeln. Die Brücke wurde im Rahmen der Operation Cobra, der Durchbruchsschlacht gegen die Wehrmacht gesprengt. Den deutschen Truppen wurde so der Rückzug abgeschnitten.

Die Abtei von Hambye in der Nähe von Percy ist leider heute eine Ruine, denn nach der Französischen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Benediktinerabtei verkauft, für landwirtschaftliche Zwecke und später als Steinbruch benutzt. Die Ruine des normannischen Kirchenschiffs hat ihren ganz eigenen Charme. Bei unserem Besuch dient die Location gerade als Kulisse für Filmaufnahmen zu einer Tanzdarbietung. Erhalten sind der Kapitelsaal und die Gebäude des Konvents, die als Ausstellungsräume genutzt werden. Ein östlicher Bogen führt und zurück nach Norden, wo wir in Isigny-sur-Mer noch etwas einkaufen. Nach dem Abendessen verabschieden wir uns von Stefanie, die morgen nach Hause fährt.

Wir machen uns am Freitag sehr früh auf den Weg zu einer Sehenswürdigkeit, für die wir uns bereits im Vorfeld Eintrittskarten gebucht haben. Es ist der an der Grenze zur Bretagne im Westen der Normandie liegende Klosterfelsen Mont-Saint-Michel. Die Fahrt führt uns über die Autobahn über Saint Lô und Avranches. Gesehen haben wir das Bauwerk im Wattenmeer vor der Küste bereits vor 20 Jahren im Vorbeifahren auf dem Weg in die Bretagne. Der Wallfahrtsort und spätere Kirchen- und Klosterkomplex geht auf eine Erscheinung des Erzengels Michael im Jahr 706 zurück. Der Legende nach verlieh der Erzengel persönlich seiner Aufforderung hier ein Kloster zu bauen Nachdruck, indem er dem Bischof Aubert von Avranches mit seinem Finger ein Loch in den Schädel bohrte.

Erzengel Michael ist uns bereits vor 6 Jahren im italienischen Monte Sant’Angelo begegnet. Hier befindet sich die Grotte, in der sich der Erzengel der Legende nach den Hirten bereits im Jahr 492 gezeigt haben soll. Seit dem 10. Jahrhundert wurde der Kirchenberg ausgebaut und ist heute ein Touristenmagnet, dessen Besucherströme nur mit Shuttle- Bussen von Großparkplätzen aus bewältigt werden können. Es ist in jedem Fall ein großartiger Ort mit einer bewegten Geschichte und dem Status des UNESCO- Weltkulturerbes. Über allem erhebt der goldene Erzengel selbst sein Schwert im Kampf mit dem Teufel.

Nach unserem Besuch verlassen wir den Kirchenberg mit dem Besucherstrom entlang der touristischen Gassen. Im Restaurant „Les Terrasses de la Baie“ lassen wir uns noch eine Portion Moules-Frittes schmecken. Wir genießen bei herrlichem Wetter den Rückweg über die neue Besucherbrücke, die die Besucher heute bei jeder Tide trockenen Fußes über die Bucht bringt. Immer wieder bricht die Sonne zwischen den Wolken hervor und lässt den Mont-Saint-Michel aufleuchten.

Wir suchen noch die Kirche St. Gervais in Avranches auf. Hier wollen wir noch einen Blick auf den Schädel des Aubert von Avranches werfen. Pathologische Untersuchungen haben eine natürliche Erklärung für das Loch im Schädel gefunden, das infolge einer zystischen Fehlbildung des Schädelknochens entstand. Über Granville und Coutances fahren wir zurück nach Briquebec.

Am Samstag habe ich mit Dorothee noch ein paar Ziele ins Auge gefasst. Stefanie hat uns den Besuch der romanischen Benediktinerabtei Saint- Vigor aus dem 11.Jh. in Cerisy-la-Forêt nordöstlich von Saint-Lô ans Herz gelegt. Die Abtei wurde durch Robert den Prächtigen im Jahr 1032 gegründet und ist als eine der ältesten und bedeutendsten Abteien der Normandie eine weitere Perle normannischer Architektur. Herzog Robert der Prächtige war der Vater von Wilhelm dem Eroberer. Das ursprüngliche Kirchenschiff wurde 1811 durch das Abtragen von fünf Jochbögen verkürzt. Eine Besonderheit ist die Gliederung des Kircheninneren in drei Höhenstufen.

Vom Mittelalter wechseln wir danach wieder zu den Ereignissen des 2. Weltkriegs nach Saint-Mère Église, wo wir uns nun noch das Airborne- Museum anschauen wollen. Hier steht die Luftlandung während der Operation Neptun im Vordergrund. Bereits in der ersten Halle befinden wir uns inmitten eines Szenarios, in dessen Mittelpunkt das Original einer Douglas C-47 „Skytrain“ steht. Wir durchstreifen die absolut informative Ausstellung, die es versteht den Besucher zu berühren. Sehr bedrückend empfinde ich die Simulation mich inmitten von Fallschirmspringern unter Beschuss kurz vor dem Absprung zu befinden. Das Adrenalin und die Angst der in das Flakfeuer springenden Soldaten kann man wohl trotzdem kaum nachvollziehen. Auf der Rückfahrt kehren wir ganz in der Nähe unserer Wohnung im Restaurant „A l’Escale Normande“ in Sottevast ein. Auch in diesem einfachen Restaurant bekommen wir leckere Sachen auf unsere Teller.

Der Sonntag ist unser letzter Tag im Contentin, den wir an der Küste mit einer Strandwanderung verbringen möchten. Auf unserem Weg an die Ostküste nördlich von Utah- Beach besuchen wir im Hinterland noch die Batterie d’Azeville, die damals mit 105 mm Artilleriegeschützen ausgestattet war. Wir durchstreifen die weiläufigen Kasematten, deren Gänge die Geschützstellungen miteinander verbinden.

Vom Mémorial du Débarquement D-Day nördlich von Utah-Beach unternehmen wir eine Strandwanderung nach Süden bis zum WN 9- Wiederstandsnest in den Dünen. Es ist ein großartiger Tag am Meer an einem Strand, an dem am 6. Juni 1944 sehr viel Blut geflossen ist. Wir sammeln ein paar hübsche Muscheln auf und genießen die Sonne. Der Beton des Atlantikwalls wird die Zeiten noch lange überdauern und noch lange an eine Zeit erinnern, die für immer Vergangenheit bleiben sollte.

Wir sind ausreichend früh zurück und verbringen den Restnachmittag am Pool. Heute haben wir uns große frische N°1-Austern an der Fischtheke gekauft. Das Öffnen erfordert Geschick und gegenüber den kleineren Schalentiere vor ein paar Tagen erfordern diese Exemplare deutlich mehr Kraft. Das Tier kämpft regelrecht gegen das Austernmesser an, mit dem ich versuche die Schale zu öffnen. Wir füllen vorgebackene Crêpes mit Käse und Schinken und zum Dessert mit gebratenen Äpfeln und haben ein schönes Abendessen. Dazu schmeckt ganz hervorragend ein gekühlter Cidre oder Poiré und wer mag auch einen Calvados.

Am Montagmorgen verabschiedet uns die Normandie beim Packen des Autos mit Wetterkapriolen. Mehrfach bekomme ich einen vollen Guss ab, worauf dann wieder die Sonne scheint. Kurz nach unserer Abfahrt müssen wir die Autobahn noch einmal für einen grandiosen Regenbogen verlassen. Dann geht es mit Flux-Libre über Caen, die Pont de Normandie nach Le Havre und weiter an der Steilküste entlang nach Étretat. Hier landen wir an einem Touristen-Hotspot, wo es kaum möglich ist einen Parkplatz zu ergattern. Es ist hier einfach nur voll und während Dorothee am Auto bleibt begnüge ich mich mit einem Bild am Kiesstrand mit dem Postkartenmotiv des großen Felsbogens.

Bei der Weiterfahrt entlang der Küste bieten sich nur wenige Tiefblicke von der Straße wie auf die Bucht von Vaucottes. In Yport ergattern wir im Ort einen Parkplatz und halten uns eine Weile am Strand auf. Surfer reiten hier gekonnt die Wellenberge vor der Küste ab. Über Fécamp und Életot kommen wir in Saint-Pierre-en-Port noch einmal an eine Bucht, wo wir auf einer Bank unser mitgebrachtes Picknick auspacken. Hier verlassen wir nun die Küste, fahren über Amiens und suchen unser vorgebuchtes Quartier für eine Zwischenübernachtung in Mesnil-Saint-Nicaise auf. Wir probieren heute eine für uns neue, in Frankreich zunehmend angebotene Unterkunftsform an. Es ist ein Chambre d’hôte mit Table d‘hôte, also ein Fremdenzimmer mit Verpflegung auf einem kleinen Landgut mit dem Namen l‘hostellerie du Château. In dem liebevoll eingerichteten Quartier, das die charmanten Gastgeber William und Gaëlle hier betreiben fühlen wir uns als Gäste mehr als gut aufgehoben.

Gaëlle serviert uns am Abend ein sehr leckeres Abendessen in 3- Gängen aus Williams Küche. Mit an den Tisch gesellt sich noch ein weiterer Gast, ein Geschäftsmann aus dem Norden Frankreichs. Die Vorspeise ist ein mit Maroilles aus der Picardie überbackenes Blätterteig- Gebäck. Es gibt Risotto mit Hähnchen- Innenfilet und zum Dessert Schokokuchen in Vanillesauce. Das gesamte Haus, wie auch das Esszimmer ist stilvoll mit historischen Möbeln eingerichtet. Geschlafen wird im Himmelbett. Eine Adresse, die wir in allerbester Erinnerung halten werden.

Der Dienstag bleibt uns dann noch für die Heimfahrt, die uns schon nach wenigen Kilometern in Béthencourt-sur-Somme über den idyllischen Fluss führt, an dem als mögliches zukünftiges Projekt ein Radweg entlang führt. Auch unser Nachtquartier liegt in der Kernzone der damaligen Schlacht an der Somme. Bis zur belgischen Grenze fahren wir über eine zuletzt schnurgerade Landstraße. An der Grenze wehen links der Straße französische, rechts belgische Fahnen und das ist Europa. Wir kommen gut durch und genießen das gemäßigte Tempo auf der Autobahn unserer Nachbarn bis zur deutschen Grenze, wo dann wieder das Recht des Rasens durchgesetzt wird.

Ein toller Trip hat uns mal wieder zu unseren französischen Nachtbarn geführt. Wir haben in dieser Woche sehr viel gesehen und Land und Meer des Cotentin genossen. Die Landschaften Frankreichs sind sehr facettenreich, nicht nur was die Küche angeht. Die Normandie ist geschichtlich gesehen durch die Invasion der Normannen in jedem Fall eine ganz besonders interessante Region Frankreichs. Wir freuen uns auf zukünftige Besuche bei unseren Nachbarn und hoffen darauf dass die Politiker unserer Länder den gemeinsamen europäischen Gedanken weiter denken und Populisten und Europagegnern Lösungen präsentieren mit denen wir zu einem „MEGA“= Make Europe Great Again gelangen ;-).

A. Korbmacher
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