Presanella 2012

 Mein Freund Frank Langmann hat  zu unserer diesjährigen Presanellatour eine aufwendige Videoproduktion erstellt. Hier nun  der Bericht und die   24 minütige HD Präsentation :

https://youtu.be/W7jqUkuSHt8

Die Presanella- Eine Schönheit, die sich nicht im Sturm erobern lässt

 

Es war im Jahr 2006 als ich mich erstmals mit der Region an der Presanella ernsthaft befasst habe. Mit Mathias verbindet mich schon seit einigen Jahren eine Begeisterung, zu einer Zeit in den Bergen unterwegs zu sein, wenn bereits alle Hütten die Schlagläden geschlossen haben. Irgendwie kriegen wir es terminlich auch am besten im Oktober hin unsere einwöchige Tour auf die Beine zu stellen.

Bivacco Roberti 2205m
Bivacco Roberti 2205m

Mathias ist ein langjähriger Nachtbar mit dem sich seit Jahren eine solide Freundschaft entwickelt hat. So haben wir uns 2006 nach einigen gemeinsamen Touren im Allgäu, der Brenta und dem Wilden Kaiser vorgenommen die Presanella von Süden anzugehen. Die gewählte Route soll uns von vom Val Genova aus annähernd eisfrei zum Gipfel bringen. Eine Nacht im Winterraum des Bivacco Roberti auf 2205m wird genügen- so der Plan- um am 2. Tag den 3558m hohen Gipfel der Presanella im Handstreich zu nehmen. Vollkommen vergessen habe ich dabei leider, dass wir nach einer Nachtzugfahrt mit einer Übernachtung in einer Pension keinerlei Akklimatisation mitgebracht haben und für Winterraum und Biwak einfach zuviel Zeug dabei haben. Entsprechend ausgepumpt erreichen wir dann auch das Bivacco Roberti nach einem Aufstieg von mehr als 1200 Höhenmetern von Pinzolo aus. Das Wetter ist perfekt wie so oft zu dieser Jahreszeit und der Abend am Bivacco mit Blick auf die gegenüberliegende Brentagruppe, die wir auf den dortigen Klettersteigen bei unserer 2003er und 2004er Tour durchstreift haben, ist großartig. Uns beiden ist allerdings spätestens am nächsten Morgen klar, daß ein Aufstieg von weitern 1200 Höhenmetern zum Bivacco Orobica unterhalb des Presanella Gipfels nicht realistisch ist.

Morgentlicher Aufstieg vom Biv. Roberti
Morgentlicher Aufstieg vom Biv. Roberti

Mathias hat bereits kurze Zeit nach unserem Aufbruch Muskelkrämpfe- wirklich fit bin auch ich nicht , so heißt es umzudisponieren. Wir machen in diesem Jahr die Überschreitung über den Passo Quattro Cantoni 2781m zur Segantini Hütte und verbringen dort auch eine Nacht, bevor wir dann zurück nach Pinzolo absteigen.

Segantini Hütte 2373m mit Brentagruppe
Segantini Hütte 2373m mit Brentagruppe

2007 ist unser Ziel erneut die Presanella. Allerdings nähern wir uns dem Berg diesmal von der Nordseite vom Passo Tonnale 1883m aus. Dies hat zunächst den Vorteil bereits deutlich höher zu starten. Um unser erstes Tagesziel, die Rifugio Denza auf 2298m zu erreichen brauchen wir am ersten Tag nur etwa 400 Höhenmeter zu steigen. Die Rucksäcke sind nicht leichter als im Vorjahr und die Distanzen in dieser Region sind nicht zu unterschätzen. In diesem Jahr hat es bereits Schneefälle gegeben und oberhalb unseres Winterraumes an der Denza sieht es schon recht weiss aus. Für den weiteren Aufstieg legen wir eine Spur hinauf Richtung Passo Cercen auf 3022m.

Aufstieg zum Passo Cercen
Aufstieg zum Passo Cercen

Am Passo Cercen ziehen Wolken auf und es ist bereits Mittag-  zu spät für den weiteren Aufstieg über den Gletscher und die Sella Freshfield zum Gipfel. Wir entscheiden uns diesmal für den Übergang zur Mandrone Hütte, die wir erst zu Einbruch der Dunkelheit erreichen. Der Weg, Teil des Friedenswegs führt vom Passo Cercen steil durch Felsen hinab und quert endlos als schmaler teilweise exponierter Pfad oberhalb des Val Genova zur Mandrone Hütte. Bei der Wetterverschlechterung, die sich am Abend und am nächsten Tag einstellt, fühlen wir uns in unserer Entscheidung bestätigt auch diesmal den Gipfel nicht angegangen zu sein. Mathias und ich sind uns einig, dass wir nichts erzwingen müssen. Zwei Tage bleiben wir an der Mandrone- Hütte. Es ist absolut einsam in dieser Region. Vom Fenster aus lassen sich Gemsen beobachten, weit und breit gibt es keine Menschenseele, Handyempfang sucht man hier vergebens. Der Abstieg führt nach einem Steilstück über die Malga Bedole 1600m weiter durch das 16km lange Val Genova nach Pinzolo auf 780m- A long long way !

Weggabelung an der Mandronehütte mit Rückblick Richtung Passo Cercen
Weggabelung an der Mandronehütte mit Rückblick Richtung Passo Cercen

2008 gibt es den 3. Versuch mit Mathias bei ähnlichen Verhältnissen wie im Vorjahr- ich fasse mich kurz- es soll auch diesmal nicht gelingen auf den Gipfel zu gehen. Nach den 800 Aufstiegsmetern zum Passo Cercen im Schnee kehren wir diesmal zurück zur Denza-Hütte und verbringen hier 2 Tage im Angesicht der Presanella Nordwand und genießen die einmalige Landschaft in dieser Gegend. Einigkeit besteht darüber, die Presanella bei einem weiteren Versuch zu gegebener Zeit noch einmal im Sommer mit leichterem Gepäck anzugehen.

Presanella Nordwand im Abendlicht
Presanella Nordwand im Abendlicht

Trento als An- und Abfahrtsort mit der Bahn bietet bei unseren Touren im Trentino immer wieder einen schönen Abschluß. Mit seinem mediterranen Ambiente bietet Trento zahlreiche Sehenswürdigkeiten und vor allem Mitte Oktober einen Spezialitätenmarkt, auf dem es gute Sitte ist vor dem Kauf erstmal zu probieren. Auch ein Espresso auf der Piazza am Dom ist immer wieder ein Genuß.

Trento Piazza Duomo
Trento Piazza Duomo

Die Touren der nächsten Jahre zusammen mit Mathias führen mich zum Bergwandern nach Korsika, wo wir auf dem nördlichen Teil des GR20 mit seinen zahlreichen Varianten unterwegs sind.

Erst 2012 kommt die Presanella wieder ins Gespräch. Frank, Freund und alter Weggefährte meldet Interesse an, sich in unsere Seilschaft einzubinden. Leider muss diesmal dann aber Mathias, wegen eines schweren Krankheitsfalles in seiner Familie, seine Teilnahme zurückziehen. Diesmal wollen wir auf die lange beschwerliche Nachtzugfahrt mit der obligatorischen Busfahrt über die Dörfer verzichten. Die Anreise geht diesmal rapido mit dem Flieger nach Verona. Mit dem Leihwagen fahren wir dann über das Surferparadies Torbole am Gardasee in das schöne Val di Sole nach Ossana bei Vermiglio. Das erste Nachtquartier beziehen wir hier im Hotel „Niagara“.

Surferparadies Torbole
Surferparadies Torbole

Unser Auto lassen wir am nächsten Tag am Passo Tonale stehen und erreichen am Nachmittag die noch bewirtschaftete Denza- Hütte. Begrüsst werden wir auf der Terasse von den Ziegen, die grosses Interesse an unseren Rucksäcken zeigen. Diesmal sind wir Mitte September am Start, also gut einen Monat früher als sonst an der Presanella. Zunächst sind neben uns nur ein paar einheimische Handwerker auf der Hütte, die mit dem Bau der neuen Materialseilbahn beschäftigt sind. Mirco und Erika bewirtschaften die Denza- Hütte in einer sehr freundlichen Art und wir fühlen uns hier auf Anhieb sehr gut aufgehoben.

Rifugio Stavel Denza 2298m
Rifugio Stavel Denza 2298m

Auch diesmal ist der Aufstieg über den Passo Cercen zur Sella Freshfield auf der Agenda- für mich ist es jetzt der 4. Anlauf. Wir richten uns nicht auf ein Nachtbiwak ein und wollen auf jeden Fall zur Hütte zurückkehren. Um 6:30h gehen wir los und erreichen bei gutem Wetter statt nach angegebenen 2,5Std. erst nach 3,5 Std. den Passo. Rubbeldiekatz ist es 11:00h bis wir nach einer Pause mit den Steigeisen und dem Anseilen fertig sind. Langsam arbeiten wir uns über den oberen Teil des Gletschers in einer alten Spur aufwärts- nach 200 Höhenmetern merken wir, dass wir einfach zu langsam vorwärts kommen. Die Sella Freshfield rückt zwar bereits in greifbare Nähe, aber ab über 3000m schlägt die fehlende Akklimatisation einfach wieder voll ein. Für den Gipfel sind wir auch diesmal wieder zu spät und zu fertig. Es ist 12:00h durch- wir suchen uns einen Platz für eine lange Mittagspause in dieser grandiosen Landschaft.

Blick auf Cima Vermiglio und Sella Freshfield vom Passo Cercen
Blick auf Cima Vermiglio und Sella Freshfield vom Passo Cercen

Am Abend sprechen wir die ganze Sache noch mal mit Mirco durch. Der Folgetag bringt einen Wettereinbruch mit sich, es regnet den ganzen Tag- allerdings ist ab Donnerstag stabiles, gutes Wetter gemeldet. In Mirco’s Kochstudio erhalten wir einen Intensivkurs zum Thema „Spaghetti al dente“. Beim Teroldego berate ich mit Frank über unsere Optionen. Letztlich ist es Frank, der nicht nur wegen der guten Wetteraussichten auf einen weiteren Anstieg drängt.

5:30h
5:30h

Der Weckalarm ertönt um 4:00h. Nach einem kurzen Frühstück stehen wir in sternenklarer Nacht vor der Hütte. Mit Stirnlampen machen wir uns gegen 5:00h auf den bekannten Weg. Für mich ist es jetzt das 5. Mal. Bei einer kurzen Pause vor dem Gletscher füllen wir noch einmal an einer bekannten Stelle unsere Wasserflaschen- gar nicht so einfach, wenn noch alles tiefgefroren ist.

Anstieg über den Vedretta Presanella zur Sella Freshfield
Anstieg über den Vedretta Presanella zur Sella Freshfield

Diesmal stehen wir bereits um 9.00h fertig angeseilt auf dem Gletscher. Ich selbst fühle mich gut und auch Frank steigt hinter mir steten Schrittes aufwärts. Das Eis knackt unter unseren Schuhen, einige grössere Spalten müssen umgangen werden.

Grosse Spalte im Aufstieg
Grosse Spalte im Aufstieg

Mittags stehen wir auf der Sella Freshfield 3375m und haben erstmals Blick über den unterhalb liegenden Nardis- Gletscher und den Blockgrat zwischen Cima Vermiglio und der Cima Presanella. Es weht ein eisiger Wind und es folgt ein Abstieg hinunter zum Rand des Nardis- Gletschers über eine drahtseilversicherte Felsrinne. Der Nardis- Gletscher wird im oberen Randbereich gequert, bis uns die Spur auf den langen Blockgrat führt. Frank geht nun relativ langsam, er hat einen Handschuh verloren. Ich nehme all das zur Kenntnis ohne es weiter zu bewerten. An Umkehren verliere ich nun keinen Gedanken mehr, denn wir haben uns diesmal auf ein Nachtbiwak an der Presanella eingerichtet. Entgegen Mirco’s Empfehlung auf der Firnschulter am Ende des Blockgrates zu bleiben versuche ich unterhalb des Grates zu queren, was  sich als suboptimal erweist. Frank’s Steigeisen löst sich in der steilen Firnflanke. Beim gemeinsamen Festziehen des Eisens bemerke ich erstmals bei Frank ein erhebliches Mass an Erschöpfung.

Blick vom Blockgrat zurück über den Vedretta di Nardis auf die Sella Freshfield (Südseite)
Blick vom Blockgrat zurück über den Vedretta di Nardis auf die Sella Freshfield (Südseite)

Ich hab‘ mich weiss Gott mit der Route, dem Gebiet und den vorgegebenen Zeiten beschäftigt, trotzdem geraten wir in ein „Zeitloch“ und der Schlussanstieg zur Presanella scheint kein Ende zu nehmen. Um 17:00h, also nach 12 Stunden Aufstieg  stehen wir am Gipfel der Presanella auf 3558m bei grossartigem Wetter und einer fantastischen Fernsicht. Die Sonne steht bereits tief und unter uns ist unser Nachtquartier, das Bivacco Orobica auf 3520m greifbar nah zu erkennen. Für die angegebene halbe Stunde zum Biwak benötigen wir eine ganze Stunde.

Presanella Summit 3558m
Presanella Summit 3558m

Mirco hat uns heissen Tee in 2 Thermoskannen mitgegeben, der uns etwas Wärme spendet. Bei wolkenlosem Himmel geht die Sonne unter. Der fantastischer Sternenhimmel kann uns nicht mehr aus den Schlafsäcken locken. Das Quecksilber fällt in der Nacht auf -15 Grad Celsius. Bereits um 6:00h ist es hell- das Frühstück fällt karg aus. Frank hat schlecht geschlafen, hatte die ganze Nacht starke Kopfschmerzen. Eine Mischung aus Erschöpfung und beginnender Höhenkrankheit ist anzunehmen. Die Fotoaktion beim ersten Morgenlicht fällt für unsere Verhältnisse sehr kurz aus.

Bivacco Orobica3520m im ersten Sonnenlicht
Bivacco Orobica3520m im ersten Sonnenlicht

Den Rückweg über die Aufstiegsroute schliesst Frank aus und wir einigen uns auf den schnellstmöglichen eisfreien Abstieg durch das Nardis- Tal. Zunächst müssen wir bis unterhalb des Presanellagipfels  queren. Ein geeigneter Abstieg ist nur anhand weniger Steinmännchen und Trittspuren auszumachen. Eine sehr beschwerliche endlose Kletterei über Blockwerk beschäftigt uns auf den ersten 1000 Höhenmetern. Frank beschreibt das in seinem Video als die „Steinwüste Nardis“.

Steinwüste Nardis
Steinwüste Nardis

Auf 2300 liegt eine geschlossene Wolkendecke, der wir uns auf der mittlerweile etwas besser gehbaren Seitenmoräne nähern. Wie eine Insel durchstossen die Gipfel der Brenta diesen gigantischen See aus Wolken. Mit dem bereits im Nebel liegenden Bivacco Roberti 2205m erreiche ich bekanntes Terrain. Die Hälfte des Abstiegs wäre geschafft. Noch mal 1200 Höhenmeter hinab ins Val Genova zu den Nardis- Wasserfällen.

Brenta als Insel im Wolkenmeer
Brenta als Insel im Wolkenmeer

Den Talboden erreichen wir ohne Tageslicht und landen im Ristorante „Cascades de Nardis“- absolut fertig- „fertig wie ein Mettbrötchen“ hätte Mathias sicher gesagt. Eine Übernachtungsmöglichkeit im Val Genova ist leider nicht mehr gegeben, teilt uns die freundliche Wirtin im Ristorante mit und kann uns zunächst nur mit 2 Bieren weiterhelfen. Erneut wägen wir unsere Optionen ab, die da wären das Freibiwak ohne das erhoffte Mahl, oder der lange Fussweg bis nach Pinzolo. Die nette Signora nimmt uns diese Entscheidung ab- sie hat Feierabend, bietet uns die Mitfahrt nach Pinzolo an und setzt uns dort an einem Hotel ab. Ihr Bruder betreibt ein Taxiunternehmen und so organisiert sie uns auch noch den Rücktransport zum Passo Tonale am nächsten Morgen zum Spezialtarif. Das muß eine gute Fee gewesen sein denken wir uns und stellen fest, das wir noch nicht einmal ihren Namen erfahren haben. Im Ristorante „La Botta“ um die Ecke ergattern wir einen der letzten Tische. Nachdem wir die Speisekarte gefühlt rauf und runter gegessen haben fallen wir zu später Stunde megafertig in die Kissen.

Presanella Abendstimmung
Presanella Abendstimmung

Nach einer „Grande Collazione“ steht am nächsten Morgen um 8:00h pünktlich unser Taxi vor der Tür und bringt uns in einer knappen Stunde zurück zum Passo Tonale. Um 14:00h erreichen wir die Denza- Hütte wo Mirco seine Thermoskannen zurückerhält. Am Nachmittag lassen wir uns vom Forte Pozzi Alti über die abenteuerliche Militärstrasse wieder per Taxi zum Passo Tonale fahren. Im Hotel „Niagara“ in Ossana verbringen wir auch die letzte Nacht. Von Verona geht es mit dem Flieger über die italienischen Alpen per Zeitsprung zurück in den Alltag.

 A.Korbmacher

Arnd Korbmacher
Arnd Korbmacher

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