Mitte August 2017 war ich mit Dorothee in Südtirol unterwegs. Nachdem wir eine Woche auf einem hochgelegenen Berghof im Martelltal zu Gast waren haben wir uns mit dem Trentiner Bergführer Mirco Dezulian zu einer Gletschertour am Cevedale verabredet.
Hier das Video zur Tour, bei dem ich erstmals Filmsequenzen meiner Kameradrohne eingearbeitet habe :
Hier der Bericht zur Tour:
Unterwegs zwischen Ortler und Cevedale im Nationalpark Stilfser Joch
Liebeserklärung an die Norditalienischen Alpen- Südtirol und Trentino
Im Sommer 2017 habe ich zusammen mit Dorothee den Cevedale in den italienischen Alpen ins Auge gefasst. Ich selbst war in den letzten Jahren mehrfach rund um den Ortler unterwegs. Die Begehung des Cevedale war im vorletzten Jahr wetterbedingt nicht möglich. Das wollen wir in diesem Jahr gemeinsam nachholen. Um eine ausreichende Akklimatisation für die Tour auf den 3769m hohen Berg zu erreichen haben wir uns im Martelltal Mitte August ein hochgelegenes Quartier gesucht. Bei der Anfahrt durch die Schweiz am Samstag über den Ofenpass haben wir grauseliges Wetter.
Auf Empfehlung von Franks guter Freundin Sabine wohnen wir in der ersten Woche unseres Urlaubs auf dem Stallwieshof auf 1950 m Meereshöhe. Der Erbhof wird in der 9. Generation von der Familie Stricker geführt. Die 10. Generation, das sind Marc und Romy, haben hier oben einen der schönsten Spielplätze, den man sich vorstellen kann. Erst seit 1977 ist der Hof durch eine Straße erreichbar. Der heute 76 Jahre alte Seniorchef Eduard mit seiner Frau Irma hat noch die harte Arbeit als Bergbauer kennengelernt. Früh hat er aber auch erkannt, das ein Gasthof dem Stallwieshof eine Zukunft sichern kann.
Der älteste Sohn Oswald führt das Regiment in der Küche. Sein Bruder Peter kümmert sich um den Service in der Gaststube, aber eigentlich geht hier alles Hand in Hand. Die Viehwirtschaft ist heute eher Zuerwerb für den Gasthof. Anlässlich des 40 jährigen Jubiläums des Gasthofs hat sich Oswalds Frau Jana ein besonderes Geschenk an die Gäste überlegt. In Gesprächen mit Edi und Irma hat sie lebendige Geschichten zusammengetragen, in denen der Gast eine ganze Menge aus einer längst vergangenen Zeit erfährt. Diese Geschichten geben Einblicke in das beschwerliche Leben der Bergbauern und sind gespickt mit netten Anekdoten aus Edis Jugend.
Die Stube des Hofs war früher der einzige geheizte Raum des Hauses, in dem gegessen, geredet, gestrickt, gesponnen und geschnitzt wurde. Es fiel am Tag nur wenig Licht durch die kleinen Fenster, am Abend gab eine Petroleumlaterne etwas Licht. Besonders beeindruckend für mich ist die Schilderung Edis, wie er sich an den Tag erinnert, an dem das elektrische Licht nach Stallwies kam:
„Es war, als ob die Sonne aufging“
Dieser Tag war der 2. Oktober 1956- Eine 3 Watt- Glühbirne pro Zimmer und eine einzige Steckdose wahlweise für das Bügeleisen oder das Radio brachten den Fortschritt nach Stallwies.
Stallwies ist während unseres Aufenthalts unser Zuhause. Sehr schnell finden wir uns in den sympathischen Familienkreis ein und wir haben das Gefühl dazuzugehören. Gerne gibt Edi, der die Gipfel rundherum bestens kennt, kompetente Tipps für Wanderungen im oberen Martelltal. Den Hausberg, die Orgelspitze (3305m) hat er bereits mit 13 Jahren in Form einer Mutprobe ohne Schuhe bestiegen.
Schon beim Frühstück in der Sonne vor dem Haus fällt der Blick über die sattgrünen Wiesen auf die vergletscherten Berge Richtung Talschluss. Eigentlich könnte man hier einfach verweilen, wäre da nicht die Erfordernis eine solide Höhenfitness für unser Vorhaben in der nächsten Woche zu erlangen.
So raffen wir uns in unserer ersten Ferienwoche an jedem Tag auf, die Höhen des Martelltals zu erkunden. Direkt am Hof vorbei führt der Marteller Höhenweg Nr.23 hinauf Richtung Göflaner Scharte, der wir uns an unserem ersten Wandertag nur nähern. Über den höher gelegenen Schlichtbergsteig Nr. 23A gelangt man in Form eines Rundweges zurück zum Stallwieshof. Wir erhalten herrliche Ausblicke zum Talausgangs des Martelltals in Richtung Vinschgau bis nach Meran. Richtung Talschluss erkennen wir die vergletscherte Zufallspitze hinter der sich in Form eines Doppelgipfels der Cevedale als Tourenziel für die zweite Woche verbirgt. Tief darunter liegt der Zufrittstausee mit seiner Staumauer.
Um den Talschluss am Zufrittsee zu erreichen müssen wir vom Stallwieshof erst nach Martell hinunter fahren, um von dort aus zu einem der Parkplätze hinter dem Zufritthaus zu gelangen. So unternehmen wir am zweiten Tag dann auch eine Rundwanderung über die Lyfi Alm zum Pederköpfl 2585m mit einem ebenfalls sehr schönen Rundblick über das obere Martelltal. An einem Bachlauf erhalte ich Gelegenheit eine Kreuzotter aus relativer Nähe zu beobachten. Tal auswärts grüßen in der Ferne die Zillertaler Alpen. Der Rückweg über die Peder- Stieralm führt uns durch Zirbenkieferwald mit zum Teil sehr alten Bäumen.
Am dritten Tag steigen wir vom Talschluss auf zur Zufallhütte über das Julius Payer- Stadel. Das Mini Museum gedenkt dem Abenteurer und Alpenforscher, der sich Mitte des 19.Jh. in der Region durch viele Besteigungen, dabei 38 Erstbesteigungen einen Namen gemacht hat. Payer war Kartograph, Polarforscher und Historienmaler. Die erste Begegnung mit Payer hatte ich vor 4 Jahren am Adamello, auch hier war er Erstbesteiger. Bald erreicht man die auf 2265m liegende Zufallhütte.
Auch an der Zufallhütte begegnen wir der Alpenfront des 1. Weltkriegs. Das Soldatenkirchlein und ein Schlachthaus des damaligen Dorfes mit den Unterkünften von Kaiserjägern und Standschützen zeugen noch aus der damaligen Zeit.
Ein Stück oberhalb der Hütte liegt die alte Bruchsteinmauer des aufgegebenen Stausees von 1893. Die Schmelzwassermassen stürzen sich rundherum über die Felsen talwärts und vereinigen sich zum Plima- Fluss, der sich in Form eines Canyons tief in die Felsen eingeschnitten hat. Über den Plima- Erlebnisweg steigen wir ab zum Parkplatz und haben von einer Hängebrücke und einigen Aussichtskanzeln atemberaubende Tiefblicke auf den tosenden Gebirgsbach.
Wir haben es eigentlich ganz gut angetroffen mit dem Wetter und so beginnt auch unser vierter Wandertag sehr sonnig. Wir wollen etwas höher hinaus und haben uns die Laaser Spitze, auch Orgelspitze genannt mit 3305m vorgenommen. Vom Stallwies auf 1950m gewinnen wir rasch an Höhe und erreichen auf dem Weg Nr.5 gegen Mittag auf fast 3000m das Plateau, von dem ein blockiges Klettergelände weitere 300m hinauf auf die Orgelspitze führt.
Bei zunehmender Bewölkung und dem Aufkommen eines eisigen Windes ändern wir unser Vorhaben und steigen hinab in das Schludertal zur Schluderalm auf 2073m. Der erwartete Regen bleibt bis auf ein paar Tropfen aus. Hier treffen wir auf die schottischen Hochlandrinder, die zum Stallwieshof gehören. Über den Marteller Höhenweg, diesmal mit der Nr.8 gekennzeichnet, kehren wir heim nach Stallwies. Wie jeden Abend freuen wir uns auf die guten Sachen, die Oswald in der Küche aus regionalen Zutaten zaubert. Den Salat und die Kräuter erntet er aus dem eigenen Garten.
Am Donnerstag gönnen wir den Wanderschuhen eine Pause und statten dem sonnigen Vinschgau einen Besuch ab. Die hochmittelalterliche Chur- Burg von 1250 ist nie zerstört worden und befindet sich seit 1504 im Besitz der Familie Trapp. Ein Stammbaum der gesamten Familiengeschichte rankt sich unter der Decke der Arkadengänge über 2 Etagen hinauf bis in die Neuzeit. Schmuckvolle Räume, eine Bibliothek und eine historische Rüstkammer mit der weltweit größten privaten Sammlung von Rüstungen gibt es zu sehen.
Allein die Lage der Burg mit einem weiten Blick über das Vinschgau und auf den „Höchsten“, den Ortler lohnt einen Besuch. Der Erstbesteiger Josef Pichler war Anfang des 19. Jahrhunderts Jäger auf der Churburg- im Auftrag Erzherzog Johanns bestieg er am 27. September 1804 den 3905m hohen Ortler. Ein Gemälde im Innenhof erinnert an das Ereignis.
Im Tal besuchen wir die romanische Kirche St. Veit. aus dem 11. Jh. in Tartsch. Die auf einem eiszeitlichen Rundbuckel liegende Kirche finden wir leider verschlossen vor. Durch die gute Aussicht über das Tal war der Hügel bereits in der Neusteinzeit besiedelt. Wir blicken hinunter auf das befestigte Glurns mit seiner intakten Stadtmauer.
Das Benediktinerkloster Marienberg suchen wir am Nachmittag auf. Das monumentale schneeweiße Gebäude oberhalb von Burgeis im oberen Vinschgau hat eine lange Geschichte. Von besonderer Bedeutung sind die romanischen Fresken der Krypta aus der Zeit von 1175-1180, die im Zuge der Barockisierung übertüncht und in Vergessenheit geraten sind. Erst 1980 wurden die Fresken nach jahrhundertelangem Dornröschenschlaf komplett freigelegt.
Am Freitag, unserem sechsten Tag im Martelltal wollen wir noch eine Wanderung im Talausgang zum Vinschgau unternehmen. Oberhalb des Ortes Morter führt uns ein Rundweg entlang des historischen Rautwaalweges zu den Burgen von Ober- und Untermontani, die von Albert von Tirol im Jahre 1228 erbaut wurden.
Der Blick fällt auf die riesigen Obst- bzw. Apfelplantagen im Tal. Unterhalb der Burg Obermontani liegt die Burgkapelle St. Stephan von 1487. Die von außen unscheinbar wirkende Kirche ist bezüglich der Innenausmalung bekannt als Sixtinische Kapelle des Vinschgaus.
Um eine weitere Technik in meine Reisevideos einbringen zu können habe ich mir vor dieser Tour eine Kameradrohne zugelegt. Im Laufe der Woche habe ich mich getreu der Devise „Learning by Doing“ immer mehr in die Funktionen dieses wunderbar kompakten Fluggeräts eingearbeitet. Ein paar Zentimeter fehlten heute allerdings an einem Kiefernwipfel, so das sich bei der Havarie die Drohne in etwa sieben Metern Höhe fest im Geäst verhakt hat. Die halsbrecherische Bergung haben Pilot (fast) und Drohne unbeschadet überstanden.
Am Samstag müssen wir dann auch schon Abschied nehmen von der Familie Stricker auf ihrem Stallwies- Hof. Wir haben fest vor wieder zu kommen, spätestens wenn es mal wieder Zeit wird den Kopf frei zu bekommen. Ein wenig von dem, was uns in der Stadt schon lange abhanden gekommen ist hat man sich hier erhalten- und damit meine ich nicht nur die gute klare Luft.
Wir wechseln unser Basislager nach Sulden und wohnen in einem Frühstückshotel, in dem ich bei den bisherigen Touren rund um den Ortler bereits gut und preiswert übernachtet habe. Die Familie Pichler betreibt hier auch eine Konditorei, in der feines Gebäck und Torten angeboten werden. Das Treffen mit Mirco Dezulian unserem Bergführer aus dem Trentino haben wir mit Blick auf die Wetterprognosen bereits auf Dienstag verschoben um die unterschwellige Gewittergefahr am Wochenbeginn zu umgehen. Den Sonntag nutze ich so noch um mit Doro eine weitere Wanderung unter den Nordabstürzen des Dreigestirns Ortler, Zebru und Königsspitze zu unternehmen.
Mit dem Sessellift fahren wir von Sulden 1844m hinauf zum Langenstein auf 2330m. Von hier gehen wir den Morosiniweg (Weg Nr.3 ) bis zur Hintergrathütte. Von der Hintergrathütte beschreibt der Gletscherweg einen großen Bogen unter den hängenden Gletschern von Zebru und Königsspitze zur Schaubachhütte auf 2581m.
Scheinbar führt der Weg endlos durch eine weite Steinwüste, aber der Schein trügt- es handelt sich um einen „Rock-Glacier“, also einen Gletscher, der fast vollständig von Geröll verschüttet ist. Da der Untergrund sich ständig verändert wird der Weg periodisch immer neu durch orange Stangen abgesteckt. Direkt neben der Schaubachhütte befindet sich die Seilbahn, die uns zurück ins Tal bringt.
Am Montag haben wir uns als Übernachtungsgäste auf der Schaubachhütte angekündigt. Den Aufstieg erledigen wir bis zur Mittelstation der Seilbahn auf etwa 2200m über Weg Nr.2 zu Fuß. Unterhalb der Seilbahn führt der Weg steil hinauf zu einer 45m langen Hängebrücke, die über den tosenden Suldenbach führt. Nach dem Begehen der Brücke steigen wir ohne die Seite zu wechseln auf das Plateau der Mittelstation auf, um von hier mit der Seilbahn zur Schaubachhütte zu gelangen.
Von der Schaubachhütte fällt der Blick auf den Suldengletscher hinauf Richtung Suldenspitze. Der Gletscher ist auch im oberen Teil recht ausgeapert. Mirco hat sich bereits vor einigen Tagen über die Verhältnisse vor Ort bei einem befreundeten Bergführer informiert und uns mitgeteilt, das der Aufstieg über den Suldengletscher nicht ganz unproblematisch sei. Selbst der Gipfel der Königsspitze präsentiert sich mit blankem Fels und wird derzeit von vielen Bergführern nicht angeboten.
Auf der Schaubachhütte werden wir bestens versorgt und nach einer geruhsamen Nacht und einem guten Frühstück präsentiert sich das Wetter am Dienstag wolkenlos. Pünktlich wie verabredet treffen wir uns gegen neun Uhr mit Mirco vor der Hütte. Mirco hat uns vor 4 Jahren auf unserer Adamello- Tour begleitet. Sofort hat er zugesagt, als ich ihn als Bergführer für den Cevedale angefragt habe.
Unser Aufeinandertreffen ist überschattet durch einen Bergunfall, der sich vor 2 Tagen (am Sonntag) an „seinem Berg“, der Presanella ereignet hat. In tragischer Weise sind 9 Bergsteiger in 3 Seilschaften auf dem Normalweg abgestürzt. Es waren 3 Tote und mehrere Schwerverletzte zu beklagen. Bei dem Rettungseinsatz war Mirco einer der Ersten am Einsatzort. Die Eindrücke haben ihm bereits eine schlaflose Nacht beschert- Mirco hatte die 2 Familien vorher noch mit seiner Frau Erika auf seiner Denza- Hütte zu Gast gehabt und bewirtet. Auch ein Profiretter steckt so etwas nicht mal eben so weg.
Darüber was sich tatsächlich ereignet hat und warum alle 3 Seilschaften in den Unfall verwickelt wurden lässt sich nur spekulieren. Ich kenne den Aufstieg gut und bei meinem Aufstieg mit Frank vor 5 Jahren haben mich eher die großen Spalten unterhalb der Sella Freshfield beschäftigt. Genau in der Woche des Presanella- Unglücks werden aber auch aus anderen Regionen Abstürze von Seilschaften auf Gletschern gemeldet. Die aperen Verhältnisse haben sicher ihren Teil dazu beigetragen.
Aus genau diesem Grund rät uns Mirco davon ab, den Aufstieg über den Suldengletscher zu wählen. Dorothee hat lange keine Hochtouren im Eis unternommen und so ziehen wir bei den aktuellen Verhältnissen den eisfreien Aufstieg über den Stecknersteig vor. Der Stecknersteig schraubt sich kühn und im oberen Teil ausgesetzt 650 Höhenmeter hinauf auf die Eisseespitze 3230m. Den Weg bin ich mit der Alpinschule vor 2 Jahren bei schon winterlichen Verhältnissen gegangen. An der ersten etwas kniffligeren Passage nimmt Mirco Dorothee ans Seil.
Diesmal präsentieren sich von der Eisseespitze die 3 Gipfel von Königsspitze, Zebru und Ortler bei Kaiserwetter. Es ist warm- wir gehen im T-Shirt bis zu den Ruinen der Halle’schen Hütte am Eisseepass. Als Truppenunterkunft der Kaiserjäger hat man die Hütte am Kriegsende 1918 zerstört. Sehr schade, denn von hier hat man einen einzigartigen Rundblick über die umliegenden Gletscher und auf unser Tagesziel, die Casati Hütte 3254m.
Der Weg zur Casati Hütte quert im weiteren Verlauf auf den Langerferner. Der Gletscher ist im Randbereich übersät mit Felsblöcken, die gerade in der Nachmittagssonne gerne vom Felsgrat herab poltern. Mirco ermahnt uns auch diese Gefahr immer im Auge zu behalten. Die Steinschlaggefahr wächst durch den zunehmenden Rückgang der Gletscher und den Verlust des Permafrostes in den hochalpinen Regionen.
Der ausgewiesene Klimaexperte Mr. Donald Trump stellt die Klimaerwärmung ja öffentlich in Frage und kündigt das internationale Klimaschutzabkommen. Ich denke jeder Bergsteiger, der in den letzten Jahrzehnten nicht mit zugebundenen Augen durch die Berge gewandert ist muss erschrocken sein, mit welcher Rasanz sich der Rückgang der Gletscher entwickelt. Mit Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 300 Stundenkilometern rast nach unserem Urlaub der stärkste, jemals registrierte Tropensturm „Irma“ auf Florida zu. Herr Trump !- wie weit sollen wir den Planeten noch aufheizen?
In der Nachmittagssonne erreichen wir die Casati Hütte. Unterhalb der Hütte befindet sich noch ein gut 100 Jahre alter Stacheldrahtwall, der auch die Casati Hütte als ehemaligen Kriegsschauplatz ausweist. Immer wieder findet man Granatenteile auf dem aperen Gletscher. Reste eines Skilifts zeugen vom Versuch hier oben ein Skigebiet zu etablieren. Ich laufe mit Mirco noch hinauf über die eisfreie Rückseite auf die Suldenspitze 3376m. Auch hier habe ich vor 3 Jahren schon gestanden und den Blick hinab über den Suldengletscher genossen.
Auf dem Rückweg zur Hütte kommen wir an alten Schützenständen und -gräben vorbei. Die Reste eines Kanonenofens vermitteln den Eindruck, das die Ereignisse Anfang des 20. Jahrhunderts noch nicht lange zurückliegen. Am Abend sitzen wir beim schmackhaften Abendessen in der Gaststube der Casati-Hütte und planen den morgigen Tag.
Einen Aufstieg auf den Cevedale mit nachfolgendem Abstieg zur Schaubachhütte an einem Tag schließt Mirco aus. Wir waren beim heutigen Aufstieg zu langsam vorangekommen. Die einzige Möglichkeit für den Cevedale sieht Mirco darin mit mir als Zweierseilschaft sehr früh aufzusteigen, um spätestens um 11 Uhr den steinschlaggefährdeten Abstieg zu beginnen. Variante 2 ist es gemeinsam mit Doro in Ruhe zu frühstücken und den „Tre Canoni“ auf dem Eiskofel einen Besuch abzustatten. Wir einigen uns auf Variante 2 und sind uns sicher, das uns der Cevedale nicht wegläuft.
Der Eiskofel ist ein Felsaufbau zwischen Langerferner und Zufallferner, auf denen sich die 3 Kanonen befinden. Vor 2 Jahren lagen die Geschütze noch umgekippt im Schnee, seit 2016 hat man alle 3 wieder aufgestellt und die ehemalige österreichische Stellung wieder hergerichtet. Die 149G Haubitzen italienischer Bauart sind Beutegut der 12. Isonzoschlacht und wurden mit Muskelkraft aus dem hinteren Martelltal hier hinauf geschafft. Allein das Geschützrohr wiegt 3,3 Tonnen und diese sind hier auf Schiffslafetten montiert. Das Geschütz auf der Cresta della Croce am Adamello gleicher Bauart ist auf eine fahrbare Lafette montiert.
Cevedale und Zufallspitze bleiben auch diesmal nur Teil eines 360 Grad Rundumpanoramas, es ist ein toller Ort und wir genießen den Augenblick. Wir blicken hinab ins Martelltal, hinter der Casati Hütte erhebt sich die Bernina. Heute ein sehr friedlicher Ort- vor 100 Jahren Schauplatz erbitterter, blutiger Kämpfe an diesem Abschnitt der Alpenfront. Ein Tagebucheintrag eines Standschützen auf einer Gedenktafel regt zum Nachdenken an:
Friede- Reichtum / Reichtum- Übermut
Übermut- Krieg / Krieg- Armut
Armut- Demut / Demut- Frieden
Zeilen, die den Twitterern und national- populistischen Schreihälsen unserer Zeit zu denken geben könnten.
Langsam arbeiten wir uns zurück unter die Casati Hütte und gehen noch am Vormittag die Aufstiegsroute unter den steinschlaggefährdeten Abbrüchen zurück zum Eisseepass. Die meisten Spalten sind gut zu sehen, trotzdem ist ständige Vorsicht und ein gespanntes Seil geboten. Wir verweilen noch einmal an den hiesigen Ruinen.
Man trifft hier oben auch seltsame Vögel. Da wäre ein Militariasammler mit seinem Kumpel, der hier oben mit einem Metalldetektor auf der Suche nach Kriegsrelikten ist. In seinem Privatmuseum hat er wohl schon einiges zusammengetragen. Dann wären da noch die Mountainbiker, die von der Eisseespitze kommend mutmaßlich über den Langerferner wo auch immer hin wollen. Mirco hatte schon am Vortag einen einsamen Mountainbiker auf dem Suldengletscher beobachtet- Extremsport mit ungewissem Ausgang!
Der weitere Abstieg vom Eisseepass führt nun sehr steil durch eine Felsrinne hinab auf den Suldengletscher. Vor 2 Jahren sind wir hier bei Schnee und Regen ohne Sicht und Sicherung abgestiegen. Absolute Trittsicherheit ist gefordert und Mirco nutzt die Sicherungsmöglichkeit an 2 Eisenankern für die letzten Meter der abschüssigen Felsrinne. Wir landen an einem sehr spaltenreichen Randbereich des Gletschers. Gekonnt manövriert uns Mirco in die Richtung der Hauptspur, an der wir auf Bergführer der Alpinschule mit ihren Gästen treffen. Da wäre Ernst, der nach meiner Rechnung 71 Jahre alt ist und Peter, mit dem Mirco gut befreundet ist. Bald erreichen wir den flach verlaufenden, spaltenfreien Teil des Suldengletschers und wenig später die Bergstation der Seilbahn, die uns zurück nach Sulden bringt.
Es war eine tolle Tour in diesen 2 Tagen mit Mirco. Wir haben die Tour sehr genossen- für mich war es ein Déjà vu, für Doro ein großartiges Erlebnis nach langen Jahren mal wieder in alpinen Gletscherregionen unterwegs zu sein. Einen Schlusspunkt setzen wir noch auf der Sonnenterasse unseres Hotels bei einem Stück Torte.
Es ist Donnerstag, wir nutzen den heutigen Tag für Einkäufe. In Prad kaufen wir noch etwas Wein aus der Region ein. Im Martelltal kaufen wir noch geräucherte Wurstwaren und Käse aus Hofproduktion. Die Marteller Erdbeeren bringen neben Marmelade auch einen hervorragenden aromatischen Erdbeerbrand hervor. Mit gut gefülltem Kofferraum wechseln wir aus der Region des Vinschgaus über Meran und Bozen auf die andere Seite des Eisacktals. Ins Blaue hinein habe ich für unsere letzten beiden Urlaubstage ein Hotel in Panoramalage mit Pool in Deutschnofen (ital. Nova Ponente) gebucht.
Ein wenig überwältigt von der fantastischen Lage mit Blick auf Schlern, Rosengarten, Latemar und in der Ferne auf die Brenta lassen wir den noch sonnigen Tag am Pool ausklingen. Auch hier sind wir beeindruckt von dem familiengeführten Betrieb. Mit großer Empathie sorgt sich Familie Pfeifer um das Wohlergehen ihrer Gäste. Den Kochlöffel schwingt die Dame des Hauses mit großem Geschick.
Am Freitag machen wir uns noch einmal auf den Weg ins Vinschgau, um am Eingang des Schnalstals die Burg Juval zu besuchen. Der heutige Burgherr Reinhold Messner hat hier eines seiner sechs Messner- Mountain Museen untergebracht. Bei der Ankunft entscheiden wir aufgrund des hohen Besucheransturms bei dem heute eher regnerischen Wetters den Besuch der Burg auf ein anderes Mal zu vertagen.
Ganz in der Nähe befindet sich ein „Must- See“ des Vinschgaus in Naturns. Die St. Prokulus Kirche zählt zu den ältesten Kirchen aus frühchristlicher Zeit in Südtirol. Die im 7. Jahrhundert erbaute Kirche wurde dem Veroneser Bischof St. Prokulus geweiht. Ein halbes Jahrtausend schlummerten auch hier die um 800 datierten, frühmittelalterlichen Fresken unter einer Putzschicht mit gotischen Fresken aus dem 14. Jahrhundert. Die Geschichte dieses Ortes wird im benachbarten Museum erzählt. Auch die 1923 abgetragenen gotischen Fresken aus dem Innern der Kirche sind hier zu bewundern.
In der Nähe unseres Hotels in Deutschnofen gibt es noch einen Freskenschatz aus der Hochgotik des frühen 15. Jahrhunderts. Das kleine Kirchlein St. Helena, sehr idyllisch neben einem historischen Erbhof gelegen, beinhaltet Bilder von St. Christophorus, St. Helena und ein Bildprogramm um die Geburt Christi. Bei dem eher trüben Wetter hat dieser Ort vor der Kulisse von Schlern, Rosengarten und Latemar etwas mystisches. Eine vorgeschichtliche Kultstätte gab es bereits vor der Kirche an diesem Ort.
Der bedeutendste Wallfahrtsort Südtirols ist das Kloster Maria Weißenstein mit seiner barocken Kirche aus dem 17. Jahrhundert, zu dem uns ein letzter Abstecher führt.
Insgesamt blicken wir auf erlebnisreiche zwei Wochen in Südtirol zurück. Auch das Trentino und die Lombardei als norditalienische Alpenregionen haben wir bei unseren früheren Touren kennen und schätzen gelernt. Es sind die landschaftlichen Facetten zwischen den Gipfelregionen vergletscherter Berge und den grünen Tälern, die diese Regionen ausmachen. Bewahrung von Ursprünglichkeit, Tradition, Landwirtschaft, Handwerk und Kultur und der Anschein von etwas mehr Beschaulichkeit verleihen der Region einen besonderen Charme. Es gibt noch viel zu entdecken in den Norditalienischen Alpen.
Arnd Korbmacher
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