Hamburg 2022
Es ist die Woche vor dem Wochenende Mitte Mai, die ich für den Deutschen Anästhesiekongress im Hamburger Kongresszentrum reserviert habe. Nach 2 Jahren Corona-bedingter Online-Fortbildungen im Home-Office freue ich mich eine der größten Veranstaltungen meines Fachgebietes mal wieder als Präsenzveranstaltung zu besuchen. Das Kongresszentrum wurde gerade erneuert und ausgebaut und seitens Corona ist das Zusammentreffen echter Menschen außerhalb von Cyber-Plattformen endlich wieder möglich. Leider wurde auch diese Veranstaltung kürzlich zum Online-Event ge-switched, nein- nicht wegen Corona, sondern wegen Brandschutzauflagen, die nicht erfüllt wurden- Echt jetzt??
Aber egal, dann zieh ich mir die neuesten Erkenntnisse der Anästhesie und Intensivmedizin wieder mal 2 Tage lang im heimischen Home-Office rein und fahre am Freitagabend trotzdem zusammen mit Dorothee nach Hamburg. Das Quartier, die Anfahrt und auch ein paar Besuche von Sehenswürdigkeiten und Events haben wir bereits vorgebucht. Zunächst erfahren wir am Freitag, dass das Konzert am Samstagabend storniert wird, da der Musiker Seasick Steve an Corona erkrankt ist. Dieses Konzert haben wir bereits als Ersatz für ein ebenfalls verschobenes Musical gewählt- das Thema Corona hat halt weiterhin Bedeutung, auch wenn mittlerweile gefühlte zwei Drittel der Menschen die Masken fallen lassen, da in geschlossenen Räumen keine Verpflichtung mehr besteht.
Freitag 16:00h checke ich noch einmal die Zugverbindung um 17:15h von Wuppertal nach Hamburg, denn für einen Städtetrip können wir aufs Auto wirklich verzichten. „Zug fällt aus“- steht da aber in roten Lettern beim Blick in die Bahn-App- Echt jetzt-im Ernst??? Es geht um den Zug vom Umsteigepunkt Hannover nach Hamburg. Da muss sich was gegen uns verschworen haben. Es handelt sich um einen Kabelbrand in einem Stellwerk in Hamburg, der in den nächsten Tagen den Bahnverkehr in Norddeutschland massiv beeinträchtigen wird wie wir nach kurzer Recherche erfahren. Mit der Befürchtung im Bahnchaos am Freitagabend in Hannover stecken zu bleiben beantragen wir die Stornierung der Bahnreise und starten unseren Diesel.
Hamburg erreichen wir trotz Feierabend- und Reiseverkehr in geschmeidigen 3,5 Stunden ohne wesentliche Staus, obwohl ansteigende Temperaturen und viel Sonne an diesem Wochenende zum Ausflug locken. Ich habe gerade recherchiert, es ist mein 5. Aufenthalt in Hamburg. Im Sommer 1989 habe ich mit Dorothee einen Zwischenstopp in Hamburg auf der Rückreise von Dänemark eingelegt. Im Dezember 1995 habe ich ebenfalls im Rahmen eines Kongresses ein paar Tage in Hamburg gewohnt und mit Dorothee am Wochenende das Musical „Das Phantom der Oper“ besucht. Zusammen mit meinem Schwager haben wir in einer Kult-Kneipe auf der Reeperbahn neben der Davidswache ein Bier getrunken. Ich weiß nicht mehr genau in welchem Hotel wir da waren, ich weiß aber noch dass die „Toten Hosen“ damals im gleichen Hotel wohnten.
Im Juli 1998 haben wir zusammen mit meiner Mutter und ihrer Freundin ein schönes Wochenende in Hamburg verbracht. Unsere Tochter war noch kein Jahr alt, als wir oberhalb der Landungsbrücken im Hotel „Hamburg Hafen“ gewohnt haben. Eine Hafenrundfahrt auf einer kleinen Barkasse durfte nicht fehlen. Erst 19 Jahre später haben wir Hamburg Anfang Januar 2017 mit meiner Mutter und unserer nun erwachsenen Tochter besucht. Auf dem Programm standen dabei die Speicherstadt und das Musical „Der König der Löwen“. In der Speicherstadt besuchten wir das Maritime Museum und das Kaffee- Museum. Der Blick von der Spielstätte des Musicals am Abend vom gegenüber liegenden Elbufer fiel bereits auf die gerade im November 2016 fertiggestellte Elbphilharmonie. Zum Thema Schokolade haben wir im „Chokoversum“ des Schokoladenherstellers Hachez alles über Kakao und Schokolade erfahren und unsere eigene Schokoladen- Kreation hergestellt.
Nun sind wir wieder in Hamburg und checken im Hotel am Kongresszentrum ein. Es ist seit 2016 mit 108 Metern nur noch das zweithöchste Hotel der Stadt und wir erhalten ein Zimmer mit Ausblick in der 21.Etage. Bereits beim Süd-Blick durchs Fenster liegt uns Hamburg bis zu den Hafenanlagen am Horizont zu Füßen. Einen Burger essen wir in der Wein-Bar in der 26.Etage. Nach einem Gin-Tonic genießen wir vor dem Schlafengehen noch den Ausblick auf das das Lichtermeer der Stadt von der benachbarten Terrasse.
Das Hotel liegt benachbart zum Bahnhof Dammtor. Nach dem Frühstück laufen wir zu Fuß durch die Parkanlagen des Dammtorparks „Planten un Blomen“. Dorothee navigiert uns durch die schöne Anlage des alten Botanischen Gartens und durch die Grünflächen der kleinen und großen Wallanlagen zu den Landungsbrücken an der Norderelbe. An den Wallanlagen befanden sich bis vor 200 Jahren die Bastionen und Befestigungen der Stadt, die nach 1815 endgültig ihre Bedeutung verloren haben und daher im Laufe der Zeit geschleift wurden.
Das Untersuchungsgefängnis Dammtor hinter hohen Mauern mit Stacheldraht bietet 482 Haftplätze und ein Zentralkrankenhaus mit 47 Betten. Eine Gedenktafel erinnert an die zentrale Hinrichtungsstätte von 1936-1944, in der 468 Hinrichtungen mit dem Fallbeil vollstreckt wurden. Es war die Zeit, in der allein das Andersdenken den Kopf kosten konnte.
An repräsentativen Gerichtsgebäuden mit klassizistischen Fassaden sowie einer Figurengruppe nebst Reiterstandbild zu Ehren Kaiser Wilhelms I. vorbei erreichen wir St. Pauli. Linker Hand ragt der Turm der St. Michaelis-Kirche auf und im alten Elbpark erhaschen wir einen Blick auf die monumentale Statue Bismarcks, die gerade saniert wird. Um 10:00h erreichen wir das Ausflugsboot, auf dem wir eine 2 stündige Hafenrundfahrt vorgebucht haben. Wir finden noch einen Platz am bereits gut gefüllten Deck. Marlon moderiert diese sonnige Hamburger Hafenrundfahrt mit vielen Informationen und Anekdoten. Entlang des Elbstrands und der besten Wohnlagen im Westen Hamburgs biegen wir in den Hafen ein.
Im Container-Terminal gehen wir auf Tuchfühlung mit dem derzeit größten Containerschiff der Welt, der „Ever Arm“. Mit fast 400 Meter Länge und einer Breite von über 61 Metern können 24000 Schiffscontainer geladen werden. Gut 15 Meter Wassertiefe bietet der Hamburger Hafen und da kommen diese Giganten der Reederei Evergreen bereits ran. Im letzten Jahr hat ein anderes Schiff, die Ever Given den Suezkanal blockiert mit nicht geringen Auswirkungen für den Welthandel, in diesem Jahr havarierte die Ever Forward vor der Ostküste der USA bei Washington. Ein Auslaufen aus dem Gezeiten-Hafen Hamburg ist nur bei Flutpegel möglich.
Durch die Rugenberger-Schleuse unterqueren wir die Köhlbrandbrücke, die seit 1974 die Elbinsel Wilhelmsburg mit der BAB 7 verbindet. Die 3,6 Kilometer lange Brücke ist in die Jahre gekommen und soll bis 2030 abgerissen werden. Mit einer Durchfahrtshöhe von 53 Metern entspricht die Schrägseilkonstruktion nicht mehr den Anforderungen moderner Schiffe. Von Marlon erfahren wir, dass man sich bereits für die teuerste Ersatzlösung entschieden hat, einen Tunnel.
Die Anlagen der einst renommiertesten Werft der Welt Blohm & Voss haben sich heute auf Kriegsschiffe und Luxusjachten beschränkt. Stolz liegen hier die neuen Korvetten der Bundesmarine mit modernsten Waffensystemen, für die es bis heute keine Munition gibt, berichtet Marlon schmunzelnd. Auch russische Oligarchen geben hier gerne ihre Prunk-Jachten in die Obhut der Werft. Weltpolitisch werden wegen des Überfalls auf die Ukraine derzeit solche Objekte Kremel-treuer Oligarchen an die Kette gelegt. Gut 500 Millionen Euro soll die im Dock komplett verhüllte Yacht „Dilbar“ wert sein.
Gekonnt manövriert uns der Skipper durch die engen Kanäle der Speicherstadt, bei sehr wenig Wasser unter dem Kiel, wie uns Marlon verrät. Mit einem schönen Blick auf die Elbphilharmonie an der Spitze des Kaiserkais fahren wir zurück zu den Landungsbrücken.
Am Nachmittag haben wir den Besuch des Miniatur- Wunderlandes in der Speicherstadt auf der Agenda. Seit 22 Jahren wächst hier eine Welt mit 10 Themengebieten im Maßstab 1:87 auf einer Fläche von über 1500 Quadratmetern heran. Bis heute haben sich die Baukosten der Anlage auf 37,2 Millionen Euro aufsummiert. 53 Computer steuern all das was sich hier bewegt. Es ist ein erschlagendes Erlebnis bei dem unglaublich viele Details zu entdecken sind. Im Jahr 2000 hatte Frederik Braun, einer der vier Gründer des Projekts die Idee die größte Modelleisenbahn der Welt zu bauen. Er hat es durchgezogen und es ins Guinness Buch der Rekorde geschafft. Über 1 Million Besucher lassen sich jedes Jahr von diesem unglaublichen Modellbauprojekt verzaubern. Man muss das gesehen haben.
Wir haben viel gesehen an diesem Samstag und wechseln am späten Nachmittag in das angesagte Schanzenviertel, wo wir im Café und Deli „Bullerei“, das seit 2009 von Tim Mälzer mit seinem Partner Patrick Rüther betrieben wird essen gehen. Im hippen Ambiente der denkmalgeschützten ehemaligen Viehmarkthalle lassen wir uns mit einem köstlichen Menü versorgen und fühlen uns auch mit dem freundlichen Service gut aufgehoben. Promikoch Mälzer himself ist auch da, lässt sich gerne von den einen oder anderen Mädels zum Selfie bitten und nickt auch uns zur Begrüßung freundlich zu.
Durch das Schanzenviertel erreichen wir den Schanzenpark auf dessen höchstem Punkt 28 Meter über Normalnull seit 1910 ein historischer Wasserturm steht. Als ehemals höchster Wasserturm Europas wurde das Gebäude nach zweieinhalb jähriger Bauzeit 2007 zum Hotel umgebaut. In den Wiesen haben sich mit Ausrichtung nach Westen unzählige Jugendliche niedergelassen. Wir setzen uns eine Weile auf eine Bank und tun es den Anderen gleich. Durch das Blattwerk der Bäume fällt das warme Licht der untergehenden Sonne und dabei lassen sich die Zuschauer ihre mitgebrachten „Sundowner“ schmecken.
Auf dem Weg zurück zu unserem Hotel geht es am Messegelände vorbei durch die Grünflächen des „Planten und Blomen“- Parks, wo Modellbauer ihre Modellschiffe in ihrem Hamburger Modell-Hafen zu Wasser lassen. Wir genehmigen uns unseren Sundowner noch einmal auf der Terrasse in der 26. Etage unseres Hotels. Über dem Lichtermeer der Stadt steht ein fast voller Mond.
Am Sonntag habe ich 2 Karten für das 8. Philharmonische Konzert in der Elbphilharmonie ergattert. Es steht ein Konzertprogramm mit dem Klavierkonzert Nr.2B-Dur op.83 von Johannes Brahms an. Der prominente Pianist Rudolf Buchbinder und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg mit dem Dirigenten Kent Nagano bereiten uns an diesem Vormittag ein furioses Klangerlebnis auf höchstem Niveau in einer der besten Konzerthallen der Welt. Die Symphonie Nr.7 E-Dur von Anton Bruckner, einem Zeitgenossen Brahms bildet den 2. Teil des Konzertes.
Es ist ein durchaus beeindruckender Konzertsaal, in dem 2100 Gäste Platz finden und in dem kein Platz mehr als 30 Meter vom Dirigentenpult entfernt ist. Die gesamte Konstruktion des Saals, der schalldicht nach außen entkoppelt ist wurde auf die perfekte Akustik ausgelegt. Vom international renommierten Experten Yasuhisa Toyota wurde die perfekte Klangwirkung im Saal konzipiert, wofür der gesamte Raum mit 10000 CNC-gefrästen Gipsfaserplatten ausgekleidet wurde- jede einzelne ein Unikat.
Das neue Wahrzeichen Hamburgs befindet sich auf der Spitze des Kaiserkais zwischen Sandtorhafen und Grasbrookhafen wo seit 1875 der Kaiserspeicher stand. 1963 wurde dieser gesprengt und bis 1966 durch den Kaiserspeicher A ersetzt. Das Backsteingebäude bildet heute das Fundament für die Elphi, wie der Hamburger sein neues Konzerthaus liebevoll nennt. Ja- die Architektur ist etwas Besonderes und wirkt wie ein Edelstein mit seiner gläsernen Fassade und dem wellenförmigen Dach. Ein Edelstein, der für 77 Millionen Euro angeboten wurde und dessen Kosten am Ende mit 866 Millionen Euro auf mehr als das 11-fache anstiegen. Wir alle haben das in den Medien verfolgt. Eine Investition, die sich scheinbar amortisieren wird.
Einen fantastischen Blick hat man aus 37 Metern von der umlaufenden Aussichtsterrasse, der sogenannten Plaza. In dem heute höchsten Gebäude der Stadt befinden sich auch ein Hotel, Gastronomie und private Luxusimmobilien. Wir holen uns auf dem Rückweg zum Hotel beim Bäcker noch etwas zu Essen und zu Trinken, suchen uns in einer der Parkanlagen einen chilligen Platz für ein Picknick und sind vor dem Höhepunkt des Wochenend- Rückreiseverkehrs bereits auf dem Weg nach Hause.
A.Korbmacher
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