Prag 2019- Jahreswechsel in der Goldenen Stadt
Für den Jahreswechsel nach 2020 haben wir uns die Hauptstadt Tschechiens ausgesucht. Wir beschließen zusammen mit unserer Tochter Anne ein arbeitsreiches aber auch erlebnisreiches Jahr 2019. Wir haben mit Anne viele Hauptstädte Europas bereist, wobei sie bei einigen Trips doch noch recht klein war. Ihre Frage „War ich da eigentlich schon ?“ finde ich zumindest amüsant. Gute 650 Kilometer fahren wir am Freitag direkt nach Weihnachten zu unserem Ziel über Leipzig und Dresden. Beim Tankstop hinter der Grenze fallen uns die zahlreichen Vietnamesen- Shops auf, in denen so ziemlich alles legal und illegal verramscht werden soll. In der Provinz hat der ehemalige Sozialismus nicht nur in der Fahrbahndecke seine Spuren in den Orten hinterlassen.
Aus meiner Kindheit habe ich Prag als Filmkulisse der Kinderfilm- Serie Pan Tau in Erinnerung. Der Schauspieler Otto Šimànek spielte pantomimisch die geheimnisvolle Gestalt des Pan Tau. Kinder sowohl im damals sozialistischen Osten als auch im Westen waren verzaubert von dem sympathischen Kerl mit seiner Zaubermelone. In der Serie hatte Ivana Zelníčková 1970 einen kleinen Auftritt. Einen großen Auftritt hatte das Model dann später von 1977-1990 unter dem Namen Trump als erste Frau des Milliardärs und derzeitigen US- Präsidenten Donald Trump. Apropos Donald- Pauli der kleine Maulwurf war ein tschechischer Zeichentrick- Export aus Prag, der mich Ende der 60er und eine ganze Generation später auch meine Tochter verzückt hat.
Mit Prag bringe ich auch die goldene Stimme von Prag in Verbindung- sie gehörte Karel Gott, der in diesem Jahr am 1. Oktober unter großer Anteilnahme der Bevölkerung in Prag gestorben ist- Das Titellied der Biene Maja klingt mir bis heute in den Ohren- soweit zu meinen Vorab- Assoziationen mit Prag.
Bereist habe ich Tschechien 2010 bei einem Ausflug mit dem Motorrad von Thüringen aus über Franzensbad und Marienbad, den herausgeputzten Kurorten im Westen Tschechiens. Im Frühjahr diesen Jahres war ich ganz angetan von der Budweiser Altstadt, ebenfalls Zwischenstation auf einer meiner Motorradtouren.
Unser Hotel in Prag liegt zentral am nordöstlichen Rand der Altstadt an der Straße Na Poříčí. Von hier können wir die zentralen Stadtteile fußläufig erreichen. Mit 1,3 Millionen Einwohnern liegt die Stadt an der Moldau, die nach 430 Kilometern vom Quellgebiet aus dem Böhmerwald kommend 40 Kilometer hinter Prag in die Elbe mündet. Bei nachweislicher Besiedlung seit der Frühgeschichte wurde Prag bereits um 1230 in den Status einer königlichen Stadt erhoben. Als königliche und kaiserliche Residenzstadt im Heiligen Römischen Reich regierten hier Přemysliden, Luxemburger und Habsburger. Ihren politisch- kulturellen Höhepunkt erreichte die Stadt im 14. Jahrhundert unter Kaiser Karl IV. aus dem Geschlecht der Luxemburger mit entsprechender Bedeutung Prags als Hauptstadt des Heiligen Römischen Reichs .
Prag kann gleich mit 14 Welterbe- Stätten der UNESCO aufwarten und hat seit 1348 mit der Karls- Universität die älteste Universität Mitteleuropas. Die „Goldene Stadt“, wie Prag auch genannt wird hat auch heute noch ein geschlossenes Stadtbild aus Gotik, Barock und Jugendstil und ist jährlich mehr als 5 Millionen Touristen eine Reise wert.
Wir gehen am Freitag noch eine Runde durch das Viertel um den Platz der Republik (Náměstí Republiky). Ein monumentales Jugendstil- Gebäude vom Beginn des letzten Jahrhunderts ist das ehemalige Gemeindehaus (Obecní Dům). Wir passieren den 60 Meter hohen, gotischen Pulverturm (Prašná Brána), eines der Zugangstore zur Altstadt aus dem 15. Jahrhundert. Auf dem Weg zurück zum Hotel kommen wir noch an der Kirche St. Peter am Poříčí vorbei, deren Ursprung auf die 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts zurückgeht.
Am Samstag wenden wir uns dem Altstädter Ring (Staromeskské Námestí) zu. Es ist der älteste und bedeutendste Platz der Prager Altstadt. Über den Platz verläuft der alte Königsweg der Böhmischen Könige zum Veitsdom auf der Prager Burg. Umsäumt von historischen Gebäuden unterschiedlicher Baustile sind besonders das Altstädter Rathaus aus dem 14. Jahrhundert mit seiner Astronomischen Uhr von 1410 und die Teynkirche (Baubeginn Mitte 14.Jh.) zu nennen.
Auf dem Platz steht ein monumentales Denkmal zu Ehren des böhmischen Reformators Jan Hus. Der Theologe spaltete bereits 100 Jahre vor Martin Luther die Kirche und endete 1415 in Konstanz dafür auf dem Scheiterhaufen. Nach seinem Tod entstand im 15. Jahrhundert die revolutionäre und reformatorische Bewegung der Hussiten (Bethlehemiten) in Böhmen, die im Juli 1419 zum Aufstand gegen König Wenzel (Sohn Karls IV) und zum ersten Prager Fenstersturz führte, mit der Folge der Hussitenkriege von 1419-1436 . Bis heute wird Jan Hus als Nationalheiliger in Tschechien verehrt.
Die Teynkirche war die Hauptkirche der Hussiten, der Name Teyn beschreibt einen Zollhof (auch Urgelt genannt), der sich hinter den Bürgerhäusern mit einem Arkadengang befindet. Über den Hof gelangt man an das Kirchenportal, in deren barocken Innenraum wir nur einen Blick durch ein Gitter erhaschen können.
Der gesamte Marktplatz steht noch im Lichterglanz des Weihnachtsfestes. Der Dampf der zahlreichen Punschkessel vermischt sich mit Wolken aus Rauch und Bratfett zu dem Duft, der seit Wochen in unseren Städten die Geburt des Herrn ankündigt. Die Geburtstagsparty geht hier 2 Tage nach Weihnachten bereits in die Verlängerung- „Thanks God it’s Chrismas“ dudelt es weiter aus den Lautsprechern- und das Glühwein- Geschäft brummt. An Massen von Partygästen vorbei schieben wir uns langsam durch die Straßen in Richtung Moldau.
Wir erreichen das Rudolfinum, ein Neorenaissance- Gebäude, in dem die Tschechische Philharmonie untergebracht ist. Von den Stufen haben wir einen ersten Blick auf die Burg über dem Viertel der Kleinseite am linken Moldau- Ufer. Einen Moment verweilen wir auf der Mánes Brücke, die zur anderen Seite hinüberführt. Von hier blicken wir nach Süden auf die berühmte Karls- Brücke (Karlův Most).
Josef Mánes steht auf seinem Denkmal- Sockel und hat die Szenerie ebenfalls im Blick. Der tschechische Nationalmaler des 19. Jahrhunderts war ein Vertreter der Romantik. Den Menschenmassen ausweichend schlendern wir entlang der Moldau nach Norden und passieren die Brücken Čechův Most und Štefánikův Most. Dabei kommen wir am mittelalterlichen Konvent der heiligen Agnes von Böhmen vorbei. Zur Zeit befindet sich hier eine Ausstellung mittelalterlicher Kunst Böhmens und Mitteleuropas, die unser Interesse weckt, mit dem Plan eines Besuchs am nächsten Tag.
Direkt in der Nähe unseres Hotels durchstreifen wir noch die Ausstellung des Prager Stadtmuseums im Stadtteil Florenc. In dem Ende des 19. Jh. errichteten Neorenaissance- Bau erhalten wir Gelegenheit die Prager Stadtgeschichte an uns vorbeiziehen zu lassen. Besondere Themen in der Stadtgeschichte sind u.a. der Prager Frühling mit dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts 1968 und die Samtene Revolution 1989, die zum Ende der sozialistischen Diktatur und zur Teilung in die separaten Republiken Tschechien und Slowakei 1993 führte.
Auf 20 Quadratmetern gibt es ein historisches Stadtmodell mit mehr als 5000 Papierhäusern zu bestaunen. Antonín Langweil 🙂 (Nomen est Omen !) hat das Modell in 11 Jahren 1837 fertiggestellt. Eine Fotoausstellung des 1934 geborenen Fotografen Joana Dezorta gewährt besondere Einblicke in Prags Stadtgeschichte.
Am Abend gönnen wir uns ein besonderes Abendessen in einem ambitionierten Restaurant an der Moldau und genießen die köstlichen Offenbarungen aus der Küche. Gerne lassen wir uns dazu eine Weinbegleitung gefallen. Zu später Stunde haben sich die Gassen etwas geleert und auch die X-mas Party am Altstadtring neigt sich für heute dem Ende zu. Zufrieden wanken auch wir unserem Nachtlager entgegen.
Am Sonntag haben wir uns den Besuch des Jüdischen Viertels von Prag vorgenommen. Das Judentum ist eine der ältesten monotheistischen Religionen der Menschheit- eine mehr als 3000 Jahre alte Kultur, die noch Anfang des 20. Jahrhunderts zum gewohnten Bild in den Städten Europas gehörte. Den Geburtstag des Juden Jesus haben wir ja gerade zum 2019. mal gefeiert. Prag hat bis heute sein jüdisches Viertel, in dem jüdisches Leben seit dem 10. Jahrhundert nachweisbar ist. Die Prager Judenstadt (seit dem 19.Jh. Josephstadt) entstand im 13. Jahrhundert.
Bereits 1349 kam es zu Pogromen gegen jüdische Mitbürger in Europa, die auch als Pestpogrome unter der Herrschaft Karls IV. in die Geschichte eingingen. Im Zusammenhang mit der Pest- Pandemie in Europa verbreitete sich die Behauptung Juden würden die Brunnen vergiften. Fatale Fake- News lange vor der Erfindung des Internets und lange vor dem Eintritt ins Postfaktische Zeitalter. Seit dem Mittelalter war die jüdische Bevölkerung verpflichtet im jüdischen Ghetto zu leben- erst 1848 wurde diese Form der „Ausgrenzung“ nach 500 Jahren aufgehoben. Der Holocaust, das dunkelste Kapitel für jüdische Mitmenschen in Prag und Europa begann aber bereits 90 Jahre später mit der Pogromnacht der Nationalsozialisten am 9. November 1938.
Holocaust- dieser Begriff beschreibt die Hölle, der eine unscharfe Zahl von 6 Millionen Menschen jüdischen Glaubens in Europa zum Opfer gefallen sind. Jeder einzelne Mord des perfide organisierten Terrorsystems einer selbsternannten Herrenrasse ist historisch gesichert und darf niemals vergessen, verharmlost oder verzerrt werden. Ganz in der Nähe von Prag in Terezín gab es eine der vielen Tötungsfabriken des Dritten Reichs – der deutsche Name ist Theresienstadt. Die letzten hochbetagten Überlebenden und Zeitzeugen verstummen langsam. Macht darf nie ohne Kontrolle bleiben- Meinungsfreiheit, Streitkultur und freier, unabhängiger Journalismus sind die Schlüssel um Korruption und Macht- Missbrauch zu verhindern. Despoten und Nationalisten demontieren demokratische Grundwerte wie Rede- und Pressefreiheit, interpretieren Gesetze neu und führen Europa und die Welt ins Chaos- der „Best President Ever“ macht’s ja schließlich vor.
Im jüdischen Viertel befindet sich die älteste Synagoge von Prag, eine der ältesten erhaltenen Europas aus dem letzte Drittel des 13. Jahrhunderts- die Altneusynagoge. Sagen und Legenden ranken sich um das gotische Gotteshaus. Auf dem Dachboden sollen Reste des Golems liegen, ein künstliches Wesen aus Ton, das der große Rabbi Löw (1520-1609 ) zum Schutze der Gemeinde geschaffen und mit einem Shem (Geheimformel aus Pergament) belebt haben soll. Zum Sabbat gewährte der Rabbi dem Golem immer eine Ruhepause vom Shem. Als er das einmal vergaß wurde der Golem sauer und schlug alles kurz und klein. Da gab’s nur noch eins- Shem für immer weg und Golem auf den Dachboden- dort soll er dann zu Lehm zerfallen sein.
Mit dem Touristenstrom bewegen wir uns in Richtung des alten jüdischen Friedhofs. Ein wenig schmunzeln muss ich schon beim Anblick der Aufschrift eines Lieferwagens von King Salomons koscherem Essen auf Rädern. Zunächst betreten wir die Pinkas- Synagoge aus dem 16. Jahrhundert. Die alphabetische Inschrift von 78000 Namen jüdischer Bürger aus der ehemaligen Tschechoslowakei erschlagen den Besucher der heutigen Holocaust- Gedenkstätte. In den Räumen des Jüdischen Museums befinden sich Gegenstände und Kinder- Bilder aus dem KZ.
Adolf Eichmann, Protokollführer der Wannseekonferenz und Hauptorganisator des Holocaust ließ bereits 1943 ein Jüdisches Zentralmuseum zur Dokumentation der untergegangenen jüdischen Rasse in Prag einrichten- Die selbstgerechte Krönung des Lebenswerks eines pflichtbewussten Massenmörders, selbst Opfer eines außer Kontrolle geratenen Systems ? Nach seiner Flucht nach Argentinien gelang dem israelischen Geheimdienst Mossad 1960 die Festnahme Eichmanns, der sein Handeln selber bis zuletzt als reine Pflichterfüllung sah. Was für ein Beispiel dafür, das die Natur des Menschen alles andere als ein Garant dafür ist, das das ethisch- moralisch Undenkbare das Machbare aushebelt. Eichmann starb am 1. Juni 1962 in Jerusalem am Strang.
Auf dem angrenzenden, alten jüdischen Friedhof aus der 1. Hälfte des 15. Jh. befinden sich auf der kleinen Fläche von nur 1 ha 12000 Grabsteine – man geht davon aus, das die Gebeine von 100000 Menschen hier liegen. Der älteste Grabstein ist von 1439, auch Rabbi Löw liegt hier- es ist einer der historisch bedeutendsten jüdischen Friedhöfe Europas.
Am frühen Nachmittag finden wir uns wieder am Altstädter Ring ein und erleben ein letztes Aufleuchten der herrlichen Hausfassaden und der Teynkirche im Licht der hinter dem Rathausturm versinkenden Sonne. Die vielen Türmchen- Erker an den Kirchtürmen der Teynkirche könnten Modell gestanden haben für Hoghwarts- Castle oder ein Disney- Schloss. Den Plan, den Rathausturm zu besteigen geben wir anhand der Menschenmassen und der damit verbundenen Wartezeit auf. Bei einem Heißgetränk in einem der Cafés ruhen wir uns etwas aus, um uns dann auf den Weg nach Norden zum Konvent der heiligen Agnes von Böhmen (1211-1281) zu machen.
Als Tochter Ottokars I. aus dem Geschlecht der Přemysliden und Constances von Ungarn und als Schwester König Wenzels I. hat die Ordensfrau hier ein Armenspital (erste Erwähnung 1233) gegründet. Es war das erste franziskanische Doppelkloster nördlich der Alpen. In der Blütezeit verfügte das Kloster über 7 Kirchen und zwei Kreuzgänge. Von der ursprünglichen Anlage sind noch der Kapitelsaal, das Refektorium und ein Kreuzgang erhalten geblieben. Von der St. Franziskus- Kirche, die im Jahr 1234 geweiht wurde ist heute nur noch der Chor erhalten.
Messingstreifen im Boden weisen auf die Königsgräber Wenzels I. (1205-1253) und seiner Frau Kunigunde von Staufen (1202-1248) hin. Auch Agnes, selbst Prinzessin hat hier in ihrer Wirkungsstätte die letzte Ruhe gefunden. Eine schmuckvolle Grabplatte der Kunigunde von Ungarn (1245-1285), Schwiegertochter Wenzels I. (Ehefrau von Přemsyl Ottokar II.) befindet sich ebenfalls im Chor der Kirche. Von einem Kapitell aus der Erbauungsphase vor fast 800 Jahren blickt eine Gruppe gekrönter Häupter auf uns herab. Wir genießen die Stille in den Räumen des Klosters, in die sich eher wenige Leute verirren. Wir finden im Anschluss ein schönes Restaurant an einem Platz hinter der Teynkirche.
Der Montag bringt Sonnenschein bei kühlen Temperaturen im niedrigen Plusbereich. Mit der Straßenbahn fahren wir hinüber auf die andere Seite der Moldau auf die Kleinseite unterhalb der Prager Burg. Ein langer Treppenaufstieg führt uns hinauf zur Prager Burg, dem größten zusammenhängenden Burgareal der Welt. Sie umschließt den Prager Stadtteil Hradschin auf dem gleichnamigen Berg, deren Anfänge auf das 9. Jahrhundert zurückgehen. Von hier kann man sich einen schönen Blick über die Stadt erkämpfen, denn wir sind wieder mitten drin- im Touristenstrom. Nach einer Sicherheitskontrolle am östlichen Tor des Tschechischen Regierungssitzes gelangen wir in die Höhenburg, in der sich u.a. das barocke Schloss, der alte Königspalast und im inneren Burghof der gewaltige Veitsdom mit der Königsgruft befinden. Weitere Sehenswürdigkeiten sind die romanische St. Georgs- Basilika und das goldene Gässchen.
Zunächst wenden wir uns der Kathedrale, dem Veitsdom zu. 1344 begann der Bau auf Anweisung des Noch- Kronprinzen Wenzel (1316-1378). Als Ur-Ur- Enkel Wenzels I. ließ er sich 1355 hier als Karl IV. zum Kaiser des Heiligen Römischen Reichs krönen. Vorgängerbauten, gehen bereits auf das 10. Jahrhundert zurück und wie beim Kölner Dom hielten die Bauarbeiten bis ins 20. Jahrhundert an.
Herrlich leuchtet die gotische Kathedrale mit der Goldenen Pforte an der Südseite. Seit dem 11. Jahrhundert ist die Kirche Grablege zahlreicher Monarchen, auch Kaiser Karls IV. Die Öffnung der Kronkammer, in der die anlässlich der Krönung Karls IV. angefertigte Wenzelskrone aufgehoben wird kann nur durch die Zusammenkunft von 7 Schlüsselinhabern erfolgen. Die Krone befindet sich zusammen mit den Reichsinsignien in einer Kammer der Kapelle des Heiligen Wenzels.
Ein überaus prunkvolles Hochgrab aus Silber ist die Ruhestätte des heiligen Nepomuks (1350-1393), dem Patron des Beichtgeheimnisses und Schutzheiligen der Brücken. Er hat derzeit reichlich zu tun an den deutschen Autobahnbrücken 😉 Der Legende nach brach der Priester auch unter Folter nicht das Beichtgeheimnis der im Verdacht der Untreue stehenden Gemahlin des Königs Wenzels IV. Hier ist der Sohn Karls IV gemeint, der mit seiner wenig ruhmreichen Vita als „unnützer, träger und unachtsamer Entgliederer und unwürdiger Inhaber des Reiches“ in die Geschichte auch mit dem Beinamen „Der Faule“ einging. Von mehreren Kurfürsten abgesetzt ließ ihn sein eigener Halbbruder und späterer Kaiser Sigmund wegsperren. Die Ersäufung des Nepomuk von der Karlsbrücke war nur eine der Großtaten des despotischen Trunkenbolds.
Wenzel IV. durfte aber nach 19 Monaten Knast in Wien noch 16 Jahre als König von Böhmen regieren. Er war es auch, der sich mit der aufkommenden Hussitenbewegung anlegte und den ersten Prager Fenstersturz am 30.Juli 1419 heraufbeschwor. Als er hörte, das der Bürgermeister aus dem Fenster des Rathauses geworfen wurde und vom wütenden Pöbel mit Spießen und Heugabeln aufgefangen wurde traf ihn der Schlag, was den Tiefpunkt des deutschen Königtums beendete.
Über den inneren Burghof wenden wir uns der Besichtigung des alten Königspalastes zu, der bis ins 16. Jahrhundert Sitz der tschechischen Fürsten und Könige war. Beeindruckend ist die gotische Vladislav Halle. Im Ludwigsflügel befindet sich der Raum, in dem sich der eigentliche (zweite) Prager Fenstersturz am 23. Mai 1618 ereignete. Es war der Beginn des Aufstands böhmischer Protestanten gegen die katholischen Habsburger, der den Flächenbrand des Dreißigjährigen Krieges in Europa entfachte.
Ganz in der Nähe von Prag ereignete sich am 8.11.1620 die Schlacht am Weißen Berg. Die Schlacht war die erste größere militärische Auseinandersetzung im Verlaufe des 30 Jährigen Kriegs. Die böhmischen Stände unter König Friedrich V. und dessen Heerführer Christian I. (13000 Soldaten) unterlagen den kaiserlichen und bayrischen Truppen der Katholischen Liga (40000) unter Befehl von Bouquoy und Tilly trotz besserer strategischer Lage. In der Folge führte diese Niederlage zur Rekatholisierung in den österreichischen und böhmischen Ländern und zur Durchsetzung des Absolutismus. Am 21.Juni 1621 kam es zur öffentlichen Hinrichtung von 27 Standesherren vor dem Prager Rathaus und zur Verhängung der Reichsacht über die Anführer der böhmischen Stände.
Das älteste Bauwerk Prags, dessen Einweihung auf das Jahr 925 zurückgeht ist die St. Georgs- Basilika. Durch die heutige Barockfassade gelangt man in den romanischen Innenraum. Die romanische Basilika ist Teil einer ehemaligen Benediktinerabtei und Grablege der Přemysliden. Der Bau unter Vratislav I. wurde erst von seinem Sohn Wenzel abgeschlossen. Hier ist es der mit seiner Heiligenlegende in die Geschichte eingegangene Heilige Wenzel. Zu Ehren des Nationalheiligen und Schutzpatron Böhmens wurde im Jahr 2000 sein Todestag am 28. September als Nationalfeiertag in Tschechien eingeführt. Sein imposantes Reiterstandbild befindet sich auf dem Wenzelsplatz in Prag. Durcheinander kommen kann man schon mit dem Namen Wenzel bei der Aufarbeitung der tschechischen Geschichte.
Sehenswert auf der Burg ist das goldene Gässchen, ein mittelalterlicher Wohnbereich an der nördlichen inneren Burgmauer. Erbaut wurden die elf Häuser zwischen 2 Burgtürmen als Wohnbereich der Burgwachen im 16.Jahrhundert unter Kaiser Rudolf II. Entlang des Obergeschosses der Häuser verläuft der Wehrgang in dem heute Waffen und Rüstungen ausgestellt sind. Die liebevoll eingerichteten Räume der winzigen Fachwerkhäuschen vermitteln eine Vorstellung vom Leben in einer längst vergangenen Zeit. Goldschmiede zogen später hier ein, bis die Gasse im 19. Jahrhundert herunterkam und nur noch von armen Leuten bewohnt wurde. Zwischen 1916-1917 lebte und arbeitete in Haus Nr.22 der große jüdische Schriftsteller und Poet Franz Kafka. 1883 in Prag geboren, verstarb er bereits im Alter von 40 Jahren an den Folgen einer Tuberkulose.
Am Nachmittag schauen wir eine Weile den zahllosen Schwänen am Moldau- Ufer zu. Leute mischen sich unter die Schwanenkolonie und die Schwäne lassen sich das gefallen. Durch die Gassen der Kleinseite arbeiten wir uns in Richtung Karlův Most, der berühmten Karlsbrücke vor. Als Teil des Krönungswegs der böhmischen Könige zum Veitsdom gilt die Brücke als Wahrzeichen der Stadt und ist Weltkulturerbe. Der Grundstein der heutigen Brücke wurde 1357 unter Karl IV gelegt. Seit dem 10. Jahrhundert gab es bereits Vorgängerbrücken an dieser Stelle. 30 Heiligen- Skulpturen zieren die Brücke, die älteste des heiligen Nepomuk von 1683. Wer die Brücke menschenleer erleben möchte hat vielleicht beim ersten Tageslicht Glück- ein einziges Geschiebe bei vollem Körperkontakt erfährt man wie wir am Nachmittag. Nach diesem Bad in der Menge sind wir froh in einem Café am rechten Moldauufer dem Trubel auf den Straßen für einen Moment zu entrinnen.
Zur blauen Stunde machen wir uns durch den Stadtteil Můstek auf den Weg Richtung Wenzelsplatz. Zufällig treffen wir auf eine Großplastik des Prager Bildhauers David Černý. Es ist der verspiegelte Kopf von Franz Kafka, der aus zahlreichen horizontalen Schichten besteht. Alle paar Minuten verdrehen sich die einzelnen Schichten und lösen den Kopf auf, um ihn dann in einer anderen Blickrichtung wieder herzustellen- eine tolle Installation des Künstlers von 2014.
Wir erreichen den Wenzelsplatz an seinem nordwestlichen Ende. Eigentlich ist es gar kein Platz, eher eine 60 Meter breite Prachtstraße mit einer Länge von 750 Meter. Auch hier treffen wir auf das nachhallende Weihnachtsfest mit einem Weihnachtsmarkt. Die Gründung des Platzes geht auf die Entstehung der Prager Neustadt unter Kaiser Karl IV 1348 zurück und wurde ursprünglich als großzügiger Marktplatz für den Rosshandel angelegt.
Heute präsentiert sich der Platz als Boulevard, an dessen Ende wir auf das repräsentative Nationalmuseum im Neorenaissance- Stil blicken. Seit dem 17. Jahrhundert steht der Heilige Wenzel hier auf seinem Platz. Das heutige Reiterstandbild wurde Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet.
Der Wenzelsplatz steht für einige Ereignisse der jüngeren tschechischen Geschichte. Im Asphalt vor der Nationalgallerie finden wir die Namen von Jan Palach und Jan Zajíc. Als Zeichen gegen den Einmarsch sowjetischer Truppen setzte sich der Student Jan Palach am 16.Januar 1969 in Flammen und rannte aus Protest gegen die gewaltsame Zerschlagung des Prager Frühlings brennend auf den Wenzelsplatz. Einen Monat später wiederholte Jan Zajíc diese krasse Form des Protestes.
Der Wenzelsplatz steht auch für die Samtene Revolution des Jahres 1989, die als Teil des politischen Wandels Osteuropas den Zerfall des Sozialismus und die Trennung Tschechiens und der Slowakei einläutete. Am 24.November 1989 forderten der spätere Staatspräsident Václav Havel und der spätere Parteivorsitzende Alexander Dubček den Rücktritt des Politbüros der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. Die Zahl der Demonstranten wurde auf 800000 Menschen geschätzt. Parallel zu den Ereignissen in Ost- Deutschland straften die Menschen mit dieser Kundgebung die Politbüro- Funktionäre einmal mehr Lügen bezüglich ihrer Einschätzung des Sozialismus. Nach der Überzeugung Erich Honeckers wäre dieser ja nicht einmal mit Ochs und Esel aufzuhalten- kompletter Realitätsverlust im real existierenden Sozialismus!
Aber auch die freie Marktwirtschaft hat ihre Tücken- gegen den amtierenden Ministerpräsidenten Andrej Babiš fanden im Juni 2019 die größten Proteste der letzten 30 Jahre auf dem Wenzelsplatz statt. Bis zu 250000 Menschen forderten den sofortigen Rücktritt Babiš wegen offensichtlicher Verstrickungen im Korruptionssumpf. Der Verdacht der Veruntreuung von EU- Geldern im 2- stelligen Millionenbereich steht dabei im Raum Die staatsanwaltliche Ermittlungen laufen. Babiš gilt als einer der reichsten Männer des Landes und gibt das Geld daher sicher bald zurück, um damit viel Gutes zu tun !?- nicht selten steht am Ende allerdings bittere Enttäuschung über die Natur des Menschen.
Einen wunderbaren Überblick hat man von den Stufen des ehrwürdigen Nationalmuseums auf den historischen Platz- Wenzel auf seinem Pferd könnte viel erzählen über die Ereignisse auf seinem Platz- wir fahren mit der Metro zurück zur Station Florenc.
Der 327 Meter hohe Hügel Petřín ist unser Ziel am Dienstag, dem letzten Tag des Jahres. Der Berg liegt südlich des Hradschin. Eine Standseilbahn führt seit 1891 hinauf auf den bewaldeten Aussichtsberg, auf dem ein 64 Meter hohe Aussichtsturm steht. Der Turm ist dem Pariser Eifelturm nachempfunden und bietet nach einem Aufstieg über 299 Stufen einen 360 Grad- Panoramablick über Prag. Auf dem Berg steht die sogenannte Hungermauer, Teil der Wehranlage, die Karl IV zur Verteidigung der Stadt gegen Angriffe von Süden und Westen bauen ließ. Neben der Standseilbahn und dem Aussichtsturm gibt es auf dem Petřín ein historisches Spiegelkabinett. Den Spaß einmal durch die Zerrspiegel des Kabinetts zu spazieren lassen wir uns nicht nehmen. Auf einem Diorama gibt es eine weitere Lektion in Sachen Geschichtsaufarbeitung.
Eine Schlachtszene zeigt eine wilde Auseinandersetzung auf der Karlsbrücke zwischen schwedischen Soldaten und der Prager Bevölkerung, hier Prager Studenten. Mit dem Mut der Verzweiflung schlug die Bevölkerung Prags den letzten Generalsturm der Schweden am 25. Oktober 1648 zurück. 800 Schweden wurden getötet oder verwundet, obwohl am 24. Oktober 1648 in Münster der Westfälische Frieden längst beschlossen war. Die Belagerung Prags vom 25.7- 01.11.1648 ist neben der Schlacht von Dachau die letzte große Auseinandersetzung des 30- jährigen Krieges. 219 Prager, davon 100 Soldaten wurden getötet, 475 verwundet. Anfang und Ende der Katastrophe die Europa in Schutt und Asche legte stehen in direktem Zusammenhang mit dieser Stadt. Beim Abzug nahmen die Schweden bedeutende Kunstschätze mit die noch heute in Stockholm besichtigt werden können.
Bis zur Mittelstation der Seilbahn steigen wir hinab vom Petřín- Hügel und überqueren dann die Moldau über die Brücke der Legionen (Most Legií). Mit Blick über die Moldau nach Norden auf die Burg und die Karlsbrücke fangen wir die letzten Sonnenstrahlen des Jahres ein. Mit der Metro fahre ich mit Dorothee noch einmal zum Nationalmuseum. Das Prachtgebäude im Stil der Neorenaissance wurde 1818 als Vaterländisches Museum von Böhmen erbaut. Bei unserem Besuch durchstreifen wir das Gebäude allein schon wegen seiner sensationellen Haupthalle. Die Samtene Revolution wird in einer kleinen Ausstellung besonders beleuchtet, interessant ist auch eine Sonderausstellung die sich mit dem Thema der auf britischer Seite kämpfenden tschechischen Jagdflieger im WWII befasst.
Den letzten Abend des Jahres lassen wir auf der Neujahrsparty im Hotel ausklingen. Prag ist wirklich eine Reise wert und hat trotz des hohen Touristenaufkommens Spaß gemacht. Um alles zu erkunden war die Zeit zu knapp, so das wir gerne noch einmal wiederkommen. Entspannt fahren wir am Neujahrsmorgen bei ungewohnt geringem Verkehr nach Hause.
A. Korbmacher
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