Mit Ski unterwegs im Trentino und im Engadin 2024
So langsam endet die dunkle Jahreszeit, die auch in diesem jungen Jahr 2024 keine anhaltende weiße Pracht über unsere Breiten gebracht hat. Der reichliche Regen hat aber hoffentlich den Boden gut durchfeuchtet, denn im letzten Jahr gab es immer wieder Schlagzeilen über zu trockene Böden und leere Talsperren. Das Naturerlebnis Schnee möchten wir nicht missen und so haben wir uns dafür diesmal eine Woche in der ersten Märzhälfte ausgesucht.
Wir werden die eine Wochenhälfte bei unseren Freunden Sylvana und Walter in Vermiglio im Trentiner Val di Sole verbringen und danach hinüber in die Schweiz auf das Berghaus Diavolezza im Angesicht der hohen Gipfel der Bernina umziehen. Hier werden wir 4 Nächte auf annähernd 3000 Metern verbringen, um uns für eine geplante Trekking-Tour in Nepal im Everest-Gebiet Anfang April etwas Höhengewöhnung abzuholen.
Nach einem Nachtdienst hole ich mir ein paar Stunden tiefen Schlaf ein. So können wir uns am Freitag, nachdem Dorothee die Praxis abgeschlossen hat schon zeitig auf den Weg machen. Unsere Fahrten mit dem Auto Richtung Süden versehen wir seit einigen Jahren mit einer Zwischenübernachtung, um damit die Strecke von gut 1000 Kilometern ins Trentino deutlich zu entschärfen. Ein Quartier stecken wir gerne im Fränkischen, zwischen Würzburg und Nürnberg ab, diesmal in einem Weingasthof im unterfränkischen Wiesenbronn. Gut 400 Kilometer haben wir die weitere Anfahrt am Samstag damit abgekürzt. Das Hotel ist ein Familienbetrieb und der Urlaub fängt am Abend mit einem schmackhaften Abendessen und einem kräftigen fränkischen Rotwein an. Die verarbeitete Traube nennt sich „Acolon“ und wurde 1971 erstmals aus Lemberger (Blaufränkisch) und Dornfelder gekreuzt.
Die Weiterfahrt am Samstag führt uns über Nürnberg und München nach Innsbruck, von wo uns die Brenner-Autobahn zwischen den Gipfeln der Stubaier- und der Zillertaler Alpen über die Passhöhe auf 1370m hinüber nach Südtirol bringt. Es sind an diesem Wochenende starke Schneefälle gemeldet, so bleiben wir bis Mezzolombardo auf der Autobahn A22 und zweigen hier ab in das Val di Non. In Cles kaufen wir im Supermarkt etwas ein, fahren weiter nach Malè und erreichen über das Val di Sole bald unser vertrautes Quartier in Vermiglio. Ich habe in den letzten Berichten über unsere Reisen hierher schon viel über das kernsanierte alte Haus im Ortsteil Cortina geschrieben, in dem Sylvana und Walter ein schmuckes B&B betreiben.
Das Motto ihres gastlichen Hauses haben sie an der Wand über dem Frühstückstisch mit diesem Text in Worte gefasst:
„In diesem Haus sind wir echt, wir machen Fehler, umarmen uns, vergeben uns, lieben uns und es ist ein Ort des Friedens, ein Zufluchtsort nicht nur vor Unrecht, sondern auch vor jeder Angst, Zweifel und Unordnung. Bitte seid glücklich und lächelt jeden Tag.“
Walter e Sylvana
Diese Zeilen geben letztlich das wieder, was wir hier an diesem gastlichen Ort bereits mehrfach erfahren durften. Es macht einfach immer wieder Spaß mit unseren Gastgebern über unsere Länder, die Welt und über persönliche Dinge zu sprechen. Es ist aufrichtige Wiedersehens-Freude und nach einem ersten Austausch von Neuigkeiten beziehen wir unser schönes Zimmer. Zusammen mit Sylvana und Walter haben wir uns am heutigen Abend in der Pizzeria „Dei Dossi“ auch mit Mirco und seiner Frau Erika verabredet.
Für Pizzabäcker Fabio und seine Frau Valentina sind wir auch keine Unbekannten mehr, sondern wahrscheinlich die „Tedesci“, die sich hier einmal im Jahr einfinden um eine wirklich gute Pizza zu essen. Für eine Weile gesellt sich noch Giacomo, der Schlagzeuger aus Mircos Musikgruppe zu uns. Als Nachtisch esse ich diesmal ein Semifredo Torrone und das ist nicht von dieser Welt. Es ist ein schöner Abend mit unseren Freunden und der Auftakt für eine Urlaubswoche in den winterlichen Bergen.
Nach einer guten Nacht in unserem Zimmer können wir uns viel Zeit bei Sylvanas tollem Frühstück lassen. Die angekündigten Schneefälle haben eingesetzt und legen eine ergiebige Schneedecke über die Landschaft. Mit dem Blick nach draußen verhallt erst einmal jeglicher Aktionismus, es ist ein idealer Tag um einfach mal zu chillen, zu lesen und Schlaf nachzuholen, der im Alltag oft eher knapp bemessen ist. Am Nachmittag schneit es weiter wie aus Eimern und überall sind Schneepflug und anderes Räumgerät dabei den Schnee von den Straßen zu räumen. Wir nutzen die Sauna in unserem Badezimmer als ideales Kontrastprogramm zu irgendwelchen Outdoor-Aktivitäten. Per WhatsApp-Messenger bekräftigen wir die gestrige, im Raum stehende lockere Verabredung mit Mirco zu einem „Marentl“ in seinem Keller.
Wir kannten diesen Begriff „Marentl“ bislang nicht, laut Mirco steht er in verschiedenen Regionen für Jause oder Brotzeit. Als Hüttenwirt hat Mirco bereits mit eigenen Ziegen Erfahrungen als Senner gemacht. Seinen köstlichen Ziegenkäse durften wir auf seiner Denza-Hütte bereits verkosten. Zusammen mit seinem Vater stellt er auch eigenen Schinken und Salami her. Wir machen uns am späten Nachmittag zu Fuß auf den Weg zu Mirco, während der Schneefall langsam nachlässt. Überall wird immer noch Schnee geräumt. Wir erwischen die falsche Straße und müssen einen Umweg in Kauf nehmen um auf den richtigen Zuweg zu Mircos Haus zu gelangen. Wir sind etwas zu spät und Mirco nutzt bis zu unserer Ankunft die Zeit das Grundstück mit der Schneefräse zu räumen. Es ist ordentlich was runtergekommen, auf dem Berg sicher gut 50 Zentimeter Neuschnee- meint Mirco.
Wir nehmen Platz und Mirco präsentiert uns die hausgemachten Spezialitäten aus seinem Lagerkeller. Selbst Wurst, Schinken, Käse, Wein und andere Köstlichkeiten zu produzieren liegt ihm und seinem Vater Mario, der sich auch zu uns gesellt, am Herzen. Mario ist Maurer und mit seinen 76 Jahren noch sehr aktiv. Stolz zeigt er uns sein schmuckes Haus, in das er selbst sehr viel Schweiß und Herzblut gesteckt hat. Für die Hausschlachtung gibt es einen Räucherofen und einen Lagerkeller, in dem die Würste und Schinken an der Decke aufgehängt reifen. Wir plaudern, essen von den köstlichen Sachen und trinken dazu hausgemachten Wein.
Eine besondere Spezialität kommt mit einem „Genepi“, einem seltenen Alpenkräuter-Schnaps auf den Tisch. Dieser wird mit der geschützten ährigen Edelraute fermentiert, die an schwer zugänglichen Stellen im Hochgebirge wächst. Etwa einen Monat liegt das dem Wermut verwandte Kraut, dessen Menge zum Eigengebrauch streng reglementiert ist auf hochprozentigem Alkohol. Unsere Charge ist eine Besonderheit, denn man hatte sie vergessen und die Fermentierung dauerte so 1 Jahr. Es ist Medizin „molto forza“, der magische Kräfte nachgesagt werden. Zum guten Schluss spielt Mario noch auf seiner Harmonika auf. Nach diesem gastfreundlichen, authentischen Abend, den wir sehr genossen haben machen wir uns durch die winterlichen Gassen Vermiglios auf den Weg zurück zu unserem B&B.
„Wow“- am Montagmorgen lohnt der Blick nach draußen. Sonne und Schnee lassen die Landschaft erstrahlen. Sylvana hilft uns beim Frühstück die Optionen zu checken. Wir entscheiden uns für das Skigebiet Marilleva 1400, von wo wir mit dem Sessellift auf den Monte Vigo 2179m hinauffahren. Mit der gegenüberliegenden Abfahrt zur Passhöhe am Campo Carlo Magno 1680m oberhalb von Madonna di Campiglio gelangen wir an die Grostè- Seilbahn, die uns im Angesicht der Brenta Dolomiten hinauf zum Grostè-Pass auf 2442m bringt.
Im letzten Jahr waren wir zum Saisonende hier und sind in frühjährlicher Landschaft auf der Piste zum Monte Spinale mit Tourenski aufgestiegen. Diesmal toben wir uns mit den Alpinski auf perfekten Pisten aus. Wir befinden uns im Naturpark Adamello-Brenta. Großartige winterliche Bergpanoramen reihen sich um uns, die Westabstürze der Brenta-Dolomiten, gegenüber die Ostwände von Presanella und Adamello. Unsere Mittagspause genießen wir an der Stoppani Hütte unterhalb des Grostè Pass. Im eingerichteten Ursus-Snowpark trainieren einige junge Snowboard- und Trick-Ski-Athleten bemerkenswerte Saltos und Sprünge für die anstehende Veranstaltung der „World Rookie-Tour“.
Am Abend lädt Sylvana zum Abendessen ein, zu dem wir zumindest den Wein beisteuern. Auch Erika und Mirco können es sich einrichten und so sind wir ein weiteres Mal zu einer geselligen Runde versammelt. Das Antipasto zum Prosecco sind kleine pikante Schüttelbrot-Cracker, die mit Frischkäse, Specko oder Salami und Peperoni belegt echte Gaumen-Kracher sind. Ein einfaches Abendessen haben wir besprochen, aber auch einfache Sachen können so lecker sein. Wir essen einen frischen Salat vorweg, dann gibt es Spaghetti Aglio, Olio e Peperoncino- grandios! Und hinterher noch ein Stück vom typischen Casolet aus dem Val di Sole. Es braucht nicht viel um glücklich zu sein- an diesem Abend ist alles vorhanden 🙂
Der Dienstag ist ein besonderer Tag für Dorothee und mich. Wir kennen uns bereits seit 36 Jahren und sind am heutigen Tag seit 30 Jahren miteinander verheiratet. Da wir Sylvana gebeten haben uns an diesem Abend einen Tisch in einem schicken Restaurant zu reservieren, weiß sie natürlich um diesen Umstand und würdigt das mit einer netten Beigabe zu unserem Frühstück. Es besteht weiterhin Lawinengefahr im Skigebiet Pejo 3000 und es bleibt unklar ob im Laufe des Tages eine Freigabe erfolgt. Es ist unser letzter Tag im Val di Sole und wir entscheiden uns hinauf zum Passo Tonale zu fahren.
Am Vormittag nutzen wir die Pisten im nördlichen Teil des Skigebietes, dessen Südhänge am Nachmittag gerne aufsulzen. Die Passhöhe liegt auf 1883m, der höchste Skilift erreicht eine Höhe von 2577m unterhalb des Passo Contrabandieri, dem Schmuggler-Pass. Von hier bietet sich an einem Tag wie heute ein großartiger Blick auf die Nordabstürze der Presanella 3556m mit der Aufstiegsroute über die Sella Freshfield. Auch das gegenüber liegende Gletscherskigebiet unter der Cima Presena 3069m lässt sich von der Abfahrt gut überblicken. Beim Aufsulzen am Mittag wechseln wir dann auch die Seiten und fahren mit der Seilbahn hinauf zum Passo Paradiso 2585m oberhalb des schwarz markierten Steilhangs, der von hier die einzige Möglichkeit für die Talabfahrt bietet.
Vom Passo Paradiso bringt uns die Kabinenbahn über den Ghiaccio Presena hinauf zum Passo Presena auf 3000m. Der Blick nach Norden fällt auf die weitläufige vergletscherte Bergwelt, in der Franco, Bernardo und ich zusammen mit Mirco 2013 zusammen unterwegs waren. Dabei stand auch der Gipfel des Adamello 3554 auf dem Programm, den man von unserem Standpunkt leider nicht sehen kann, da er durch das vorgelagerte Corno Bianco verdeckt ist. Nach den letzten Schneefällen erscheint die Szenerie rund um das „Pian di Neve“ wie mit Zuckerguss überzogen.
Der Schein trügt- was das Auge nicht erkennt ist die Eisdicke der Gletscher, die seit vielen Jahren der Klimaerwärmung geschuldet schwindet. In den letzten Jahren treten vermehrt Relikte, aber auch Soldaten des 1. Weltkrieges aus dem Eis zu Tage. In meinen früheren Berichten habe ich viel über die Schauplätze des „Weißen Krieges“ entlang der Frontlinie geschrieben, die auch hier ihren Verlauf nahm. Wenn man sich anschaut wie weit die Ausdehnung der talwärts fließenden Gletscherzungen in den letzten Jahrzehnten geschrumpft ist, fällt das schon eher ins Auge. Die Auswirkungen des Gletscherrückgangs sind komplex, denn die daraus erwachsenden Probleme werden nicht nur die Alpen- Anrainer betreffen.
Der Schnee auf dem Gletscher ist heute perfekt und macht Lust auf zügige Talfahrten. Es sind hier nur wenig Gleichgesinnte unterwegs, was dem Vergnügen absolut zuträglich ist. Die gestrige Gemengelage im Skigebiet von Madonna di Campiglio habe ich da teilweise problematisch empfunden. Vor 2 Jahren habe ich selbst eine schmerzhafte Erfahrung gemacht, als mich in freier Fahrt ein seitlich aus dem Off einschneidender Snowboarder zerlegt hat.
Unsere Mittagspause machen wir an der Jausenstation Ghiaccio Presena auf 2730m und genießen dabei eine Weile das herrliche „Kaiserwetter“. Unsere letzte Talfahrt bringt uns über den Steilhang unterhalb des Passo Paradiso talwärts zurück zum Passo Tonale. Auf Mircos Empfehlung für guten Specko suchen wir noch das Feinkostgeschäft „Alimentari Matteotti“ unterhalb von Ossana auf.
Beim Betreten des Verkaufsraums verrät uns bereits der intensiv rauchige Geruch von Schinken, dass wir hier goldrichtig sind. Dicht hängen an der Decke unzählige Schinken, das muss wohl der Specko-Himmel sein. 🙂 Es gibt hier allerdings nicht nur Wurst und Schinken, auch die Käsesorten und das Angebot von Spezialitäten in den Regalen machen neugierig. Wir räumen unsere vakuumierten Schätze in unsere Kühlbox im Auto ein und hoffen, dass alles die nächsten Tage am Bernina-Pass unbeschadet übersteht.
In unserem Zimmer organisieren wir unser Gepäck für die morgige Weiterfahrt. Unser Hochzeitstags- Abendessen begehen wir in der Location „Maso Burba“ in Piano di Comezzadura. Wir haben den einfachen, aber adretten Gastraum und die feine Küche in guter Erinnerung. Wir sitzen diesmal in einer gemütlichen Ecke am gekachelten Kamin und lassen uns die guten Sachen auf dem Teller schmecken. Einen Gruß zu unserem Jahrestag finden wir auf dem Pralinenteller zum abschließenden Kaffee, in Schönschrift mit Schoko-Sauce- sehr nett!
Am Mittwoch bereitet uns Sylvana unser letztes Frühstück. Leider musste Walter schon früh los, schickt uns aber noch einen Gruß aufs Handy. Wir werden Ende August wieder in Vermiglio zu Gast sein und melden uns sowohl bei Sylvana und Walter, als auch bei Mirco auf der Denza-Hütte an. Leider steht Mirco dann nicht für eine Bergtour zur Verfügung, da zu dieser Zeit zu viel auf seiner Hütte zu tun ist. Vielleicht gehen wir mit Sylvana und Walter zusammen auf den Monte Vioz und genießen danach den Bergsommer auf der Denza. Wir können uns schlecht losreißen, machen uns dann aber am Vormittag an unseren „Umzug“ in die Bernina.
Es sind lediglich 112 Kilometer, die uns über den Passo Tonale 1883 nach Edolo, über den Aprica-Pass 1176m nach Tirano und über Poschiavo auf den Bernina-Pass 2328m führen. Die Fahrt ist sehr abwechslungsreich, denn im Tal blühen bereits Obstbäume und Magnolien, während sich der Bernina-Pass metertief in den Schnee eingegraben hat. Wir erreichen zeitig die Talstation der Diavolezza-Seilbahn auf 2093m. Wir hatten unseren Aufenthalt auf dem Berghaus Diavolezza bereits frühzeitig gebucht. Wir laden unser Gepäck und Sportgerät an der Laderampe der Seilbahn auf einen Wagen und stellen das Auto auf dem großen Parkplatz an der Seilbahn ab. Ein Ticket für die Bergfahrt ist hinterlegt und völlig stressfrei schweben wir hinauf zur Bergstation auf 2978m.
Das Berghaus, in dem wir für die nächsten 4 Nächte eingeloggt sind ist direkt mit der Seilbahnstation verbunden. An der Rezeption werden wir freundlich von Kathrin empfangen. Sie weist uns unser Zimmer zu und erzählt uns alles über die Abläufe und Essenszeiten. Es entwickelt sich sofort ein nettes Gespräch mit ihr, in dem ich auch gleich erfahre, dass die gebürtige Leipzigerin seit 16 Jahren in der Schweiz lebt. Unser komfortables Zimmer hat ein bequemes Bett und bietet ein eigenes Badezimmer mit einer Duschkabine, also alles was wir benötigen. Es gibt auch eine preiswertere Möglichkeit von Toilette und Dusche auf dem Flur, per Aufpreis gibt es Zimmer mit TV. Uns reicht der Blick aus dem Fenster völlig, denn wir blicken auf das herrliche vergletscherte Panorama der Bernina mit dem Piz Palü 3899m und dem Piz Bernina mit 4048m.
Wir lassen den großartigen Ort, an dem wir uns befinden erst einmal auf uns wirken und erkunden das Berghaus-Plateau, unter dem sich unter den Nordwänden der Bernina- Gruppe der Vadret Pers ausbreitet, der talwärts fließend in den Morteratsch-Gletscher als einen der größten Alpengletscher einmündet. Unser 4-Tages-Skipass gilt ab morgen für das gesamte Gebiet des Oberengadins. In Kombination mit dem Aufenthalt auf dem Berghaus erhalten wir den Skipass erheblich vergünstigt. Auf der Terrasse des Berghauses steht ein Jacuzzi, dessen Buchung neben einem Bademantel sogar die Badehose/Badeanzug inkludiert.
Wir schlafen ausgezeichnet in unserem bequemen Bett, dennoch bemerken wir beide einen ganz diskreten Kopfdruck, obwohl wir den ersten Wochenteil im Trentino nicht im Flachland verbracht haben. Wir haben im letzten Jahr nur beim Aufenthalt am Teide auf Teneriffa Höheneinwirkung erfahren. Um 3 Uhr morgens liege ich wach und draußen funkeln die Sterne. Natürlich habe ich mich bei diesem Aufenthalt auch fotografisch auf die Möglichkeit eingerichtet Nachtaufnahmen anzufertigen. Während Dorothee warm in ihrer Decke eingerollt bleibt, begebe ich mich für eine gute Stunde in die Minusgrade nach draußen und belichte in die Dunkelheit hinein. Ganz klar ist der Himmel nicht und ich bin erstaunt über das nicht geringe Störlicht, das südlich der Bernina vom italienischen Valtellina den Himmel erleuchtet.
Nach reichhaltigem Frühstück am Donnerstag machen wir unsere ersten Abfahrten am benachbarten Sessellift zum Sass Queder 3066m. Der Schnee hier oben ist perfekt und obwohl die Auswahl an Seilbahnen sich auf die Gondel und einen Sessellift beschränkt sind die Pisten großartig und nicht überlaufen. Eine Talfahrt zur Talstation schlägt mit 900 Höhenmetern zu Buche. Am Mittag wechseln wir über die Passstraße an der Talstation hinüber in das benachbarte Skigebiet Lagalp, deren Seilbahn uns zur Bergstation am Piz Lagalp 2959m hinaufbringt. Im Osten ragen die höchsten Gipfel des Stilfser-Joch-Nationalparks, wie Ortler und Königsspitze aus dem Gipfelmeer, im Südosten zeigt mir meine Peak-Finder-App auch den Adamello an.
Ich habe Gelegenheit die steilste Abfahrt Graubündens, die „Minor“ mit 86% Gefälle zu befahren, was in etwa einem Winkel von 41 Grad entspricht. Beim Wechsel zurück zur Diavolezza- Talstation gilt es von der Straße aus einen Anstieg mit schweißtreibendem Schieben und Schlittschuhschritten zu überwinden. Wir fahren wieder hoch auf unser Berghaus, berichten Kathrin über unseren Tag, genießen die heiße Dusche und frische Sachen. Das Berghaus hat seine eigene Kläranlage und wird mit Wasser aus dem Tank der Seilbahn versorgt. Ein ausgeklügeltes System meldet den Wasserstand des Reservoirs am Berg, das dann über die nächste Lieferung wieder befüllt wird.
Am Nachmittag leeren sich die Pisten zunehmend und auf der Terrasse vor dem Berghaus kehrt herrliche Ruhe ein. Nur die Hausgäste sind dann noch hier oben, für mich ist es die ideale Zeit mein Fotogerät für einen Zeitraffer zu installieren, oder diesen Ort im alpinen Hochgebirge mit einem Drohnenflug einzufangen. Um 19 Uhr können wir uns auf unser 4- Gang-Menü freuen, das uns im Gastraum mit Blick auf die Eisriesen serviert wird. Es ist eine gute Stimmung, die uns sowohl von der Küche als auch von den lieben Leuten im Service entgegengebracht wird und das steckt an. Das was wir aus der Küche erhalten ist an jedem Abend ein Genuss. Wir fragen uns was wohl hinter der antiken Holzklappe mit der folgenden Ankündigung steckt?- „Hier befindet sich das Kostbarste in unserem Hause!“. Doro öffnet die Tür und blickt strahlend in einen Spiegel 🙂
In der Nacht habe ich keine Ambitionen für eine weitere Fotosafari und schlafe gut und lange, wobei der leichte Kopfdruck weiter besteht. Am Freitag wollen wir uns an eine ganz besondere Abfahrt wagen, die direkt vor unserer Haustür beginnt. Es ist die 10 Kilometer lange, und damit längste Gletscherabfahrt der Schweiz über den Morteratsch-Gletscher. Die abgesteckte Skiroute ist nicht präpariert und ist dadurch schlecht einzuschätzen. Kathrin hat uns jedenfalls empfohlen die Freigabe am Vormittag abzuwarten und nicht zu früh einzufahren, da die Neuschneeauflage noch sehr eisig und hart sein kann.
Nach ein paar Abfahrten am Sessellift juckt es uns dann doch das Ding durchzuziehen. Anne ist die Route mit ihrer Freundin vor ein paar Jahren abgefahren und berichtet über Schwierigkeiten im oberen Steilstück an der ehemaligen Seitenmoräne des Vadret Pers. Ja gut- auch wir stehen bald in dem Steilhang und mit unserem Fahrkönnen vor dem Problem in dem durchpflügten eisigen Gelände an unsere Grenzen zu kommen. Wir sind aber nicht die Einzigen, die hier rumhampeln und so rutschen und steigen wir einfach seitlich bis zum Gletscher ab.
Es gilt die abgesteckte Route nicht zu verlassen, wir passieren große, tiefe Spalten. Nur zwischen den Fähnchen ist es safe, sicherheitshalber haben wir unsere LVS-Geräte in Betrieb genommen. Wir sind unterwegs auf einem der größten Alpengletscher. Landschaftlich ist es ein tolles Erlebnis und auch ein kleines Abenteuer. Ein wenig sind wir schon froh als wir das Ende des Gletschers erreichen, wo wir uns auf einer Bank eine Weile ausruhen. Wir werden angesprochen ob wir einen Platz auf unserer Bank für einen älteren Herrn frei machen können. Es ist ein wahrlich hochbetagter Skiläufer, der schwer atmend auf die Bank fällt. Beschwerden verneint er- er sei einfach nur kaputt, teilt er uns völlig erschöpft mit.
Die Moränenflanke verrät die Mächtigkeit, die der Morteratsch- Gletscher einst gehabt hat. Das heute freiliegende Geröll am Oberrand ist stark in Bewegung und intermittierend poltern Felsbrocken auf die Gletscherzunge. In der Talstation der Diavolezza-Seilbahn wird über ein Pilotprojekt berichtet, das eine ganzjährige Beschneiung des Morteratsch vorsieht. Über eine beständige Schneeauflage soll so weiteres Abschmelzen verlangsamt werden. Im Trentino und an anderen Orten nutzt man dafür gigantische Abdeckungen aus Kunststoffgewebe. Über den Ziehweg erreichen wir den Bahnhof Morteratsch der Bernina-Eisenbahn. Bis zur Rückfahrt mit dem Zug genehmigen wir uns ein zünftiges Berner Rösti und ich trinke nach diesem Abenteuer ein Erdinger Weißbier- alkoholfrei versteht sich.
Vom Bahnhof Diavolezza gelangen wir mit der Seilbahn zurück zum Berghaus. Jeden Morgen werden über einen Aushang darüber informiert, was der Küchenchef für uns am Abend zubereiten wird. Es sind an allen Abenden köstliche Sachen, die uns sehr gut schmecken und auch sättigen. Am morgigen Samstag findet ein traditionelles Spektakel statt, das mit 34 Austragungen zwischen 1930 bis 1980 hier am Berghaus stattfand. Es ist nach 44 Jahren die Neuauflage des Diavolezza- Glacier Race, ein Volksskirennen bei dem Jedermann und Jedefrau teilnehmen kann. Auf den 8 Kilometern mit ihren 1000 Höhenmetern, über die wir uns heute talwärts gekämpft haben wurden in früheren Jahren Bestzeiten unter 10 Minuten gefahren. Bei der morgigen Austragung wird der Schnellste das Ziel in 13:42 Minuten erreichen.
Die Entscheidung am Samstag fällt auf einen Skitag im Skigebiet Corvatsch in St. Moritz. Sicher wäre auch der Start des Gletscherrennens sehenswert gewesen, es ist aber unser letzter Skitag und so fahren wir vor dem Event die Talabfahrt hinab zur Talstation. Es hat eine Neuschneeauflage gegeben, durch die wir eine frische Spur in den Schnee legen. Die Freude der Abfahrt endet an der Talstation als unsere Ski auf vermeintlich gutem Untergrund mit unschönen Geräuschen zum Stehen kommen. Die neue Schneeauflage schützt nicht vor spitzen Schottersteinen, die tiefe Schnitzer im Skibelag hinterlassen. Wir fahren mit dem Bus nach Pontresina, wo wir nach St. Moritz umsteigen müssen. Mit der Busfahrt machen wir auch gleichzeitig eine Stadtrundfahrt durch diesen mondänen Skiort, in dem prunkvolle Hotels und Nobel-Geschäfte das Stadtbild bestimmen.
Hier steigen wir an der Corvatsch-Talstation im Ortsteil Surlej 1870m aus. An der Mittelstation Murtèl steigen wir um in die Gondel, die uns auf 3303m hinauf zur Corvatsch- Bergstation bringt. Der Blick vom „Top of Engadin“ ist rundum großartig. Tief unter uns liegt nach Nordwesten das Engadiner Tal, durch das übrigens der obere Inn fließt. Von St.Moritz gelangt man am Silvaplanersee und am Silsersee entlang zum Maloja-Pass, dessen Passstraße über Bregaglia nach Chiavenna und weiter Richtung Comer-See führt. Direkt gegenüber blicken wir hinüber auf den Julierpass, der uns morgen von Silvaplana aus nach Norden über Chur zum Bodensee bringen wird. Aus nordwestlicher Richtung reihen sich die Berninagipfel nun aus einer anderen Perspektive, bei der der Gipfel des Piz Palü hinter dem Piz Morteratsch und dem Piz Bernina hervorschaut.
Auf der Terrasse des Gipfelrestaurants teilen wir uns eine Polenta-Suppe. Leider hat sich die Bernina in Wolken gehüllt. Wir machen uns an die Talabfahrt, die mit über 1400 Höhenmetern zu Buche schlägt. Da wir unsere Ski heute Morgen arg ramponiert haben, haben wir uns überlegt den notwendigen Skiservice in der Skiwerkstatt an der Talstation in Auftrag zu geben. Wir werden so auf unserer morgigen Weiterfahrt zum Julierpass nur einen kleinen Umweg machen müssen, um die Ski hier wieder einzusammeln. Für unsere Rückfahrt mit dem Bus haben wir uns so von Ballast befreit und lassen vor der Bergfahrt hinauf zur Diavolezza auch schon Helme, Stöcke und Skischuhe im Auto.
Wir verbringen einen letzten Abend auf unserem wunderbaren Stützpunkt an der Diavolezza. Namensgebend ist der Legende nach eine Fee, die hoch oben in den Felstürmen zwischen dem Chapütschöl und dem Munt Pers lebte. Gelegentlich verließ das wunderschöne Weib ihre Burg hinunter in die Almwiesen, um sich im See zu erquicken. Jäger, die ihr dabei zusahen waren so betört, dass sie der schönen Teufelin in ihr Reich folgten- sie waren dann nimmermehr gesehen. Seitdem spricht man hier oben von „La Diavolezza“. Es gibt hier einige mystische Geschichten und Legenden, die überliefert sind. Wir schauen vor dem Abendessen noch dem Lichtspiel der untergehenden Sonne an den mächtigen Séracs unter dem Gipfel des Piz Palü zu. Eine gewaltige Lawine, möglicherweise ausgelöst durch den Abbruch eines Eisturms habe ich auf einem eingestellten Zeitraffervideo eingefangen.
Am Sonntag lassen wir uns Zeit beim Frühstück und plaudern noch eine Weile mit den guten Leuten auf dem Berghaus und natürlich mit Kathrin mit der Ankündigung, dass wir gerne wiederkommen. Bei der Talfahrt sind wir allein mit dem Piloten in der riesigen Kabine der Seilbahn. Fast lautlos schweben wir die 900 Höhenmeter hinunter ins Tal. Zwar ohne Verletzung, aber mit ordentlich schmerzenden Beinen machen wir uns auf den Weg und holen unsere Ski in St. Moritz ab. Auf dem Weg gönnen wir uns noch einen Blick auf den Morteratsch-Gletscher und die Bernina. Die Ski-Beläge sehen nach dem Service wieder ganz gut aus und sind für den nächsten Trip in den Schnee gerüstet.
Über den Julierpass 2284m fahren wir am Hinterrhein, dann am Rhein entlang über Chur, an Liechtenstein vorbei zum Bodensee, wo wir in Lindau nach 223 Kilometern unser nächstes Nachtquartier aufsuchen. Auch hier übernachten wir in einem familiengeführten Gasthof, wo wir am Abend bestens versorgt werden. Wirklich interessant ist die Trophäensammlung im Frühstücksraum. Anstelle von Rotwild-Trophäen, die in dieser Region ja nichts Ungewöhnliches wären glotzen Köpfe kapitaler Schwertfische und kleinerer Merline auf uns herab. Bilder, Pokale und Urkunden liefern die Erklärung- die Leidenschaft des Seniorchefs ist Hochseefischen in den USA. In 3. Generation steht jetzt der Sohn des Hauses am Herd.
Das Wetter am Sonntag ist einfach nur gruselig und die geplante sonnige Fahrt entlang des frühjährlichen Bodensees wird zu einer trüben Regenfahrt. Wir wollen heute auf unserer Fahrt in die Pfalz einige Einkäufe tätigen. 359 Kilometer sind es bis nach Otterstadt nördlich von Speyer. Hier haben wir uns zu einem gemeinsamen Abend mit Cousine Birgit und ihrem Mann Walter verabredet. Auf dem Weg besuchen wir eine Brennerei in Kressbronn am Bodensee, wo wir in einem Hofladen auch Äpfel vom Bodensee einkaufen.
Über Friedrichshafen fahren wir am nördlichen Seeufer entlang, gehen bei Singen auf die A81 und fahren über Donaueschingen nach Freudenstadt. Wir verlassen die Autobahn und fahren quer durch den Schwarzwald durch das Tal der Murg nach Rastatt. Die Murg ist ein parallel zum Rhein verlaufender Wasserweg, der bei Elchesheim in den Rhein einmündet. Früher haben Flößer das Holz aus dem Schwarzwald auf diesem Wasserweg zum Rhein transportiert. Über die A5/A65 erreichen wir Landau in der Pfalz, wo wir im nahen Siebeldingen noch etwas Pfälzer „Blanc de Noir“- Sekt für zu Hause einkaufen. Bewährt hat sich auch der Einkauf haltbarer Wurstkonserven in der örtlichen Metzgerei von Otterstadt.
Pünktlich um 16:00h klingeln wir wie verabredet bei Birgit und Walter. Wir haben die Beiden vorletztes Jahr im Sommer zuletzt gesehen. Birgit hatte uns eigentlich zu ihrem runden Geburtstag eingeladen, der leider mit dem Beginn dieser Reise kollidiert ist. So passt es gut, dass wir die Gratulation nun noch nachholen können. Es gibt natürlich viel zu erzählen, zunächst bei einem Kaffee und später beim lokalen Italiener im Zentrum von Otterstadt. Am Montag frühstücken wir noch zusammen, bevor wir uns nicht ganz ohne Umweg auf die Heimfahrt machen.
Der Umweg geht über Wachenheim a. d. Weinstraße, wo wir noch unser heutiges Abendessen einkaufen wollen. Es ist pfälzischer Saumagen- aber nicht irgendein Saumagen, es ist der Saumagen vom „Saumagen-Papst“, der von Altkanzler Helmut Kohl hochgeschätzt wurde. Auch als Sterne-Restaurant- Lieferant hat sich die hiesige Metzger einen Namen gemacht- wir sind darauf heute Abend gespannt.
Nach 370 Kilometern erreichen wir unser zu Hause, räumen das Auto und die Taschen aus und kommen nach dieser kurzweiligen, erlebnisreichen Woche mit den vielen gesammelten Eindrücken einfach erstmal an. Der gebratene Saumagen mit Sauerkraut und Bratkartoffeln aus Dorothees Küche ist ein Gedicht auf dem Teller und ein letztes Highlight dieses Trips.
A. Korbmacher
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