Motorradtour DGAI- Kongress Kassel und Wasserkuppe mit Doro
Ich habe mich auch in diesem Jahr zum DGAI- Kongress in Kassel angemeldet und mache mich am Dienstagvormittag mit dem Motorrad auf den Weg. Auf dem Motorrad wähle ich gerne die Navi- Einstellung >Adventure- Mode< – also keine Autobahn, viele Kurven und kleinste Pisten, die mich über die Höhen des Bergischen, des Sauerlandes und durch den Kellerwald am Edersee nach Kassel bringen, wo ich am Nachmittag in der Jugendherberge einchecke. Hier habe ich auch im letzten Jahr genächtigt, denn ich wohne preisgünstig und in fußläufiger Entfernung zur Veranstaltung in der Stadthalle von Kassel, die von Mittwoch bis Freitag angesetzt ist.

Die Kongresslandschaft meines Fachgebietes ist in den letzten Jahren deutlich zusammengeschrumpft. So gab es den Hauptstadtkongress, der sich immer wieder mit einem Besuch in Berlin verbinden ließ. Auch der Deutsche Anästhesie-Kongress tagte im Wechsel in mehreren attraktiven Metropolen Deutschlands- Warum jetzt Kassel für die größte deutsche Tagung der Anästhesie und Intensivmedizin? Die Documenta- Stadt wurde mit dem Bergpark Wilhelmshöhe 2013 zwar von der UNESCO gelistet- von der Attraktivität der Stadt bin ich aber noch nicht wirklich überzeugt.

Ganz in der Nähe finde ich am Dienstagabend mit dem „El Erni“ ein sehr gutes Restaurant. Die Tische im kleinen Gastraum sind leider schon komplett reserviert und die einzige Option ist die mit Gasheizstrahlern beheizte Terrasse. Das kulinarische Erlebnis und der freundliche Service bestätigen mir eine gute Wahl getroffen zu haben. Das Rindercarpaccio und der Wolfsbarsch sind nicht nur Hingucker auf dem Teller. Mehr als gut gesättigt kehre ich zu meinem Nachtquartier zurück.

Meine Unterkunft habe ich ja schon im letzten Jahr mit jugendlichen Schulausflüglern geteilt. Ja- Kindergeschrei ist Zukunftsmusik, aber das Türenknallen der Nachbarzimmer im Sekundentakt übersteigt das erträgliche Maß und so muss ich mich bereits am ersten Abend diesbezüglich klar positionieren. Es kehrt dann auch schon vor der Nachtruhe um 22:00h erlösende Stille auf dem Flur ein.

Am Mittwoch werde ich vor dem Wecker von ohrenbetäubendem Feueralarm geweckt. Da ich keinen Brandgeruch auf dem Flur wahrnehme, ziehe ich mich rasch an und finde mich zusammen mit den anderen Gästen im Hof der Herberge ein. Die Feuerwehr gibt das Gebäude bald wieder frei und ich begebe mich zum Frühstück. Ich erfahre letztlich nicht warum der Rauchmelder in einem der Zimmer ausgelöst worden ist. Wenn da niemand heimlich geraucht hat kann laut Feuerwehr zum Beispiel auch das Versprühen von Deo eine Ursache sein.

Ich gehe die 20 Minuten zur Kongresshalle gerne zu Fuß, da mir die nächsten Tage noch genügend Sitzfleisch abverlangen werden. Auf dem Weg zum „Baum der Erkenntnis“ hole ich mir hier das aktuelle studienbasierte Wissen ab, das für meine tägliche Arbeit relevant ist. Es besteht für Ärzte darüber hinaus eine Fortbildungspflicht. Sehr willkommen ist auch in diesem Jahr die interdisziplinäre Notfallübung vor der Stadthalle. Feuerwehr und Rettungskräfte simulieren dabei mit großem Engagement die Rettung und medizinische Weiterversorgung einer eingeklemmten Dummy- Person aus dem PKW.

Am Abend wähle ich heute eine etwas preisgünstigere Alternative für das Abendessen und finde in der Innenstadt in Bahnhofsnähe ein ganz gutes vietnamesisches Restaurant. Leckere frittierte Frühlingsrollen und asiatische Nudeln mit knuspriger Ente müssen sich nicht verstecken. Vor meinem Zimmer findet der gleiche Psychoterror wie gestern statt. Es dauert eine Weile bis ich im Erdgeschoss eine erwachsene Aufsichtsperson finde, der ich mit Nachdruck mein Problem schildere und die ich eindringlich um Abhilfe bitte. Interessant ist, dass von allein seitens des „Lehrkörpers“ keine Intervention eingebracht wird. Der alte weiße Mann hat es so auch für heute geschafft die Beschallung auf ein erträgliches Maß abzusenken.

Auch am Donnerstag hole ich mir reichlich fachlichen Input durch zahlreiche Vorträge in der Stadthalle ab. Abends habe ich mir einen Tisch in der „Osteria“ reserviert. Bei diesem Italiener habe ich im letzten Jahr sehr gut gegessen. Der freundliche Chef stammt aus dem Friaul und eine Spezialität sind seine süß-sauer eingelegten gebratenen Sardinen, für die ich mich auch diesmal wieder begeistern kann. Auch sein Filetto zum Hauptgang ist der Kracher. Mit meiner Weinentscheidung ist er nicht einverstanden und kredenzt mir zum Fisch lieber einen „Ribolla“ aus seiner Heimat, eine Entscheidung mit der wir beide leben können 😉

Am Freitag quäle ich mich noch durch ein paar ganz interessante Vorträge, bin aber auch schon mit meinen Gedanken bei der Weiterfahrt in die Rhön und meinem Zusammentreffen mit Doro. Gegen 15:00h habe ich das Gepäck auf meiner Transalp verstaut und checke in der Jugendherberge aus. Im Gespräch mit der Mitarbeiterin der Herberge erhalte ich enormen Zuspruch bezüglich meines Protestes gegen die ausufernde Anarchie und das Türenknallen der letzten Tage. Es sind wohl die gleichen Schulklassen mit den gleichen Aufsichtspersonen wie im letzten Jahr, die bezüglich ihres Verhaltens nicht nur mir auf den Geist gegangen sind.

Bei sommerlichen Temperaturen gerate ich in die Rush- Hour Kassels und im Stau wird es rasch unangenehm warm. Ich habe wieder die kleinen Straßen gebucht, die mich in südlicher Richtung rechts und links der A7 durch die hessische Provinz führen. Südlich von Kassel traue ich meinen Augen nicht als ich an einem Weinberg vorbei komme. Eindrucksvoll sind auch die Felder auf denen die kapitalen Köpfe von Weiß- und Rotkohl heranreifen.

Diesmal habe ich mit Doro ein Zimmer im Hotel Berghof Wasserkuppe in Obernhausen fest gemacht, das südlich am Fuß der Wasserkuppe liegt. Doro hat meine neu erworbene Gleitschirmausrüstung im Auto mitgebracht, da ich mit der Flugschule gerne noch einmal ein paar Höhenflüge absolviert hätte. Die Einladung zur Höhenflugbetreuung ist aber bis heute ausgeblieben und ich habe telefonisch die Gründe dafür erfahren. Obwohl wir derzeit noch ein paar tolle Spätsommertage genießen dürfen, durchkreuzen zu starker Wind und ordentliche Böen meinen Plan.

Wie erwartet ist das Flugwetter nicht für Anfänger und wir werden heute auch kaum Schirme an der Wasserkuppe aufsteigen sehen. Nichtsdestotrotz wird es ein fantastischer Spätsommertag und es tut gut mal wieder die Beine bei einer Wanderung in Betrieb zu nehmen. Doros Planung einer Runde von 22 Kilometern werden wir nicht erfüllen. Zu den Gründen dafür komme ich gleich. Ich treffe fast zeitgleich mit Doro auf dem Parkplatz des Hotels ein und wir machen uns einen schönen Abend im Restaurant.

Direkt vom Hotel auf 680 Höhenmetern starten wir und steigen an einem Skilift, an dem ein paar Kühe in der Wiese grasen auf. Die Wiese am Lift nennt sich Zuckerfeld, was eine Infotafel genauer erläutert. Der dritte Rhönwettbewerb im Segelflug 1923 fand inmitten einer Zeit dramatischer Inflation statt. Der gestiftete Preis eines Zuckerfabrikanten bestand aus einer inflationssicheren Währung, es waren zwei Zentner Zucker. Die anspruchsvolle Landewiese für den Zielflugwettbewerb bekam so ihren Namen. Der Aufstieg führt hinauf auf den Eubeberg 814m, von wo wir entlang eines Felsgrats durch wildromantischen Wald zum malerischen Guckaisee mit Badestelle auf 700 Höhenmetern absteigen. Das Ausflugslokal lockt etliche Ausflugstouristen an.

Es folgt ein spannender Aufstieg über den südwestlich der Wasserkuppe vorgelagerten Pferdskopf auf eine Höhe von fast 875 Metern. Wir haben gute Fernsicht und können auch Fulda ausmachen. Auf unserem Weg hinauf zur Wasserkuppe 950m lassen wir uns immer wieder einfach nur zum Staunen nieder. Nein- wir wollen diesen Tag genießen und nicht nur Kilometer machen.

Wenige Segelflieger lassen sich auf Höhe bringen, wobei über der Wasserkuppe kein einziger Gleitschirm kreist. An der Wasserkuppe selbst ist an solchen Tagen immer Hochbetrieb von Ausflüglern. Im Bauernladen im Deutschen Flieger essen wir ein Stück Kuchen und kaufen ein Brot für zu Hause. Auch bei der Papillon- Flugschule schauen wir kurz rein. Nicole und Martina bestätigen uns, dass die Flugschule aus genannten Gründen heute keine Höhenflüge angeboten hat. Den lebhaften Wind und die Böen haben wir beim Aufstieg eher als angenehm kühlend empfunden.

Nördlich umrunden wir den Flugplatz an der Wasserkuppe und gelangen an einen Bildstock aus dem Jahre 1622, der an die Wüstung Grumbach erinnert. Auf der eigenständigen Flurmark bewirtschafteten mehrere Höfe seit Mitte des 16.Jahrhunderts die hoch gelegenen Felder, die auf 850 Höhenmetern zu geringe Erträge bei gleichzeitig hohen Abgaben an die adelige Herrschafft des Ebersberger Rittergeschlechtes abwarfen. Den Sitz der Ebersberger, die Ruine Ebersburg haben wir an unserem letzten Wochenende in der Rhön besucht. Mit den Kriegswirren des 30- jährigen Krieges wurden die Höfe hier aufgegeben und nach Reulbach auf würzburgisches Hoheitsgebiet verlagert, wohin auch der hier entspringende Grumbach zum Mühlenbetrieb umgeleitet wurde. Der Rückweg zum Hotel in Obernhausen führt uns noch an der Fuldaquelle vorbei, aus der ein kleines Bächlein in die südlichen Wiesen der Wasserkuppe plätschert.

Am Sonntagmorgen lassen wir uns Zeit, der Tag beginnt sonnig, wir beobachten aber eine sich zunehmend verdichtende Schichtbewölkung. Es hat ordentlich abgekühlt und nachdem wir unsere Sachen im Auto und auf dem Motorrad verstaut haben, machen wir uns auf den Weg. Dorothee fährt auch über Landstraßen bis Gießen und dann über die Autobahn zügig nach Hause. Ich behalte die Adventure- Touring- Einstellung und lasse mich über teils kleinste Schlaglochpisten durchs Land lotsen. Vom Himmel fällt etwas Regen, der nicht ausreicht mich völlig zu durchnässen. Mit dem Wissen am Nachmittag ein trockenes Quartier zu erreichen, teste ich so einfach mal meine Motorradkleidung auf Wasserresistenz. Diese Tour hat am letzten Dienstag mit einer kühlen Anfahrt begonnen und brachte während der Woche noch einmal sommerliche Temperaturen bis an die 25 Grad. Von Kassel in die Rhön floss dann der Schweiß unter der Schutzkleidung und gestern hatten wir bis auf 1000 Höhenmetern noch T-Shirt- Wetter.

Bei Nässe und nur noch 17 Grad kühle ich heute doch etwas aus und genieße daher erstmals die Griffheizung meines neuen Gefährts. Ich habe noch eine Übernachtung eingeplant, bevor ich dann morgen nach Hause fahre. Kurz vor meinem Ziel an der Lahnquelle im Siegen- Wittgensteiner Land passiert mir bei einer Pause eine blöde Unachtsamkeit. Beim Absteigen vom Motorrad verliere ich irgendwie das Gleichgewicht und reiße das auf dem Seitenständer stehende Motorrad auf die linke Seite. Während ich unverletzt unter der Maschine hervorkrieche denke ich nur – „Das darf jetzt echt nicht wahr sein“. Ich entferne das komplette Gepäck und nachdem ich den Seitenständer eingeklappt habe gelingt es mir die 210 Kilo der vollgetankten Transalp wieder aufzurichten. Die Schäden auf der linken Seite sind rasch gescannt, der Koffer ist zerborsten und der Handschutz am linken Lenkerende ebenfalls.

Der kaputte Koffer lässt sich notdürftig mit einem Spanngurt fixieren und so fahre ich erst mal zum gebuchten Hotel Forsthaus Lahnquelle. Anfang 2017 haben wir am Quelltopf der Lahn den Lahnsteig begonnen und Anfang letzten Jahres hier den Siegsteig beendet. Ich habe ein Einzelzimmer und mache von der Sauna keinen Gebrauch, da ich mich mit der Teilebeschaffung fürs Motorrad beschäftige. Und „Katsching“- das macht mal eben 650 Euro!!, wobei weitere Arbeiten in der Werkstatt dieser ersten Annahme später den Faktor x2 hinzufügen. Mit Neu-Ausrichtung der Gabel wird dann auch noch ein neuer Lenker fällig. Nach dem Duschen bringt das Abendessen etwas Entspannung. Ich frühstücke zeitig und mache mich gegen 10:00h auf den Heimweg. Der Rückweg entspricht im Wesentlichen der Hinfahrt und mit reichlich Kurvengenuss stelle ich das Motorrad nach insgesamt 850 Kilometern um 13:00h zu Hause ab.

A. Korbmacher