TRANSALP- Abschied nach 29 Jahren
Nach der Silberhochzeit feiert man nach 30 Jahren mit seinem Ehepartner die Perlen-Hochzeit. Das wird mit Dorothee im nächsten Jahr so weit sein. In dem Jahr unserer Hochzeit habe ich mir meine Honda Transalp XL 600V angeschafft, die mich wie auch meine Frau in den vielen Jahren treu begleitet hat. Motorradtechnik von vor 30 Jahren steckt in meiner grünen Transe. Der V-Motor erhält sein explosives Inhalat noch über gute alte Vergasertechnik. Bis auf die elektronische Zündung ist alles an ihr analog, unvernetzt und mechanisch. Neben den üblichen Verschleißteilen und ein paar Verbesserungen an Fahrwerk, Bremsleitungen und Windschutz befindet sich alles im Originalzustand. Das einzige was mich 2018 auf einer Tour im Stich gelassen hat ist die Elektronik. Nach Komplettausfall beider Steuerungselemente mussten diese ersetzt werden.
Es war das Jahr 1994 als ich die Prüfung für den damaligen Klasse 1- Motorradführerschein abgelegt habe. Am Ende meiner Prüfungsfahrt erhielt ich die abschließende Aufgabe an einem Essener Motorradhaus einzuparken. Der Prüfer sah sich dort ein Motorrad an, während ein weiterer Prüfling auf seine anstehende Prüfung warten musste. Den Deal zum Erwerb der metallic- grünen Transalp habe ich bei dieser Gelegenheit kurzerhand eingefädelt – es war also so etwas wie „Liebe auf den ersten Blick“. Wenige Tage später präsentierte mir Freund Arnd S. seine gebraucht erworbene Transalp BJ. 1988 in der Urversion, die am Hinterrad noch mit Trommelbremse an den Start ging. Mit den beiden Transalps haben wir gemeinsam einige Touren gefahren und bis zu unserer letzten gemeinsamen Tour im Jahr 2002 viele Kurven in Deutschland und Europa abgeritten.
Jetzt nach 29 Jahren hat die Transalp ein weiteres Mal die TÜV- Plakette ohne Mängel erhalten. Der Werkstattmeister meiner Solinger Werkstatt hat mir bis zuletzt geraten das Motorrad wegen des guten Zustands doch einfach weiter zu fahren. Doch diesmal wirft er mir zum Abschied eine Information zu, die mich nachhaltig beschäftigt.
„Haben Sie sich schon die neue Transalp angesehen?“ Nein- denn seit 10 Jahren wird der Klassiker nicht mehr gebaut. Nach 10-Jähriger Produktionspause gibt es nach dem Comeback der großen Schwester Afrika-Twin nun auch eine Neuauflage der Transalp!
Das muss ich erst einmal sacken lassen- ist jetzt der Zeitpunkt für mich gekommen der 600V adieu zu sagen? Ich setze ein Inserat in einer der Verkaufsplattformen ein und erwarte eher geringes Interesse an meiner Offerte, obwohl das Bike mit niedriger Laufleistung, hervorragendem Zustand und vielen Verbesserungen punkten kann. Ich erhalte erste Interessens-Bekundungen per email, die wenig seriös erscheinen. In E-Mails versuchen Ganoven gerne Betrügereien einzufädeln, was ich selbst als Interessent an einem Motorrad bereits erleben musste. Wie naiv muss man aber sein, dass man einem Unbekannten irgendetwas preisgibt.
Eine Anfrage erreicht mich mitten in einem Feiertags- Dienst im Krankenhaus per Messenger. Der Mann an der anderen Seite der Strippe spricht bei meinem Rückruf klar und deutlich in meiner Sprache mit hörbarem Dialekt. Den Namen habe ich einfach mal in die Suchmaschine eingegeben und darüber Einträge rund um einen bekannten ungarischen Boxer erhalten. Ich kann mir die Frage nicht verkneifen ob es sich bei ihm um eben jenen Boxer handelt. Nach einem netten Gespräch vereinbare ich einen Termin zur Probefahrt und Besichtigung mit dem Interessenten. Er verdient sein Geld auch nicht mit Preisboxen, wie mir seine Antwort auf obige Frage verrät.
Bereits am Samstag ist es soweit. Der junge Mann hat augenscheinlich ehrliches Interesse an meinem Oldie und ich erzähle ihm einiges über die Lebensgeschichte der Transalp. Nach einer Kopie von Reisepass und Führerschein überreiche ich ihm den Schlüssel und sehe wie mein Motorrad Richtung Hauptstraße verschwindet. Der Interessent mit ungarischem Namen und ungarischem Pass ist in Serbien geboren. Nach seiner Rückkehr von der Probefahrt lege ich meinen letzten Argwohn ab und gewinne zunehmend den Eindruck, dass mein betagtes Gefährt einen sympathischen Abnehmer gefunden hat. Wir sitzen noch eine Weile zusammen und regeln die Formalitäten des Fahrzeugverkaufs. Ich habe mir ein ordentliches Konvolut an Ersatzteilen auf Lager gelegt, die ich in den Hepco- Becker- Koffern verstaut habe. Ein akribisch geführter Lebenslauf dokumentiert alle Wartungsarbeiten rund um meine 600V-PD06.
Wenige Tage später bringe ich nach Eingang der Restzahlung meinem Nachfolger die „PD06“ nach Hause. Etwas wehmütig denke ich an die Erlebnisse meiner Motorradreisen der letzten 29 Jahre zurück. Ich hoffe mein Bike bringt seinen neuen Besitzer noch lange, sicher und zuverlässig über die Hügel des Bergischen Landes und darüber hinaus.
Mittlerweile habe ich nach einer Probefahrt auf dem gerade erschienenen 2023er Modell der Transalp und der größeren Afrika Twin, die schon seit ein paar Jahren zurück am Markt ist meine persönliche Entscheidung gefunden. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich mir in meinem Leben noch einmal eine von den ganz Großen anschaffen soll. Der gut betuchte motorradfahrende Mann neigt ja heute dazu auf den ganz großen Expeditions- Flaggschiffen das Land zu durchstreifen. Die große BMW- Reiseenduro als meistverkauftes Motorrad Europas wird dabei nicht selten wie ein Weihnachtsbaum aus dem umfangreichen Zubehör- und Spielzeugkatalog behängt. Ähnlich wie mit automobilen Spähpanzer- SUV auf unseren Straßen ist Papi so jederzeit bereit für das ganz große Abenteuer. Sorry fürs Bashing- es ist nicht so, dass ich mich der Begeisterung für die heute üblichen Spielereien, bei denen manches sicher auch sinnvoll ist nicht auch anschließen kann. Ich schwanke aber noch auf welchem Niveau ich mich sowohl preislich als auch technisch einpendeln werde.
Als erstes fahre ich die Transalp XL750 Probe. Ich fühle mich gleich wie zu Hause mit der Neuauflage der Mittelklasse- Reiseenduro. Obwohl vieles meiner alten XL600V gleicht habe ich einen Bock mit völlig neuer Konzeption unter dem Hintern. Die beiden Zylinder des ehemaligen V-Motors mit 50 PS wurden mit einer Leistung von 90 PS nun in Reihe gesetzt. Das Motorrad hat jetzt Traktionskontrolle, ABS und Doppelscheibenbremse vorne. Ich habe ein gutes Gefühl bei der Transalp und wende mich der Afrika Twin zu.
Auch das Herz der Honda Legende Afrika Twin ist kein V-Motor mehr. Der 1100- Kubik- Reihenmotor bringt es auf 102 PS. Mir wird das Modell mit einem automatischen Schaltgetriebe (DCT) bereitgestellt, das in der Adventure Sports- Version ein elektronisch regelbares Fahrwerk mit an den Start bringt. Nach kurzer Einführung fahre ich los und finde im Knöpfe- Dschungel erstmal den Blinkerschalter nicht. Da ist es gut sich nicht aufs Schalten konzentrieren zu müssen. Okay- das Moped ist groß und mit im Vergleich 50 Kilo mehr an Gewicht ist das Handling deutlich ungewohnter als mit meiner bewährten Transalp.
Natürlich würde ich mich auch rasch auf der Afrika Twin zurechtfinden, aber die multiplen Einstellmöglichkeiten von Fahrwerk, Getriebe, ABS und Traktionskontrolle finden sich im komplexen Display wieder, dessen Fülle an Informationen den Fahrer durchaus beschäftigt und vielleicht sogar ablenkt. Wer dieses Cockpit mit den dazugehörigen Features wirklich benötigt und beherrscht gehört sicher zu den ambitionierten, sportlich ausgerichteten Piloten.
Meine Frage ist wie viel Motorrad ich persönlich wirklich benötige. Es ist eine Bauchentscheidung, die ich ad hoc zu Gunsten der bewährten Transalp fälle. Bei höherer Leistung habe ich nun zeitgemäße Sicherheitssysteme, die mein altes Bike noch nicht an Bord hatte. Auch die neue Transalp hat nun ein digitales Display, das die Einstellmöglichkeiten der augmentierenden Systeme anzeigt. Diese sind überschaubar und stellen keine hohe Herausforderung an den Fahrer dar. Die Doppelscheibenbremse vorn stellt eine Schwäche der alten XL 600V ab.
Ich bin nur gelegentlich mit dem Motorrad unterwegs und brauche auf meinen Touren/Reisen ein universell auf Straße und Schotter einsetzbares Motorrad mit entspannter Sitzposition. Es gilt dabei kein schweres Gelände zu meistern und keine Grenzerfahrungen am Rande der Physik zu erleben. Ein etwas größerer Tank wäre schön, durch den geringeren Verbrauch ist die Reichweite allerdings größer als beim alten Modell. Das Gejammer, dass die Neue keinen Tempomat hat? – na gut, aber ein “Must Have”? Die Bestellung mit einigem Zubehör und Anbauten an das neue Gefährt ist raus- Mein Motorrad trägt weiterhin den Namen mit dem bewährten Motto
TRANSALP
Ich habe mich für die tri- colore Lackierung mit der Grundfarbe Pearl Crystal White entschieden, das dem Design der Ur- Transalp von 1987 entspricht. Die Transalp von Freund Arnd S. hatte genau diese Lackierung. Vielleicht erfreut ihn das da oben irgendwo im Himmel.
Ich bin gespannt auf mein neues Bike- im August soll ich es bekommen. Mein motorradfahrender Nachbar meint augenzwinkernd, wenn es wieder das Bike für die nächsten 29 Jahre ist wird es wohl das letzte für mich sein- denn dann werde ich 89 Jahre alt sein 🙂
A.Korbmacher
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