Das Jahr 2022 hat mit viel Arbeit und wenig Freizeit an den Wochenenden begonnen und wir werden mit unseren Freunden erst im März wieder ein gemeinsames Wochenende finden. Mit Dorothee fahre ich Ende Februar wieder an den Teutoburgerwald um den Hermannsweg weiter nach Westen Richtung Rheine fortzuführen.
Corona ist durchaus noch Thema, denn die Inzidenzen sind immer noch hoch. Impfung und Durchseuchung der Bevölkerung haben zumindest eine Phase erreicht, in der die Anzahl Erkrankter in den Kliniken im versorgbaren Rahmen bleibt. Politiker erklären die Pandemie schon als beendet und rufen Lockerungen aus, da stockt der Welt mit einer neuen Katastrophe der Atem.
Was keiner wirklich für möglich gehalten hat ist passiert. Der russische Präsident Wladimir Wladimirowitsch Putin hat den seit 2014 bestehenden Konflikt mit der Ukraine zur totalen Eskalation gebracht. Am 24. Februar 2022 hat er mit einem Angriffskrieg auf den souveränen Staat begonnen. Auf dem Gebiet des potentiellen EU-Beitritts-Landes wird die europäische Staatengemeinschaft mit Entsetzen Zeuge eines erbitterten Krieges mit allen Konsequenzen. Putin hat einen Brandsatz geworfen, der das Potential hat die Welt in einen globalen Konflikt zu stürzen. Blutige Gefechte führen zu hohen Verlusten und wieder einmal werden sehr viele Menschen sterben und leiden. Eine halbe Million Menschen ergreifen die Flucht, Frauen und Kinder müssen ihre Männer und Väter bei der Ausreise zurücklassen. Im Vorfeld waren alle diplomatischen Bemühungen am langen Tisch des „autokratischen Zaren“ gescheitert.
Am Freitagnachmittag fahren wir nach den Stürmen der letzten Wochen nach Norden in eine schwarze Gewitterwand. Wir werden uns wohl zukünftig auf eine Zunahme von Extremwetterlagen einrichten müssen. Experten werten die Bedeutung der Klimaerwärmung für die Menschheit immer mehr auf. Wir kommen unbeschadet durch die Gewitterwand und am Abend wird uns am Teutoburger Wald von der tief stehenden Sonne noch ein krasses Farbspektakel in die Landschaft gezaubert.
Wir erreichen unser Ziel nordwestlich von Bielefeld, wo wir uns im Weiler Deppendorf bis Sonntag in einer historischen Wassermühle einquartiert haben. Das alte Mühlengebäude wurde im Jahr 1697 erbaut und mit 2 Wasserrädern ausgestattet. Die älteste Erwähnung einer Wassermühle an dieser Stelle geht auf das Jahr 1535 zurück. Der Expressionist Peter August Böckstiegel (1889-1951) wurde unweit der Mühle an der Schlossstraße in Werther-Arrode geboren. Auf seinen Landschaftsbildern findet man auch die hiesige „Oberste Mühle“ mit ihrer langen bewegten Geschichte.
Ein 4-stöckiger Anbau der Mühle kam im Rahmen moderner Mühlentechnik 1948 dazu. Nach drohendem Verfall, Restaurierung und unterschiedlicher Nutzung der Räume ist nun ein Hotelbetrieb in diese Location eingezogen. Leider ist das Restaurant mangels Koch für uns nicht nutzbar und so folgen wir einer Empfehlung mit griechischer Küche am Rand von Bielefeld.
Am Samstag frühstücken wir im Innenraum der alten Mühle, in der noch die Welle mit den Riemenscheiben für die Übertragung der Wasserkraft auf die Maschinen erhalten ist. Der frühindustrielle Innenraum bietet ein besonderes Ambiente. Die Innenräume des Hotels sind unter Erhaltung der alten Balken geschmackvoll eingerichtet. Wir freuen uns mal wieder eine besondere Bleibe für das Wochenende gefunden zu haben.
Wir parken unser Auto in der Mitte von Bielefeld in der Nähe des Klosterplatzes und fahren mit dem Bus nach Werther. In gewohnter West-Ost-Richtung werden es heute 18,6 Kilometer auf der 5. Etappe, die in Bielefeld an die zuletzt gegangene 6. Etappe anschließt. Bevor wir jedoch starten wollen wir noch einen Blick in die St. Jacobi Kirche in Werther werfen. Aus einer ursprünglichen Holzkirche entstand seit dem 9.-10. Jahrhundert eine Steinkirche, über die Jahrhunderte wuchs die heutige Saalkirche mit dem Turm von 1200, dem Langhaus aus dem 14.Jh. und dem Querhaus von 1876/77. Leider lässt sich nur die Tür mit der Aufschrift „Kein Eingang“ öffnen. Wir kommen mit dem nur leicht empörten Gemeindepfarrer ins Gespräch und erhalten einige Erläuterungen über seine Kirche. Im Turm befindet sich ein hölzerner Christus-Torso, den man auf dem Dachboden gefunden hat. Die C-14-Methode konnte sein Alter vor 1500 datieren.
Direkt gegenüber der Kirche steht ein schmuckes Fachwerkhaus, das ein Kaufmann 1760 erbaut hat. 1903 wurde es das Wohn- und Kontorhaus von August Storck. Die Werthersche Zuckerwaren Fabrik nahm hier ihren Ursprung und nicht nur aus der Werbung kenne ich die „Storck-Riesen“ und die „Werthers Echten“. Auch das Böckstiegel-Haus und –Museum befinden sich in Werther.
Steil geht es 200 Höhenmeter in südwestlicher Richtung hinauf auf den Kamm des Teutoburger Waldes. Wir blicken zurück auf die Ortschaft Werther mit der St.Jacobi Kirche im Zentrum. Mit dem Wetter haben wir an diesem Wochenende „den Vogel abgeschossen“. Nach einer frostigen Nacht klettern die Temperaturen in der Morgensonne langsam aufwärts und es zeigen sich einige Inseln von Schneeglöckchen im Wald.
Nach Südwesten blicken wir in den Steinbruch Gödecke, in dem seit dem 9.Jahrhundert Osning-Sandstein als Baumaterial abgebaut wurde. Das begehrte Baumaterial wurde vor 125 Millionen Jahren in der Unterkreidezeit an Küsten abgelagert. Nur im Teutoburger Wald und im Eggegebirge kommt der besondere Stein in dieser prägnanten Ocker- Färbung vor. Es tun sich freie Panoramen in die Ebene nach Nordosten bis nach Bielefeld und auf den östlichen Teutoburger Wald auf. Oberhalb von Bielefeld steht auf der 312,5 Meter hohen Hünenburg ein Fernsehturm, einer der markanten Punkte unserer heutigen Etappe.
Schilder weisen uns entlang des Bergrückens auf kreisförmige Hügelgräber aus der Jungsteinzeit (3000 v.Chr.), der Bronzezeit bis 800 v.Chr. und der Eisenzeit ab 800 v.Chr. hin. Einsenkungen im Boden können aber auch sogenannten Pingen, Relikten aus früher Bergbautätigkeit zugeordnet werden. Diese Einsenkungen sind nicht kreisförmig und regelhaft zur Talseite angelegt. Möglicherweise haben Bauern als Nebenerwerb an solchen Pingen frühen Bergbau betrieben.
An einem Startplatz für Gleitschirmpiloten schlägt mein Herz höher, denn im Juni habe ich mich für einen Gleitschirm-Kurs in der Röhn angemeldet, um auch das mit dem Fliegen einfach mal selbst zu probieren. Der Wind hier oben kann allerdings auch seine Muskeln spielen lassen, wie bei den Stürmen der letzten Wochen. Nicht nur Fichten hat es erwischt, alle Nase lang liegen Stämme und Geäst quer auf dem Weg und in den Hängen. Undulierend bewegen wir uns auf einer Höhe um die 300 Metermarke.
Mit einem ungewohnten Schwarm-Geschnatter zieht ein Kranichgeschwader über uns hinweg. An einer Wacholderheide finden wir eine Bank für unsere Mittagspause. Südlich von uns liegt das Örtchen Steinhagen, das einem besonderen Erzeugnis seinen Namen gab. Die Geschichte des echten Steinhägers geht auf das 15. Jahrhundert zurück, als es noch großflächige Wacholderheiden gab. Aus der ursprünglichen „natürlichen Arznei“ entstand eine Spirituose, die in zahlreichen Hausbrennereien destilliert wurde. Heinrich Schlichte begann 1766 als einer der Ersten mit dem gewerbsmäßigen Brennen.
Wir erreichen die Kaiser-Friedrich-Gedächtnishütte, die zu Ehren Friedrichs III von Preußen errichtet wurde. 1912 wurde sie eingeweiht, nach Zerstörung im 2. Weltkrieg 1952 wieder aufgebaut und zuletzt 2005-2008 nach drohendem Verfall wieder hergerichtet. Einige Meter südöstlich der Hütte gibt es Reste einer Wallanlage, einer sogenannten Schwedenschanze von vermutlich 1673. Der Ausblick nach Süden und Norden ist mit Hinweistafeln ausgestattet.
Nun wendet sich der Weg der Hünenburg, dem 312,5 Meter hohen Berg mit einem 165 Meter hohen Fernsehturm aus dem Jahr 1974 zu. Hier oben auf der Hünenburg fand man Überreste einer Ringwallanlage aus der vorrömischen Eisenzeit. Bereits 1952 musste der ehemalige steinerne Drei-Kaiser-Turm einem ersten Betonturm der Deutschen Bundespost weichen, der 1981 zum Aussichtsturm rückgebaut wurde. Den 360-Grad-Rundblick, der nur durch den benachbarten hohen Sendeturm Richtung Bielefeld gestört ist, lassen wir uns nicht nehmen. Weit reicht die Sicht über den Teutoburger Wald, sowohl Richtung Osten, als auch nach Westen.
Eine Weile folgen wir dem Kammweg, von dem wir Richtung Bielefeld absteigen. Wir passieren den Tierpark Olderdissen und gelangen nach Überquerung der B778 an die Parkanlage auf dem Johannisberg südwestlich des Zentrums von Bielefeld. Mit schönen Blicken auf Sparrenburg und die Neustädter Marienkirche steigen wir hinab in die Innenstadt und suchen uns den Weg zum Parkhaus an der Ritterstrasse.
Wir müssen uns sputen, denn heute Abend haben wir uns einen Tisch in einem feinen Restaurant in Kirchdornberg am Westrand von Bielefeld reserviert. Wir werden dort bestens versorgt und kehren erst spät zurück zu unserer Wassermühle.
Nach fast 6 Wochen Wanderkarenz wachen wir mit schmerzenden Beinen auf und lassen uns Zeit beim Frühstück. Dorothee kürzt die heutige Strecke etwas ab, womit wir nicht die komplette 5.Etappe gehen werden. Wir parken unser Auto an einer Schule in Werther und fahren mit dem Bus bis zur Bushaltestelle „Pohlmann“ auf der L785, auf halber Strecke zwischen Werther und Borgholzhausen. Die heutige Tagesetappe über den Bergrücken nach Werther beläuft sich am Ende auf 10,7 Kilometer.
Das Wetter ist grandios, es ist wieder ein wolkenloser stahlblauer Himmel mit einer sehr guten Fernsicht. An einigen Höfen und an einem Golfplatz vorbei gewinnen wir rasch an Höhe und erreichen über den Kammweg in Marschrichtung Osten bald die Große Egge 312m mit einem Sendemast. Auch hier oben kann man ehemalige Pinge im Gelände erkennen, Relikte aus der Frühzeit des Haller Bergbaus. Auch verschüttete Stolleneingänge von Erzgruben soll es hier oben geben.
Seit 1505 entstanden bei Halle Bergwerke, in denen Kohle und am Bergkamm Erze gefördert wurden. Bis 1885 gab es 23 Grabungen nach Kohle und 24 nach Erzen. Einer der größeren Betriebe war die Zeche „Vereinigte Arminius“, deren Stollenloch zum Katharinenstollen man über einen Bergbauwanderpfad erreichen kann. Der Niedergang der Zechen nach 1885 ergab sich mit dem Betrieb der Köln-Mindener-Eisenbahn, die die Kohle preisgünstiger aus dem Ruhrgebiet brachte.
Wir lassen uns auf einer Bank bei der Mittagspause viel Zeit und genießen das wonnige Gefühl der Sonne im Gesicht. Der Weg führt uns weiter talwärts über die L782, in den Wald am 254m hohen Knüll. Eine Hinweistafel weist auf die Spuren einer Ponybahn aus der Kaiserzeit hin. Es gab hier eine Ausflugs-Gaststätte, die um die Jahrhundertwende zum 20.Jh. ein beliebter Ort für den Familienausflug war. Interessant sind die Waldgräber mit Grabsteinen aus dem 19.Jh. Solche Waldbegräbnisse sind bei Halle zahlreich und in Westfalen einzigartig. Hier sind es Apothekergräber rund um den Wund- und Augenarzt Engelhard Diederich Schmülling (1765-1816), der sich als Star-Stecher einen Namen gemacht hat. Ein Stück weiter kommen wir noch an der 1799 angelegten Grabstätte der Kaufmannsfamilie Hagedorn vorbei.
Ursprünglich sollte es die Grabstätte Hermann Hagedorns sein, der mit 64 Jahren schwer erkrankte. Er überlebte aber Frau und Kinder, wurde 91 Jahre alt und verstarb in Bremen. Das sei erwähnt, da wir nun zu seinem Tempel, der wegen seines Aussehens „Die Kaffeemühle“ genannt wird aufsteigen. Hagedorns Kinder und Enkel haben ihm das Denkmal zu seinem 68. Geburtstag geschenkt. Für uns bietet sich von hier ein schöner Blick auf Halle in Westfalen.
Wir kommen am sogenannten Gärtnerhaus von 1796 vorbei, das im Landschaftspark der Hagedorns liegt, in dem Obst, Gemüse und sogar Wein angebaut wurden. Eine alte Pflaumenbaum-Allee ist von ehemals über 2000 Obstbäumen übrig geblieben. Der Bewohner des verwunschenen Hauses teilt den Vorbeigehenden auf einer Papp-Tafel seine Meinung über den russischen Machthaber mit:
„Putin vertreibe nicht die unschuldigen Menschen, vertreibe das Böse aus Deiner Seele!!!“
Ein Stück weiter kommen wir an einem Denkmal zum 700. Todesjahr des Minnesängers Walther von der Vogelweide (1170-1230) vorbei. Der Ravensberger Männergesangsverein hat hier seinem Idol am 29.Juni 1930 dieses Denkmal gesetzt. Traditionsgemäß findet an diesem Ort seitdem jeden Pfingstsonntag in der Früh ein Pfingstsingen statt. Neben Wolfram von Eschenbach gilt der Troubadour als wichtigster Dichter des Mittelalters.
Nach Umrundung des Storkenbergs überqueren wir die Bundesstraße K49 in Ascheloh und müssen an dieser ein Stück entlang laufen, um an den Anknüpfungspunkt des gestrigen Wegstücks anzuschließen. Der Rückweg zum Auto an der Schule in Werther überschneidet sich dann mit dem Zuweg von gestern. An der Schule essen wir vor der Heimfahrt noch unsere Brote in der Sonne.
In der 2. Märzhälfte wenden wir uns bei guter Wetterprognose wieder dem Hermannsweg zu und haben dafür noch einmal eine Übernachtung in der Deppendorfer Wassermühle festgemacht. Seit fast 4 Wochen dauern die blutigen Kämpfe in der Ukraine bereits an und ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung wird die Infrastruktur des Landes zunehmend zerstört, jede militärische Einmischung aus dem NATO-Raum könnte einen globalen Konflikt mit allen Konsequenzen nach sich ziehen. 10 Millionen Menschen sind auf der Flucht, 3,5 Millionen davon bereits im Ausland. Globale Auswirkungen auf die internationalen Märkte mit Preisanstiegen und Verknappung von Rohstoffen und Lebensmitteln bekommen wir bereits zu spüren. Russische Propaganda verdrängt jegliche neutrale oder kritische Berichterstattung- Social-Media-Kanäle werden kurzerhand abgeschaltet- Putins Verhalten erfüllt zunehmend alle Qualitäten eines Diktators, der sein Land auf Konfrontationskurs mit dem Westen in einen neuen, sehr kalten Krieg bringt. Die abendlichen Bilder in den Medien geben allen Anlass zu großer Besorgnis.
Wir parken am Samstagmorgen unser Auto auf dem Parkplatz eines Pflegedienstes gegenüber der Bushaltestelle „Pohlmann“, die diesmal der Endpunkt unserer 13,6 Kilometer langen Tagesetappe von Borgholzhausen über den Gipfel der Großen Egge ist. Am Sonntag ist es mit öffentlichen Verkehrsmitteln schwierig und so legt Dorothee einen Rundweg von 12,1 Kilometer nordwestlich von Borgholzhausen fest, der uns am Vicarienberg auf 270 Höhenmeter auf den Hermannsweg führt. Diesem folgen wir dann am Hollandskopf vorbei über die Johannisegge 291m zurück zum Ausgangspunkt.
Die Sonne scheint und kein Wölkchen ist am Himmel, die morgendlichen Temperaturen verlangen allerdings nach einer warmen Jacke. Die Erlaubnis für die Benutzung des Parkplatzes des Pflegedienstes an der Bushaltestelle zwischen Werther und Borgholzhausen haben wir uns vorsorglich eingeholt. Der Bus kommt pünktlich und bringt uns in das Zentrum von Borgholzhausen.
Hier durchstreifen wir den alten Ortskern und schauen in den Geo-Garten hinter dem Heimatmuseum in einem Haus von 1799. Im Geo-Garten erfahren wir einiges über die Böden in der Region. Bei der vorletzten Eiszeit vor 200000 Jahren reichten Gletscher bis an den Südrand des Teutoburger Waldes und brachten Gesteinsbrocken aus Skandinavien. Nach der letzten Eiszeit vor 30000 Jahren füllten sich die Täler mit fruchtbarem Lößstaub. Die Entstehung der darunter liegenden Schollen aus Kalk-, Ton und Sandstein kann unterschiedlichen Erdzeitaltern zugeordnet werden. Die Kalksteinbrüche denen wir heute begegnen haben ihren Ursprung im mittelwarmen Oberkreide-Meer vor 80-90 Millionen Jahren.
Unser Weg durch Borgholzhausen führt uns noch an einigen historischen Häusern vorbei. Das Kircheninnere der evangelischen Kirche bleibt uns leider verborgen. Man fand Hinweise auf Vorgängerkirchen seit der Zeit Karls des Großen um 800 n.Chr. Das Herzstück der einschiffigen Kirche ist wohl ein aus Stein geschnitzter Altar von 1501. Von der ehemaligen Textilindustrie in Borgholzhausen zeugen das Bleichhäuschen an der Bleichwiese und die Rötekuhlen. Der angebaute Flachs musste in wassergefüllten Kuhlen 1 Woche lang röten= (ver)rotten, um die inneren Fasern für die Leinenproduktion zu gewinnen.
In südlicher Richtung verlassen wir den Ort an Feldern und ein paar Höfen entlang und erreichen bald den durch den Pass von Borgholzhausen unterbrochenen Höhenrücken des Teutoburger Waldes. Der Weg nimmt nun unsere Hauptmarschrichtung (West-Ost) auf und bringt uns hinauf zur Burg Ravensberg. Im 12. Jahrhundert entstand hier auf dem Ravensberg in typischer Spornlage die Höhenburg, die der Grafschaft ihren Namen gab. Die größte Ausdehnung erfuhr das Ravensberger Land im 13. Jahrhundert über Halle, Werther und Steinhagen bis Bielefeld und bis in die Kreise Herford und Minden-Lübbecke hinein.
Ich habe meine Drohne dabei, die ich zu einem Panoramaflug um die Burg aufsteigen lasse. Sie hat ganz schön zu kämpfen bei dem böigen Wind oberhalb des Höhenrückens. Wir sitzen windgeschützt in der Sonne und richten uns auf einer Bank für eine etwas längere Pause ein. Der Gratweg führt uns dann im steten Auf und Ab an ein paar abgelegenen Höfen vorbei.
Wir passieren den Südhang des Barenbergs 269m und steigen auf 140 Meter Höhe ins Hesseltal ab, bevor der Aufstieg über die Westschulter der Großen Egge auf über 300 Höhenmeter beginnt. Der Wind bläst auf dem Grat ordentlich und mit dem Windchill-Faktor fühlen sich die gemessenen 8 Grad sehr eisig an. Neben den bereits gefallenen Bäumen und den Rodungsflächen scheinen die zerzausten Bäume am Grat im letzten Kampf ums Überleben zu stehen.
Wir haben einen tollen Fernblick von der Großen Egge und steigen am ländlichen Golfplatz bei Eggeberg hinab zum Parkplatz an der L785 zu unserem Auto. Bevor wir zu unserer Wassermühle zurückkehren statten wir in Werther- Arrode noch dem Böckstiegel-Museum einen Besuch ab. Wir erfahren aber, dass die Böckstiegel- Gemälde in dem modernen Ausstellungs-Gebäude derzeit wegen einer Sonderausstellung nicht zugänglich sind. Peter August Böckstiegel (7.April 1889- 22.März 1952) gilt als bedeutender Vertreter moderner Kunst in Westfalen. Sein Geburtshaus befindet sich direkt nebenan. Noch einmal essen wir in dem ambitionierten Restaurant in Kirchdornberg bei Bielefeld. Zurück an der Deggendorfer Mühle fallen wir auch diesmal in der historischen Mühlenstube in einen zufriedenen Schlaf.
Auch am Sonntag erwachen wir bei Kaiserwetter und nach dem Frühstück fahren wir nach Borgholzhausen. Wir parken hinter dem Uphof, dem größten und ältesten Hof des Ortes. Nach einem 30jährigen Krieg zur Zeit Karls des Großen, bei dem die Sachsen unterworfen wurden, beauftragte der Kaiser ihm genehme Bauern die öffentliche Ordnung zu wahren. Es waren die Meier (Majores) die u.a. niedere Rechtsprechung ausüben durften. So hatte die hiesige Upmeyer- Dynastie Macht und das heutige Bauernhaus im Stil des westfälischen Fachwerks wurde 1796 von Camerarius Friedrich Upmeyer erbaut. Die alte Inschrift auf dem Deelentor zeugt vom Selbstbewusstsein des Erbauers:
„Missgunst kann nicht schaden. Was Gott will muss geraden. Die mir nicht gönnen und nicht geben, die müssen leiden, dass ich lebe….“
Die 12 Kilometer-Sonntagsrunde führt uns zunächst nordwestlich aus Borgholzhausen heraus. Wir kommen an einigen alten Höfen vorbei, die heute eher zu schmucken Behausungen umfunktioniert wurden. Auch hier findet man über den ehemaligen Toren Inschriften aus der Erbauungszeit. Langsam ansteigend gelangen wir in den Wald nördlich der Bundesstraße K25, die wir kurz tangieren bevor wir in die ausgedehnten Wälder am Neuenkirchener Berg 220m gelangen.
Hinweistafeln haben uns auf historische Grenzsteine von 1783 aufmerksam gemacht, die wir leider nach der Skizze nicht lokalisieren können. Es sind die Grenzsteine zwischen den Fürstentümern Osnabrück und Brandenburg, dem späteren königlich-preußischen Gebiet. Heute ist es die Grenze zwischen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Auch Pinge und Reste von kleinen Bergwerken haben ihre Spuren hinterlassen. Absteigend gelangen wir im Talschluss an den Steinbach, der sich mäandernd in den herrlichen Buchenwald gegraben hat.
Nun in südwestlicher Richtung mit erneuter Überquerung der K25 steigen wir 150 Höhenmeter hinauf, am Vicarienberg 270m vorbei zum Hollandkopf auf über 300 Höhenmetern. Wir sind nun wieder in West-Ost Richtung auf dem Hermannsweg unterwegs. Auf der Höhe zeigt der Wald zunehmend Sturmschäden und ganze Rodungsflächen mit hohen Holzstapeln gehen wohl auf das Konto des Borkenkäfers. Während wir da so stehen kracht es plötzlich und ohne erkennbaren Grund schlägt ein Baum mit ausgerissenem Wurzelwerk in den Wald. Die Wurzeln der wohl kranken Fichte konnten dem Gewicht nicht mehr standhalten.
Der Hollandskopf war von 1963-1983 mit einer holländischen Feuerleitstelle Teil einer Nike-Herkules Raketenstellung auf der anderen Seite von Borgholzhausen. Die Radaranlage wurde hier oben 1984 von den Briten für extreme Tiefflüge übernommen und erst 1992 aufgegeben. Es ist ein Relikt des letzten kalten Krieges mit einem auch atomaren Raketenriegel, der quer durch unser Land verlief. Kehren wir mit der Ankündigung unseres Kanzlers 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr zu investieren wieder zurück in diese von Misstrauen geprägte Zeit?
Ein aussichtsreiches Highlight dieses Tages stellt der 16 Meter hohe hölzerne Luisenturm auf der Johannisegge 291m dar. Über Borgholzhausen hinweg schauen wir nach Osten auf die bereits begangenen Höhen und nach Südost zur Burg Ravensberg hinüber. Oberhalb von Borgholzhausen finden wir noch eine Relaxliege in der Sonne und leeren vor der Heimfahrt noch unsere Teekanne und die Brotdose.
Der Hermannsweg muss auf uns 4 Monate lang bis zu einem freien Wochenende in der zweiten Julihälfte warten. Zwischenzeitlich waren wir in Griechenland, in der Rhön und im Burgund unterwegs und haben zwischen blockierten Dienstwochenenden auch sonst wenig Gelegenheit gefunden uns dem Streckenwandern in unseren Mittelgebirgen zu widmen. Auch den im März mit unseren Freunden begonnenen Natursteig Sieg werden wir erst im Oktober fortführen.
Seit nunmehr 6 Monaten tobt der erbitterte Krieg zwischen Russland und der Ukraine und die täglichen, grausigen Bilder von Tod und Verwüstung erreichen uns mit einer seltsam anmutenden Normalität. Der Riss zwischen den totalitären Regimen dieser Welt und den halbwegs freiheitlich demokratischen Staaten klafft mit jeder Woche weiter auf. Annäherung und Völkerverständigung waren gestern, heute sind es Fake-News, mit denen der Überfall auf einen souveränen Staat gerechtfertigt wird. Die Behauptung man kämpfe gegen Nazis bringt die Absolution für das groteske Vorgehen im eigenen Volk. Wegen der großen Solidarität mit der Ukraine dreht Putin Europa nun den Gashahn zu, was die Europäische Solidarität auf eine harte Probe stellen wird.
Auch jenseits des Atlantiks geben die Entwicklungen Anlass zu großer Besorgnis. Auf breiter Linie schart Trump erneut viele Anhänger um sich und bereitet ein mögliches Comeback vor. Die Frage ist nur wie es weitergehen soll, wenn Brandstifter die mächtigsten Länder dieser Welt anführen und Diplomatie zum Fremdwort machen- dann heißt es wohl bald: „Apocalypse Now“!
Das Weltklima führt auch rein meteorologisch betrachtet zu immer neuen Rekorden. Weltweit sind Waldbrände kaum beherrschbar und Trockenheit und Hitze bedrohen längst auch in Mitteleuropa unsere Ernten. Der Juli hat in vielen Regionen die Spitzentemperaturen seit Beginn der Wetteraufzeichnungen überschritten und selbst in der kühlen Bretagne Temperaturen von über 40 Grad gebracht. Gletscher fallen zu Tal, wie jüngst an der Marmolata in Südtirol. Die Corona- Sommerwelle zwingt immer noch ganze Betriebe in die Knie, aber kaum jemanden juckt‘s noch. Ach ja- die WHO hat ja auch den nächsten Notstand ausgerufen- jetzt kommen die Affenpocken.
Am Freitagnachmittag fahren wir los nach Norden zu unserem Hotel in Lienen. Wir haben uns hier ein Hotel ausgesucht, dessen Fachwerk bereits einige Jahrhunderte durchstanden hat, denn im Türbalken befindet sich die Inschrift >Anno 1650<. Wir haben einen Tisch im Biergarten reserviert und essen etwas von der rustikalen Speisekarte. Ein freies Wochenende wartet mit 2 Wandertagen auf uns und die Wetterprognose mit viel Sonne passt. Dorothee hat 2 Rundwege ausgearbeitet, die den Hermannsweg westlich mit einem Teil der 4.Etappe in der Gehrichtung West-Ost bis nach Hilter erweitert. Dafür haben wir ein Höhenprofil mit knapp 800 Höhenmetern in Auf- und Abstieg über 28,7 Kilometer an den beiden Tagen zu erwandern.
Noch am Vorabend haben wir erfahren, dass wegen Corona-bedingtem Ausfall ein Frühstück im Hotel nicht angeboten werden kann. Die Nachricht hat uns zwar nicht unbedingt erfreut, denn wir wurden an die Bäckerei an der Kirche verwiesen, da könne man auch frühstücken. Wir finden uns in der Bäckerei ein und sind positiv überrascht vom Frühstücksangebot. Wir essen in einem Raum, dessen Interieur an Omas Wohnzimmer erinnert und der für gesellschaftliche Anlässe genutzt wird. Lienen hat einen schönen Park in dem neben einem Weiher auch ein Barfuß-Parcours nebst Kneipp-Becken angeboten wird.
Wir beginnen unsere Wanderung am Samstag an einem Ausflugslokal bei Dissen am Südrand des Teutoburger Waldes unter den beiden Erhebungen der Steinegge 266m und der Ascher Egge 264m. Wir steigen die gut 80 Höhenmeter auf und queren auf dem Grat den Hermannsweg, um dann zunächst auf der Gegenseite eine absteigende, westliche Schleife zur L94 zu gehen. Hier befindet sich der Parkplatz Noller Schlucht, den wir morgen als anknüpfenden Start- und Zielpunkt für die nächste Runde nutzen.
Nun steigen wir mit dem Hermannsweg in Kurs Ost wieder auf über 200 Höhenmeter zum Petersbrink auf und erreichen die Kreuzungsstelle vom ersten Anstieg, an der wir dem Hermannsweg als Höhenweg weiter folgen. Ein Aussichts-Highlight ist ein Funkturm auf der Steinegge, dessen Aussichtsplattform einen weiten Rundumblick oberhalb der Baumwipfel zulässt.
Am Hankenüll 307m erreichen wir die für heute höchste Erhebung. Es sind viele Schmetterlinge unterwegs und es macht Spaß die wunderschönen Fotomodelle in ihrem Makrokosmos zu fotografieren. Durch die Lücken zwischen den Bäumen erkennen wir die Burg Ravensberg. Ein prachtvoller Schmetterling, wahrscheinlich ein Schwalbenschwanz fliegt aufgeregt von Blüte zu Blüte.
Mit vorsichtiger Annäherung stelle ich ihm in der Botanik nach und suche Halt auf abgebrochenen Ästen am Boden. Der Falter hat sich auf einer Distelblüte niedergelassen und mit dem Finger am Auslöser fokussiere ich das Prachtexemplar gerade ein, als einer der morschen Äste wegbricht und mich zu Fall bringt. Mit einer kleinen Schramme am Kameragehäuse hat es mein Gehäuse etwas ärger erwischt. Mit Abschürfungen an den Knien und am linken Oberarm widme ich mich zunächst der Blutstillung. Der seltene Schmetterling hat sich sicher totgelacht und ist über alle Berge.
Am Vicarienberg auf 270 m stoßen wir auf den bereits gegangenen Teil des Hermannswegs. Der Rückweg zu unserem Parkplatz verläuft durch das Agrarland südlich der heute überlaufenen Höhen. Sowohl das Korn auf den Feldern, als auch die Äpfel an den vielen Apfelbäumen gedeihen prächtig. Freundlich winkend fährt ein Bauer auf seinem „Massey Ferguson“ an uns vorbei.
Wir haben noch etwas Zeit und drehen vor dem Abendessen noch eine Runde durch den kleinen Park in Lienen. Neben dem Tourismusbüro steht eine lebensgroße Bronze- Figur, die unschwer einen Vogelfänger erkennen lässt. Der Heimatverein erinnert damit an die frühere Tradition des Krammetsvogelfangs. Mit Netzen und Lockvögeln wurden im Umkreis von Lienen Zugvögel gefangen, die dann in Münster als Delikatesse angeboten wurden. Krammetsvögel sind Wacholderdrosseln, die sich bevorzugt von Wacholderbeeren ernähren und deswegen besonders nachgefragt waren. Die Heuerleute, die diesen Vogelfang ausübten benötigten dafür eine Lizenz.
Am Hotel haben wir auch heute einen Tisch im Biergarten, an dem wir den Abend ausklingen lassen. Zeitig am Morgen suchen wir unsere Bäckerei an der Kirche auf, wo wir uns zum Frühstück angekündigt haben. Diesmal wählen wir unseren Platz an einem der Außen- Tische. Es wird ein kleiner Stresstest, denn plötzlich werden wir von sehr vielen Wespen belagert, deren Nest nicht weit sein kann.
Vom Parkplatz Noller Schlucht 130m steigen wir heute über den mit einem Ahornblatt gekennzeichneten Zuweg nach Westen auf. Auch die heutige Runde hat einen Kreuzungspunkt mit dem Hermannsweg nördlich des 262m hohen Hohnangel. Entlang des Weges wachsen außergewöhnlich viele Tollkirschen. Ich erinnere mich an ein älteres Ehepaar mit Migrationshintergrund auf der Intensivstation, die eine potentiell tödliche Dosis dieser Kirschen überlebt haben. Ein guter Bekannter hatte zum Verzehr der schwarzen Kirschen geraten, so dass die ältere Dame zu Hause noch ausreichend Früchte für einen Kuchen hatte. Von einem Kirschkuchen für die gute Behandlung blieben wir Gott sei Dank verschont 😉
Nach der Kreuzung mit dem Hermannsweg steigen wir entlang des Wegs X25 ab in ein Tal, das lustigerweise „Im Sauerland“ heißt. Am Ende des Tals erreichen wir die Autobahn A33, die wir überqueren und der wir ein Stück in südlicher Richtung folgen. An der nächsten Fußgängerbrücke über die A33 erreichen wir den Wegverlauf des Hermannswegs, dem wir nun wieder in südöstlicher Richtung hinauf zur Wegkreuzung am Hohnangel folgen.
Es ist ein schöner Gratweg, der uns bis zu den Kalksteinklippen führt. Die Klippen entstanden vor 90 Millionen Jahren in der Kreidezeit, als Folge eines Klimawandels der dazu führte das weite Teile Europas von einem Ozean bedeckt wurden. Der hiesige Kalkstein entstand aus Kalksedimenten am Meeresboden in dem Muscheln eingeschlossen sind. Der Hermannsweg verlässt hier den Grat und führt absteigend durch die Noller Schlucht zum Parkplatz an der L94.
Im September werden wir wiederkommen, um den Weg weiter nach Westen auszubauen. Ohne Verkehrschaos rollen wir zurück nach Hause und freuen uns jetzt schon auf das nächste Wochenende am Hermannsweg.
Es ist September und wir erreichen Freitagabend zeitig unsere Unterkunft für dieses Wochenende. Es ist diesmal ein schickes Hotel in Bad Iburg in dem wir unser Zimmer beziehen. Die Küche bringt uns am Abend gute Sachen auf den Teller, allen voran frische Forellen aus der benachbarten Fredenquelle. Ein guter Wein dazu lässt uns gut schlafen. Es kühlt ordentlich ab in der Nacht, denn so langsam liegt der Herbst in der Luft.
Das Vorhaben am Samstag den Hermannsweg voran zu bringen lassen wir wegen der Wetterprognose fallen und wollen stattdessen ein paar Highlights der Umgebung erkunden. Gar nicht weit entfernt, in einem Ortsteil von Georgsmarienhütte wird Dorothee auf die Klosterkirche St. Johannes der Täufer aufmerksam. Das ehemalige Benediktinerinnenkloster -Oesede geht auf das Jahr 1170 zurück, die Klosterkirche selbst auf die 2. Hälfte des 13.Jahrhunderts.
Wir erreichen die Kirche am Vormittag und sind etwas überrascht, da Dudelsack-Musik aus der Kirche dringt. Am Ende eines Gottesdienstes zu Ehren eines älteren Ehepaars scheint das wohl ein abschließender Programmpunkt zu sein. Neben der Gemeinde erscheint dann auch der Musiker mit seinem Instrument im traditionellen schottischen Ornat.
Wir wenden uns dem nun verlassenen Kircheninneren zu. Direkt im Eingangsbereich stehen 4 Säulen-Sockel, deren Funktion uns zunächst nicht ganz klar ist. Im rechten Seitenschiff befindet sich die Grabplatte des Stifters Graf Ludolf von Oesede (1100-1184) mit seiner Frau Thedela von Schwalenberg (ca. 1105-1170). Wir kommen in der Kirche mit einem älteren Herrn ins Gespräch. Er ist einer der Küster in der Gemeinde und hat bereits seit seiner Kindheit einen besonderen Bezug zu „seiner“ Kirche. Es ist eine informative und angenehme Begegnung, bei der wir ohne nachzulesen etliches über diesen besonderen Ort erfahren. Schon als Messdiener war Aloys Herkenhoff hier tätig und kann sich seitdem an einige Veränderungen im Kircheninnern erinnern.
Das kunsthistorische Highlight der Kirche ist das Gnadenbild „Maria im Kindbett“, das in einer Rosenkranzstehle aufbewahrt wird. Die Darstellung der im Wochenbett liegenden stillenden Maria erscheint uns ungewöhnlich und ist wohl auch eher selten, wie uns Herr Herkenhoff verrät. Einer Legende nach soll die Figur eine Schenkung der heiligen Elisabeth von Thüringen und ihrem Gemahl, dem Landgraf von Hessen sein, als Dankbarkeit für die gute Erziehung der beiden Töchter im hiesigen Kloster. Die Übereignung soll im Jahr 1225 vollzogen worden sein, Kunsthistoriker datieren die Entstehung des Gnadenbildes aber erst auf das Jahr 1420. Es bleibt also bei einer schönen Legende, die dem Ort allerdings den Status eines Wallfahrtortes eingebracht hat.
Wir erfahren etwas über die seitliche Sichtnische in der Mauer, ein sogenanntes Hagioskop, durch das Leprakrane von außen dem Gottesdienst beiwohnen konnten. Die seltsamen Säulen im heutigen Eingangsbereich wurden bei einer umfassenden Sanierung der Kirche wiedergefunden und rekonstruiert und gehören wohl zu einem ehemaligen Altar. Unter der von Napoleon verordneten Säkularisierung endete 1803 nach 633 Jahren das religiöse, wirtschaftliche und kulturelle Leben der Benediktinerinnen im Dütetal mit der Auflösung des Klosters. Wenig entfernt ist mit der Klosterpforte noch ein Gebäude erhalten geblieben, das wir auch noch in Augenschein nehmen.
Einige Gegenstände des Klosters befinden sich heute im Diözesanmuseum in Osnabrück, dessen Besuch uns Herr Herkenhoff zum Abschied noch nachdrücklich ans Herz legt. Wir parken in einer Garage in der südlichen Innenstadt Osnabrücks und haben uns zunächst den Besuch des historischen Rathauses der Stadt vorgenommen. Am Dom vorbei erreichen wir den Marktplatz, wo Rathaus und Marienkirche ein gotisches Ensemble bilden. Das Rathaus wurde zwischen 1487 und 1512 erbaut und war neben Münster 1648 Schauplatz der Friedensverträge nach dem 30jährigen Krieg.
Von 1618-1648 hat ein Krieg um Religion und Macht Europa 30 Jahre lang ins Chaos gestürzt. Ein Viertel bis ein Drittel der Menschen wurde gewaltsam oder durch Hunger und Seuchen ausgelöscht. Die Geschichte brachte das Grauen mit den beiden Weltkriegen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück. 77 Jahre blicken wir nun bereits auf ein geeintes Europa zurück, das an den destruktiven Kräften einiger rechts-nationaler Bündnispartner zerbrechen könnte. Gerade hat Italien eine solche Regierung aufgestellt, die sich als Nachfolger des Mussolini- Regimes verstehen. Das macht mich wirklich sprachlos.
Putin ruft in Russland zur Teilmobilmachung auf, denn der Krieg in der Ukraine der nun bereits seit 7 Monaten tobt hat der russischen Armee nicht die gewünschten Erfolge eingebracht. Die Solidarität mit der Ukraine bezahlt Europa derzeit mit einer Verknappung wichtiger Rohstoffe. Die laufende Rezession der Wirtschaft nebst zunehmender Inflation ist sozialer und innenpolitischer Sprengstoff. Es ist mal wieder die Stunde pöbelnder Populisten, jedoch lösen Hass und Hetze nicht die für Europa anstehenden Probleme- das haben sie auch noch nie!
Nach diesem Exkurs aber zurück zum Rathaus des westfälischen Friedens in Osnabrück. Hier ist der historische Saal, in dem die Verträge unterzeichnet wurden bis heute erhalten geblieben. Die 42 Abgesandten der damaligen Kriegsparteien finden sich auf Bildern an den Wänden des Saals. Weitere 3 Portraits zeigen die Herrscher der vertretenen Länder; Königin Christina von Schweden, König Ludwig IVX. von Frankreich und den deutschen Kaiser Ferdinand III. Ein kostbarer Kronleuchter im Raum stammt aus dem 16.Jahrhundert.
Wir betreten die benachbarte Marienkirche durch das Brautportal. Der Bau der gotischen Hallenkirche wurde 1430/40 abgeschlossen. Die romanische Vorgängerkirche wurde erstmals 1177 urkundlich erwähnt. Eine Jugend-Band gibt gerade ein Konzert. Der Flügelaltar wurde 1520 in Antwerpen hergestellt, darüber hängt ein Triumphkreuz aus dem 13.Jahrhundert als ältestes Ausstattungsstück.
Entlang ehemaliger Kaufmannshäuser laufen wir zum Dom St. Petrus, der ältesten Kirche Osnabrücks. 15 Jahre nach der Bistumsgründung durch Karl den Großen entstand 785 die erste Kirche, die 890 nach Zerstörung durch die Normannen wiederhergestellt wurde. Die erste Basilika im 11. Jahrhundert bedeckte fast die Fläche des heutigen Dom-Baus. Mit An- und Umbauten entstand der spätromanische Dom mit ersten gotischen Elementen im frühen 13.Jahrhundert. Lang- und Querhaus erhielten gotische Spitzbögen, wogegen die Außenwände ihre runden romanischen Bögen behielten.
Hier wird das große Triumphkreuz über dem Altar um das Jahr 1177 datiert, ein bronzenes romanisches Taufbecken stammt aus der 1. Hälfte des 13.Jahrhunderts. Nach einem Gang durch den angrenzenden romanischen Kreuzgang wenden wir uns dem Diözesanmuseum und der Schatzkammer des Doms zu. Hier finden wir Exponate aus der Zeit Karls des Großen (747-814). Neben einem Reliquiar mit seiner rechten Elle ist auch ein vermeintliches Schachspiel des Kaisers ausgestellt.
In einem Grab nördlich des Doms wurde eine kleine goldene Taubenfibel gefunden, die zu Beginn des 9.Jahrhunderts mit einem der ersten Christen hier beigesetzt wurde. Der Umhang des Bischofs Benno II. (Bischof von Osnabrück 1068-1088) aus byzantinischer Seide hängt in der Vitrine ohne erkennbare Abnutzung. Im Jahr 1044 begleitete er König Heinrich IV. auf seinem Gang nach Canossa.
Wir machen bei unserem Rundgang eine Zeitreise entlang von Statuen, Gemälden, Reliquien und Schriften aus Klöstern und Kirchen der Region. Und wir finden dann auch die Exponate aus der Klosterkirche Oesede wie das Steinrelief von 1200/1225, das über dem Portal der Kirche hing und fraglich aus Oesede eine Pietà von 1425. Wir fahren zurück nach Bad Iburg und verbringen einen weiteren angenehmen Abend in unserem Hotel.
Sonntagmorgen scheint die Sonne und nach dem Frühstück machen wir uns auf den Weg nach Bad Iburg. Direkt am Hotel genießen die Pferde die wärmende Sonne am kühlen Morgen. Von hier vervollständigen wir heute die 4.Etappe des Hermannswegs und treffen in Hilter an der A33 auf das zuletzt gegangene Wegstück. Es sind 11,7 Kilometer mit 296 Metern Aufstieg und 228 Metern Abstieg.
Auf einer Anhöhe liegen Schloss und Kloster Iburg. Es ist vom 11.-17.Jahrhundert die Residenz der Osnabrücker Bischöfe, die aus einer Burg aus dem Jahr 1070 hervorgegangen ist. 1080 gründete der erste Bischof Benno II. hier das Benediktinerkloster. Am Sockel seiner Bronzestatue in Bad Iburg erfahren wir auch, dass Benno II. sich am Bau des Doms zu Speyer auch als Baumeister bewährt hat.
Östlich von Bad Iburg bringt uns der erste Aufstieg über den Südkamm des Teutoburger Waldes auf den Freeden. Der Felsen besteht aus Kalkstein, der sich vor über 90 Millionen Jahren aus Muschelschalen am Meeresgrund gebildet und aufgefaltet hat. Jedes Jahr im Frühling erblüht der Hohle Lerchensporn, der den Waldboden für wenige Tage in eine wahre Farbenpracht versetzt. Durch spätsommerlichen Buchenwald erreichen wir die Freedenhütte, wo uns eine Brücke über einen Graben bringt. Immer am südlichen Rand des Höhenzugs entlang blicken wir in die Ebene des Münsterlandes. Auf einer Relax-Bank machen wir eine lange Pause und lassen uns bei diesem Ausblick die Sonne ins Gesicht scheinen.
Noch einmal müssen wir auf 257 Meter hinauf zum Spannbrink. Wir passieren schwerkranken Fichtenwald und erreichen auf dem Spannbrink Buchenwald, in dem Sturmschäden Spuren hinterlassen haben. Scheinbar haben es die Wurzeln nicht leicht in den Kalkmergel einzudringen. Auch auf dem Spannbrink gibt es eine Schutzhütte mit einem Picknickplatz.
Der Abstieg bringt uns direkt hinunter nach Hilter wo wir den Wegschluss an der A33 vervollständigen, um dann an einer Bushaltestelle den Rückweg zum Hotel zu planen. Auf einem abgeernteten Stoppelfeld pflügt ein Traktor den Boden um. Wir entscheiden uns für eine Taxifahrt zurück zu unserem Hotel in Bad Iburg, da uns die Rückfahrt mit dem Bus durch Wartezeit und Umsteigen gute 1,5 Stunden mehr eingebracht hätte. So schaffen wir es am Sonntagabend früh wieder zu Hause zu sein.
Anschluss an unseren Weg finden wir Ende November mit einem Rundkurs von Bad Iburg aus, der uns am Südrand des Teutoburger Waldes auf halber Strecke nach Lienen wieder auf unseren Höhenweg hinauf bringt. Der Hermannsweg bringt uns in gehabter Gehrichtung West-Ost zurück nach Bad Iburg. Novemberwetter hat sich über das Land gelegt, es bleibt aber am Samstag trocken. Mit 234 Höhenmetern Aufstieg gehen wir eine Runde von 10,7 Kilometern, die unser Projekt etwa 5 Kilometer nach Westen ausbaut. Den Besuch einer derzeitigen Barbarossa-Ausstellung in Münster haben wir uns für den Sonntag vorgenommen.
Wir haben am Freitagabend wieder unser schönes Zimmer im Hotel an der Fredenquelle bezogen. Zum Abendessen lassen wir uns eine knusprige Forelle nach Art der Müllerin schmecken. Bei Ehepaar Eichholz und Team haben wir uns bereits beim letzten Mal sehr gut aufgehoben gefühlt. Es ist frisch am Samstagmorgen, als wir uns nach einem guten Frühstück von einem Parkplatz an der B5 in Bad Iburg auf den Weg machen.
Ein erster Anstieg führt uns um ein Wildgehege herum, wo ein Damhirsch mit seinem Gefolge seine Runde macht. Gegenüber hebt sich die Kulisse des Schlosses kaum aus dem Nebelschleier ab, der an diesem Novembermorgen alles einzuhüllen scheint. Wir gehen als Zuweg ein Stück auf dem Ahornweg, der mit einem Ahornblatt an den Bäumen gekennzeichnet ist. Dieser Weg verläuft in Form einer Acht in 6 Etappen rund um Bad Iburg und teilweise parallel zum Hermannsweg.
An einem Hof mache ich Bilder einer Schaar Gänse, deren lautes Geschnatter jeden Wachhund in den Schatten stellt. Wir erreichen weite Felder südlich des bewaldeten Höhenzugs und glauben, dass die grünen Blätter auf den Feldern wohl am ehesten Kohlrabi zuzuordnen sind. Ein Falke hält von den wenigen Baumwipfeln Ausschau nach Beute.
Ein ganzes Stück laufen wir entlang der Bahnstrecke der Teutoburger-Wald Eisenbahn, die wegen des hier angebauten Gemüses auch Grünkohl-Express genannt wird. Wir verlassen dann die Bahntrasse und wenden uns auf etwa der halben Distanz nach Lienen dem Aufstieg auf den Höhenrücken zu. Es sind etwas mehr als 100 Höhenmeter, die uns auf den Grat und somit auf den Hermannsweg bringen.
Hier oben wurde reichlich abgeholzt, in großen Stapeln liegt das geschlagene Holz der kranken Fichtenbestände am Wegrand. Deutlich gesünder wirken dagegen die Baumbestände im Buchenwald am Kahlen Berg 211m. Hier verläuft auch die Grenze zwischen NRW und Niedersachsen. Bereits um 800 war der Teutoburger-Wald eine natürliche Grenze zwischen den heidnischen Sachsen im Norden und den christlichen Franken im Süden. Kaiser Karl der Große führte zwischen 772 und 804 Feldzüge gegen die Sachsen um das Christentum, sicher aber auch um das fränkische Territorium auszuweiten.
An einer Schutzhütte treffen wir auf eine Jagdgesellschaft, die mit heißen Getränken und belegten Brötchen beliefert werden. Auf der Ladefläche des Pick-Ups befindet sich die bisherige Beute, ein Fasan und zwei Hasen sind den Jägern vor die Flinte gekommen. Auch wir trinken hier unseren Tee und essen unsere mitgebrachten Brote.
Durch Buchenwald laufen wir Richtung Bad Iburg und passieren historische Grenzsteine des ehemaligen Klosterwaldes des Iburger Benediktinerklosters. Die eingemeißelten Symbole des Klosters sind Anker und Krummstab. Der Krummstab steht für die Abts-Ehre und der Clemens-Anker geht auf den heiligen Clemens zurück, 3. Nachfahre des hl. Petrus und frühchristlicher Märtyrer.
Wir steigen ab nach Bad Iburg und gelangen an den Charlottensee unterhalb des Schlossbergs. Der See wurde angelegt zu Ehren der ersten preußischen Königin Sophie Charlotte, die am 30.Oktober 1668 als Tochter des Fürstbischofs von Osnabrück und späteren Kurfürsten von Hannover Ernst August I. und der Kurprinzessin Sophie von der Pfalz im Schloss zu Iburg geboren wurde. Sophie Charlotte wurde die Mutter des preußischen Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. und Großmutter Friedrichs II. (des Großen).
Der Hermannsweg führt uns hinauf zum Schloss und eigentlich auch durch das Schlossgelände. Die Security des mittelalterlichen Weihnachtsmarkts lässt uns aber leider nicht passieren. Das Portal darf nur als Ausgang genutzt werden, um Einlass zu erhalten müssten wir den Eingang auf der Gegenseite nutzen. Da helfen keine Diskussionen, etwas genervt steigen wir durch vorgelagerte Anlagen des Schlosses zum Auto hinab und freuen uns auf die Sauna im Hotel und ein gutes Abendessen. Dem Schloss wollen wir in jedem Fall noch einen eigenen Besuch widmen.
Unsere Abreise nach dem Frühstück soll uns heute über Münster führen, wo wir die Ausstellung „Barbarossa“ besuchen. Zwei Ausstellungen des LWL-Museums, eine in Münster, die andere in Cappenberg, sind dem Kaiser des Heiligen Römischen Reichs gewidmet. Kaiser Friedrich Barbarossa aus dem Adelsgeschlecht der Staufer wurde um 1122 geboren und war römisch-deutscher Kaiser von 1152 bis zu seinem Tod im Jahr 1190. Unter seiner Herrschaft gelangten im dritten Italienzug die Reliquien der heiligen 3 Könige nach Köln. 1190 ertrinkt er auf dem dritten Kreuzzug im Fluss Saleph nahe Seluecia in Kleinarmenien. Sein ältester Sohn Heinrich VI. wurde der Vater von Friedrich II, auf dessen Spuren wir bei unseren Reisen in Sizilien und Apulien unterwegs waren.
Auch auf dem Hermannsweg gab es immer wieder geschichtliche Begegnungen mit Barbarossa und so ist die Sonderausstellung in Münster eine einmalige Gelegenheit die Figur des großen Herrschers der Staufer-Dynastie genauer zu betrachten. Taufpate Barbarossas war Graf Gottfried von Cappenberg, der mit den Saliern und Staufern verwandt war. Im Streit um die Kirchenführung Münsters wurde auch der Dom Raub der Flammen, was dem Cappenberger Grafen persönlich angelastet wurde. Um dem ewigen Fegefeuer zu entkommen vermachte Gottfried Burg Cappenberg dem Prämonstratenserorden. Inspiriert von Norbert von Xanten, dem Gründer des Prämonstratenserordens und gegen den Willen seines Schwiegervaters trat Gottfried mit Bruder Otto und seinen Schwestern Gerberga und Beatrix in den Orden ein.
Neben der fantastischen Ausstellung in Münster rund um das Leben und die Zeit Barbarossas besuchen wir eine Woche später auch die romanische Stiftskirche St. Johannes Evangelist in Cappenberg bei Lünen, deren Grundsteinlegung sich am 15. Oktober vor 900 Jahren ereignete. Hier befinden sich die Grabtumba Gottfrieds, die Taufschale Barbarossas und der Cappenberger Kopf. Das vergoldete Kopfreliquiar zu Ehren des Evangelisten Johannes wurde 1158 von Otto von Cappenberg in Auftrag gegeben. Das ehemalige Prämonstratenserkloster wurde nach der Säkularisation der Altersruhesitz des bekannten preußischen Verwaltungsreformers Freiherr Karl von und zum Stein.
Solche Entdeckungen und Erkundungen auf und auch entlang unserer Wege durch Deutschland und Europa sind Mosaiksteine, die sich mehr und mehr zu einem Gesamtbild zusammenfügen und eine Vorstellung über die Vergangenheit unserer heutigen Zivilisation geben. Lebendiger und spannender können Geschichtslektionen nicht sein. Leider ist es nicht allen Schulpädagogen gegeben diese Begeisterung im Geschichtsunterricht an ihre Schüler weiterzugeben.
Arnd Korbmacher
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