2023 Ausflug zu den Römern an der Lippe, zu den Tüötten in Mettingen und unter Dampf zum Weihnachtsmarkt nach Osnabrück.
Am ersten Adventswochenende machen wir uns auf, an den Teutoburger Wald. Seit Mai 2021 bis September dieses Jahres haben wir das nördliche Mittelgebirge über den Hermannsweg an 13 erlebnisreichen Wochenenden erwandert. Seine Gesamtlänge von 167 Kilometern von Rheine nach Leopoldstal hinter Detmold haben wir allerdings mit annähernd 300 Kilometern fast verdoppelt. Die Streckenplanung in Form von Rundwegen während der Corona- Pandemie ist dabei deutlich zu Buche geschlagen. Wir haben allerdings auch einige Entdeckungen abseits der eigentlichen Route gemacht.
Wir haben Dezember und die Temperaturen liegen am Gefrierpunkt, ein paar Schneeflocken hat es auch bereits gegeben. Nach entspanntem Aufstehen stellen wir uns beim Frühstück die Frage was wir am Samstag unternehmen wollen, bevor wir unser vorgebuchtes Quartier in Mettingen bei Ibbenbüren ansteuern werden. Die Wahl fällt auf Haltern am See, wo wir im Kontext mit den zuletzt besuchten Museen und Schauplätzen ein weiteres Kapitel der römischen Epoche an Rhein und Lippe aufschlagen werden. „Roms fließende Grenzen“ lautete eine standortübergreifende Ausstellung der LWL- Landesmuseen in Detmold, Kalkriese und Xanten. Moderne Museumspädagogik hat uns dabei wiederholt ein lebendiges Bild über das Leben im besetzten Germanien zu Beginn unserer Zeitrechnung gezeichnet.
Anfang des 20. Jahrhunderts wurden im heutigen Gebiet der Stadt Haltern an sechs Stellen militärische Anlagen und ein Gräberfeld aus augusteischer Zeit entdeckt. Die Lager befanden sich nördlich der Lippe zur Sicherung dieses wichtigen Schifffahrtsweges. Der Museumskomplex befindet sich an den südlichen Umwehrungen des Feld- und Hauptlagers. Angelegt wurden die Lager vermutlich bereits um 12 v. Chr., in der Zeit der Feldzüge des Drusus. Auf 24 ha konnten 20000 Legionäre kaserniert werden. Nach der Varusschlacht im Jahre 9 n. Chr. wurden die Standorte aufgegeben, was anhand von Münzfunden belegt werden konnte.
Das Außengelände ist wegen Glätte leider geschlossen. Beim Rundgang durch die Ausstellungsräume ziehen uns Fund- und Ausstellungsstücke ein weiteres Mal in ihren Bann. Eines der Stücke ist ein Pugio, ein Dolch den römische Soldaten im Nahkampf einsetzten. Als Lehmklumpen wurde die Waffe im Jahr 2019 aus einem römischen Grab geborgen. Rund um dieses zentrale Fundstück der Ausstellung erfahren wir auch einiges über die Schmiedekunst der Römer. Mit dem Wissen um Legierungen aus hartem und weichem Stahl konnten Waffen mit hoher Bruchfestigkeit und Schärfe geschmiedet werden.
Ich nutze die Gelegenheit die Ausrüstung eines Legionärs nebst Kettenhemd und Helm anzulegen. Meines Wissens haben Kettenhemden erst später Verwendung bei der römischen Armee gefunden. Die frühe Rüstung der Legionäre war der Schienenpanzer, wie er jüngst in Kalkriese gefunden wurde und derzeit restauriert wird. Ist aber egal, der Schienenpanzer war sicher auch nicht leichter und mit dem Marschgepäck von über 18 Kg erhalte ich einen Eindruck davon, was der Legionär so durch die Welt schleppen musste und ein lustiges Foto von mir in diesem Outfit.
Mit einer Spezialbrille tauchen wir ein in den Cyber-Space und reisen per Zeitmaschine 2000 Jahre zurück in das Römerlager „Aliso“, wo der Zenturio sogleich mit der Anwerbung in die römische Legion beginnt. Es gibt zahlreiche Exponate zu sehen. Ein vergrabener Münzschatz mit 186 Silbermünzen und einer Goldmünze entsprach dem Jahresgehalt eines römischen Legionärs. Bei allen Annehmlichkeiten und Privilegien in der römischen Armee, Krieg ist das grausame „Business“ der Soldaten, gestern wie heute. Bei der verheerenden Schlacht in den Wäldern Germaniens im Jahr 9 n.Chr. haben das viele der hier stationierten Soldaten fern der Heimat und ihrer Familien mit ihrem Leben bezahlt.
Wir werfen noch einen Blick auf die rekonstruierten Gräben und Wälle der Außen-Anlage und machen uns dann auf den Weg nach Mettingen am Nordrand des Teutoburger Waldes. Unser Hotel liegt mitten im Zentrum des hübschen Ortes, wo die Menschen wie in vielen Städten und Gemeinden derzeit vom Weihnachtsmarkt magisch angelockt werden. Wir finden trotz des Trubels einen Parkplatz und checken im Hotel ein.
Es ist noch recht früh und wir erfahren vom Sohn des Hauses, dass sich angeschlossen an das historische Hotel ein Museumsbereich befindet, der vom Heimatverein Mettingens liebevoll hergerichtet wurde. Drei Mettinger Fachwerkhäuser, die an anderer Stelle weichen mussten wurden in den Jahren 1966 – 1968 im Garten des Hotels wieder aufgebaut. Im Inneren werden wir in die Zeit vor 100 Jahren, in die Arbeits- und Wohnkultur eines Tüöttedorfes entführt.
Auf die Begrifflichkeit der „Tüötten“ stoßen wir hier zum ersten Mal. Tüötten, Tödden oder Tiötten waren saisonal wandernde Kaufleute und Hausierer aus Westfalen. Im Tecklenburger Land wurde auf den kargen, von Heide und Moor umgrenzten Böden Flachs und Hanf angebaut. Daraus wurde ein Leinen von besonderer Qualität gewoben, was einen Hausierer-Handel mit Nordholland in Gang brachte, wo man das Leinen sehr zu schätzen wusste. Mit dem expandierenden Töddenhandel erfuhr die ärmliche Heimat einen gewissen Wohlstand und wurde über Norddeutschland bis nach Pommern, später bis Helsinki und Nowgorod bekannt für seine Leinen-Produkte.
Aus dem Töddenhandel entstanden die großen Namen von Kaufhausketten. Aus der Mettinger Familie Brenninkmeyer ging im 17.Jahrhundert die Kaufhauskette C&A hervor, für die der Initiator dieses Museums Franz Brenninkmeyer seiner Familie einen Gedenkstein gesetzt hat. Aus den Tüötten aus Mettingen ging auch der Konzern Hettlage hervor. Die Tüöttentradition steht ferner in Verbindung mit den Namen Boeker und Peek & Cloppenburg. Es sind bis heute Adressen ersten Ranges in den Einkaufszentren unserer Städte.
Wir drehen noch eine Runde über den Weihnachtsmarkt mit einer bunten Mischung aus Imbiss- und Getränkeständen, die von den Besuchern gut angenommen werden. Erhitzte Getränke mit reichlich Alkohol scheinen sich besonders großer Beliebtheit zu erfreuen. Dazwischen dreht sich ein Kinderkarussell, an dem besorgte Eltern ihren glücklichen Kindern beim Moped-, Lokomotiv- und Trekkerfahren zusehen. Wir kasteien uns bei all den Leckereien und freuen uns auf ein gutes Abendessen im Hotel, das von Familie Weber-Patte betrieben wird.
Mit dem Sohn des Hauses haben wir uns bereits bei unserer Ankunft unterhalten. Dabei haben wir erfahren, dass seine Eltern das Haus Ende des Jahres nicht mehr weiter bewirtschaften werden. Im Restaurant lernen wir auch seine Schwester kennen. Beide haben eigene Pläne und werden das Hotel leider nicht weiter führen. Dabei sind die Schwierigkeiten im Gastgewerbe, über die wir schon mit vielen Gastgebern gesprochen haben ein Thema. Wir hoffen, dass sich ein neuer Gastwirt finden wird, denn wir haben einen guten Eindruck von dem Haus, das 1780 im Zentrum Mettingens als Handelshaus gebaut wurde. Der Name des Hotels geht auf den Kaufmann Bernhard Gerhard Telsemeyer zurück, der das Haus 1824 für seine Familie erwarb. Erst 1954 folgte der Umbau zum Hotel.
Wir werden nicht enttäuscht und essen vorzügliche Sachen aus der Küche. Wir schauen uns noch eine gelungene Doku über das Vasa-Museum in Stockholm im TV an und fallen dann auch bald in den Schlaf. Wir haben es am Sonntagmorgen nicht eilig und lassen uns Zeit beim Frühstück. Ich weiß gar nicht mehr genau, wie wir auf unsere für heute geplante Aktion aufmerksam geworden sind. Wir werden um 11:50h mit einem historischen Dampfzug nach Osnabrück fahren, von wo wir nach einem Bummel über den Weihnachtsmarkt und durch die Innenstadt um 16:35h wieder nach Mettingen zurückkehren werden.
Am Bahnhof in Mettingen steht der Zug schon bereit und im historischen 2-achsigen Durchgangs-Wagen 36421 „Hannover“ finden wir unsere reservierten Plätze in der gepolsterten 2.Klasse. In der Mitte des Wagens befindet sich die Durchgangstür zur 3. Klasse, in der sich die Reisenden mit Holzbänken begnügen müssen. Ich nutze die Zeit bis zur Abfahrt und mache noch Fotos von der Dampf-Lokomotive, die aus der zuvor rückwärts ziehenden Position nun vorwärts ziehend an das nach Osnabrück gerichtete Zugende wechselt.
Die Weichen muss das Lokomotiv-Personal dafür per Hand umlegen. Die Lokomotive mit der Nummer 78468 war vor fast 100 Jahren nach der Endabnahme im Jahr 1924 im Betriebswerk Gleiwitz stationiert. Weitere Stationierungen waren bis 1958 Hagen, bis 1966 Wuppertal und bis zur Ausmusterung 1969 in Hamburg. Seit 1999 dampft sie wieder und beschert kleinen und großen Eisenbahnfreunden auf Museumsfahrten ein Reiseerlebnis aus der Zeit, in der Kohlendioxid-, Stickoxyd- Emissionen und Klimawandel noch niemanden gejuckt haben. Ja- umweltfreundlich reisen wir heute nicht auf der Tecklenburger Nordbahn nach Osnabrück.
Ein Weihnachtsbaum vor dem Kessel der Dampfmaschine weist den Zug mit seinen 9 Wagen inklusive Bistro-Wagen am heutigen 1.Advent offiziell als „Nikolaus-Express“ aus. Der heilige Mann höchstpersönlich ist mit seinem Gehilfen Knecht Ruprecht auch an Bord und bringt mit seinen Süßigkeiten Kinderaugen zum Leuchten. Ein freundlicher Opa mit seinem 4-jährigen Enkel auf der Bank gegenüber sind unsere Mitreisenden.
Über offene Brücken kann man in den nächsten Wagen wechseln. Beim Öffnen der Tür gelangt dann gerne etwas von dem beißenden Rauch in das Innere unseres Abteils. So war das damals, es gab noch Plätze für Raucher und die Toilette durfte man nicht im Bahnhof benutzen. So rumpeln wir in Low-Speed durch die leicht angepuderte Landschaft des Tecklenburger Landes nach Osnabrück. Wir steigen an der Station Osnabrück-Altstadt aus.
Durch den nördlichen Innenstadtbereich erreichen wir den Vorplatz des Doms St. Petrus, auf dem inmitten des Weihnachtsmarktes ein Riesenrad aufgebaut ist. Auch hier bietet der Weihnachtsmarkt eine bunte Mischung aus Kirmes und „Fressmeile“. Sogar die Sonne lässt sich zwischendurch blicken. Wohlriechende Gerüche der Imbissbuden und Glühweinkessel locken die Besucher zu einem Snack im Stehen. Wir entfliehen dem Rummel des Weihnachtsmarktes mit einem Rundgang durch den Dom, dessen Kirchengeschichte auf das 8.Jahrhundert zurückgeht.
Über den Besuch Osnabrücks im September letzten Jahres habe ich im 2. Teil meines Hermannsweg- Berichts einige Zeilen geschrieben. Darin habe ich sowohl über den Dom, das historische Rathaus, als auch über die Marienkirche berichtet. Nach Umrundung des Domkomplexes finden wir den Eingang in den Kreuzgang. Bis zum 13.September 1944 zierte das Friedensrad Osnabrücks die Kirchturmspitze des großen Turms. Es ist erhalten geblieben und heute vor der Kirche ausgestellt.
Über den Weihnachtsmarkt bewegen wir uns langsam Richtung Marienkirche, in die wir natürlich auch noch einmal reinschauen. Ein Modell der historischen Altstadt mit Meilensteinen der Stadtgeschichte ist ausgestellt. Auch wir bekommen langsam Appetit und halten Ausschau nach einem Snack. Eine kleine rustikale Trattoria wirbt auf einer Tafel mit hausgemachtem Grünkohl. Die Wahl ist getroffen und in angenehmem Ambiente löffeln wir eine stattliche Portion des hiesigen Traditionsgerichts mit Wursteinlage. Hinterher gibt es noch einen erstklassigen Espresso, bevor wir uns auf den Weg zum Hauptbahnhof machen.
Zu Beginn der blauen Stunde sind wir früh genug am Bahnhof, um die Ankunft unseres Nikolaus- Express am Hauptbahnhof zu erleben. Abfahrt ist pünktlich um 16:35h und mit Volldampf schuckeln wir in die Dunkelheit durch das Tecklenburger Land zurück nach Mettingen. Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit wünschen sich viele Bahnkunden, die tagtäglich mit Zugausfällen und Verspätungen zu kämpfen haben. Über dieses Drama stellt sich dann noch ein Gewerkschaftsführer, dessen krasse Forderungen Bahn und Infrastruktur zusätzlich in die Knie zwingen.
Wir hatten ein erfülltes vorweihnachtliches Wochenende mit schönen Erlebnissen. Mit der Zeitmaschine waren wir unterwegs in die Zeit der Römer an der Lippe und der Tüötten in Tecklenburg. Die Reise mit unserer Dampfmaschine war dabei ein weiterer Blick in die Vergangenheit. Man darf gespannt sein welche zukünftigen Technologien den Weg ins Museum finden 🙂
Arnd Korbmacher
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