Pfalz 2020 Part II, Herbst auf dem Weinsteig mit den Etappen 6 bis 8
Eine Woche vor unserem geplanten Abflug nach Bari in Apulien in der zweiten Oktoberhälfte rollt die 2. Welle der Corona- Pandemie auf Europa zu. Vor allem Spanien und Frankreich geraten in die Schlagzeilen. Freunde mussten gerade ihr Reiseziel in der Steiermark vorzeitig verlassen um einer Quarantäne zu Hause zu entgehen. Nach und nach fliegen uns am Ende der Schulferien die steil ansteigenden Infektionskurven Deutschlands, Europas und der Welt um die Ohren. Nationalen und internationalen Pressemeldungen zufolge sind es nicht zuletzt ignorante Zeitgenossen die derzeit die Wellenmaschine der Pandemie kräftig antreiben. So nehmen wir Meldungen von illegalen Oktoberfestpartys, ungeschützt feiernden Partytouristen aus Deutschland in Prager Clubs und Großhochzeiten in benachbarten Orten zur Kenntnis.
Die schwimmenden Massenunterkünfte der Kreuzfahrtindustrie wurden in den Herbstferien auch schon wieder auf die Weltmeere geschickt. Ergänzend zur täglichen Diskussion um eine Verschärfung der Corona- Maßnahmen richtet sich die Kanzlerin mit der Bitte um Verzicht auf touristische Reisen an das Volk. Bei all den Meldungen kommen wir sehr ins Grübeln, wie wir uns nun eine Woche vor unseren Ferien verhalten sollten.
Unser Reiseziel Apulien wurde bislang zwar noch nicht als Risikogebiet ausgewiesen, unsere Heimat Wuppertal und weitere Metropolen im Bergischen und nachfolgend in ganz NRW allerdings schon. Wir entscheiden uns daher lieber für einen spontanen Rückzieher und können uns noch aus allen Verbindlichkeiten der geplanten Italienreise befreien. Es sei an dieser Stelle vorweggenommen, dass dies eine gute Entscheidung war. Zum Ende der nächsten Woche wird ganz Italien als Risikogebiet eingestuft, was für uns bei der Rückkehr Quarantäne für zwei Wochen bedeutet hätte.
2020 bleiben wir also einfach in Deutschland und wählen nach unserem Frühjahrs- Aufenthalt in Leinsweiler nun auch wieder die Pfalz aus, um unser Weinsteig- Wanderprojekt fortzuführen. Für uns ist die Pfalz so etwas wie unser „Kleines Italien“ geworden- nicht umsonst wird die Region auch als Toskana Deutschlands bezeichnet. Das Hotel und Basislager dazu liegt diesmal etwas weiter nördlich in Siebeldingen. Die Schulferien sind vorbei und nun wollen auch wir unsere Ferien noch mit einer erlebnisreichen Herbstwoche füllen. Wir fahren am Sonntag Mittag zunächst nach Otterstadt in der Nähe von Ludwigshafen, wo wir einen geselligen Abend mit meiner Cousine Birgit und ihrem Mann Walter verbringen.
Erst am Montag fahren wir an den Rand des Pfälzerwaldes weiter und nutzen den eher regnerischen Tag für einen Besuch der Geburtsstätte unserer Demokratie. Es ist das Hambacher Schloss, das auf den Grundmauern einer salischen Reichsburg aus dem 11. Jahrhundert auf dem Kastanienberg hoch über Neustadt thront. Die Ausstellung „Hinauf, Hinauf zum Schloss!“ informiert über die Ereignisse des Hambacher Festes von 1832.
Beflügelt von der französischen Julirevolution 1830 traten auf dem Hambacher Fest einige Redner auf, die den Wunsch nach nationaler Einheit, Freiheit und einem Rechts- und Verfassungsstaat zum Ausdruck brachten. Erstmals wehte die Schwarz- Rot- Goldene Fahne auf der Ruine des Hambacher Schlosses. Die Fahne mit der Aufschrift „Deutschlands Wiedergeburt“ ist als Original- Exponat hier ausgestellt. 1848 erreichte die Revolution ihren Höhepunkt mit der Einberufung der Frankfurter Nationalversammlung und der Verabschiedung einer konstitutionellen Verfassung.
König Friedrich Wilhelm IV. lehnte diese Verfassung mit dem „Ludergeruch der Revolution“ ab. „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten“- war seine Strategie dem Freiheitsdrang seines Volkes zu begegnen. Ein Recht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit gab es noch nicht.
Die Redner des Hambacher Festes wurden wegen ihrer vorgetragenen revolutionären Ideen zu Gefängnisstrafen verurteilt. Die Revolution war zwar gescheitert, der gesetzte Zündfunke brachte aber den unaufhaltsamen Prozess in Gang, dessen demokratische Prinzipien sich heute in unserem Grundgesetz als Verfassung der Bundesrepublik Deutschland wiederfinden. Der Blick vom Schloss ist auch bei dem heute stark bewölkten Himmel großartig und die Weinlagen in der Ebene bilden einen rot- grün- gelb gestreiften Teppich vor den Hängen des Pfälzer- Waldes.
In unserem Hotel in Siebeldingen beziehen wir am Abend unser Zimmer. Wir gehören zu den wenigen Gästen und sind am Dienstagmorgen am Frühstücksbuffet allein. Seit der 1. Welle haben sich die Hotels und Gaststätten gut gerüstet um alle Hygieneregeln umzusetzen. Auch wir sind davon überzeugt, mit der Einhaltung eines Mindestabstandes, der Händehygiene und dem Tragen eines Mundschutzes das Restrisiko einer Infektion auch auf Reisen auf ein vertretbares Maß zu reduzieren.
Es steht heute eine Wanderung an, mit der wir an die bereits im Frühjahr gelaufenen Etappen nördlich von Eußerthal anschließen. Um auf Taxi- Transfers zu verzichten hat Dorothee alle Wanderungen als Rundkurs so geplant, das wir den Weinsteig jeweils ein Stück nach Norden voranbringen, wobei die Gehrichtung auf dem Hauptweg immer in Nord-Süd- Richtung verläuft.
Am Dienstag ist der Himmel zwar bedeckt aber von oben bleibt es trocken. Nachdem wir unser Auto an der Kirche des ehemaligen Zisterzienserklosters abgestellt haben machen wir uns auf den Weg. Den Besuch der sehenswerte Kirche habe ich in meinem Mai- Bericht bereits skizziert.
Der Zuweg zum heutigen Startpunkt des Weinsteigs von der Landauer Hütte nach Eußerthal führt uns zunächst in südöstlicher Richtung entlang des Eußerbachs. Nach Überquerung der Bundesstraße geht es hinauf in den Südhang des Eischkopfs. Der Boden ist nach dem Regen der letzten Tage äußerst matschig und somit rutschig. Das an den Bäumen noch verbliebene Laub leuchtet in kräftigen Farben, obwohl sich die Sonne auch heute eher rar macht. Wir steigen hinab nach Dernbach, wo sich eine erstmals 1344 erwähnte Kirche befindet, an deren Innenwänden sich Fresken- Zyklen aus der ersten Hälfte des 14.Jh. befinden. Erst 1980 wurden sie unter später aufgetragenen Schichten entdeckt. Trotz mehrfacher Versuche haben wir die Kirche leider immer verschlossen vorgefunden.
Östlich von Dernbach steigen wir am Westhang des Orensberg entlang von Streuobstwiesen wieder auf. Oberhalb des Dernbachtals nach Norden liegt die Ruine der Ramburg, oberhalb des Leinbachtals die Burgruine Scharfeneck, nach Süden erkennen wir Burg Trifels und die Burgruine Münz. Inmitten dieser wunderschönen Landschaft treffen wir auf einen Schäfer mit seiner Schafherde.
Es ist ein romantischer Gedanke, der durch meinen Kopf geht- wie wäre das wohl, den ganzen lieben langen Tag mit einer Herde Schafe durch die Landschaft zu streifen- kennen Schäfer eigentlich so etwas wie Stress? Ich grüße den Schäfer freundlich, muss aber erkennen, das er kaum an einem Gespräch interessiert ist- so lebt dann wohl doch jeder seinen eigenen Stress- denke ich mir 🙂
Die Sonne blinzelt immer wieder durch das herbstliche Blätterdach hindurch und füllt den Wald mit einem Licht, dass das Laub immer wieder zum Erstrahlen bringt. Die Keschde, die braunen spitz- kugeligen Edel- Kastanien mit ihren grünem Hüllen haben sich überall auf dem Waldboden verteilt und vereinzelt brechen Pilze durch das Laub.
Der Zuweg endet an der Landauer Hütte, wo wir auf den Weinsteig treffen. Die Hütte liegt am letzten Stück der 7. Etappe die in Dernbach endet. Von dort führt uns der Anfang der 8. Etappe nach Eußerthal. Von der Landauer Hütte beschreibt der Weinsteig aber zunächst einen Rundkurs, der wie ein Nadelöhr um den Orensberg herum führt, bevor er dann seine Richtung über Dernbach nach Eußerthal aufnimmt .
Blicke öffnen sich zur Burgruine Scharfeneck gegenüber und nach Süden auf Annweiler mit den Burgen Trifels und Münz. Wie in einem Wellenmeer lösen sich die Hügelketten des Pfälzer Mittelgebirges zum Horizont in immer blasser werdenden Grautönen auf. Den Höhepunkt dieses Blicks erhalten wir auf dem nach Süden ausgerichteten Aussichtsbalkon am Orensfelsen, der uns noch einmal das volle Panorama eröffnet. Am 581 Meter hohen Orensberg haben archäologische Untersuchungen Siedlungsspuren seit der Jungsteinzeit 4400- 3500 v.Chr. nachweisen können. Auch Reste von Befestigungsanlagen aus Bronzezeit und Karolingisch- Ottonischer Zeit (Ringmauer aus dem 8. Jh.) geben Zeugnis über die Besiedlung des Orensberges.
Der durchaus lohnende Umweg des Weinsteigs um den Orensberg führt uns zur Landauer Hütte zurück, von wo wir uns nun wieder auf Dernbach zu bewegen. Dramatisch erstrahlen die dortigen Streuobstwiesen nun in der tiefen Nachmittagssonne. Eine leider überrollte Kreuzotter liegt tot auf dem Weg.
Wir verlassen den Ort mit der hübschen Kirche in nördlicher Richtung und kommen an einem Platz vorbei, der von Dernbach und von Ramberg gut einsehbar ist. Hier am sogenannten Galgenberg gab es einen mittelalterlichen Gerichtsplatz. Die Darstellung eines solchen Richtplatzes vom Anfang des 17.Jh. auf einer Tafel zeigt, das der Tod am Galgen noch zu den gnädigsten hier verhängten Urteilen gehörte.
Wir machen nun Strecke bis uns wenige Kilometer vor unserem Tagesziel auf einer Wegkreuzung die Sonne noch ein letztes Mal ihr warmes herbstliches Licht entgegen strahlt. Eußerthal erreichen wir erst zu Beginn der blauen Stunde. Im Ort weisen einige Tafeln auf die Zeit der Zisterzienser hin, als die Bewirtschaftung des Waldes, der Felder und der Fischteiche noch Teil des klösterlichen Lebens war. Auch eine Klostermühle war an die Abtei angeschlossen.
Wir erfahren auch, dass sich an die heute verbliebene Kirche ein Langhaus anschloss, mit dem das Gebäude ursprünglich eine Gesamtlänge von 70 Metern hatte. 22 Kilometer haben sich auf der heutigen Runde aufsummiert. Einen Tisch haben wir heute Abend in einem gemütlichen Gasthof in Birkweiler bestellt. Nach dem guten Essen funkeln die Sterne über den Pfälzer Hügeln.
Am Mittwoch wollen wir anknüpfen an den gestrigen Ausbau des Weinsteigs nach Norden, indem wir ein weiteres Stück der 7. Etappe in einen Rundweg einbauen. Über den Höhen der Pfalz hängen dunkle Regenwolken, denen wir noch Gelegenheit geben, sich zu entleeren bevor wir uns auf den Weg machen. Wir suchen noch einmal die leider stetig verschlossene Kirche in Dernbach auf. Unser Auto parken wir am Parkplatz Drei- Buchen an der L506, die von Ramberg in das Modenbachtal hinüber führt. Der Parkplatz ist nicht wenig besucht, wohl auch wegen der Einkehr- Möglichkeit am Waldhaus Drei- Buchen.
Es regnet nicht mehr und stetig ansteigend führt uns der Weinsteig zum 5- Burgenblick. Von hier blicken wir ein weiteres mal nach Südwesten auf die Burgen Scharfenberg (Münz), Anebos und Trifels, westlich auf die Ruine der Ramburg und nun greifbar nah auf die Ruine der Burg Neu- Scharfeneck. Fliegenpilze und andere für mich nicht klar zu identifizierende Pilze locken als lohnende Fotomotive. Das Wetter ruft Pilzsucher auf den Plan, denen die gesammelte Mahlzeit in ihren Beuteln hoffentlich gut bekommt.
Wir erreichen die Burganlage der Burg Neu- Scharfeneck, deren hohe Mauern durchaus beeindruckend auf uns wirken. Mit 150 Metern Länge und 60 Metern Breite ist die Burganlage die viertgrößte der Pfalz. In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts legten die Herren von Alt- Scharfeneck die Anlage auf über 500 Metern Höhe mit 260 Metern über dem Talgrund an. Zerstört wurde die Burg im 17. Jahrhundert im Dreißigjährigen Krieg. Leider ist der Zugang zur Anlage verschlossen, da von einigen Mauern eine nachvollziehbare Gefahr durch herabfallende Steine besteht.
Von Burg Neu- Scharfeneck ist es nicht mehr weit zur Landauer Hütte, wo unser neu hinzugewonnenes Wegstück der 7. Etappe zunächst endet. Auf dem Picknick- Platz vor der verschlossenen Hütte gönnen wir uns eine Pause mit Broten und Tee. Es regnet bei jedem Windstoß Blätter und vereinzelt plumpsen immer noch Kastanien in das Laub am Boden.
An der Landauer Hütte verlassen wir den Weinsteig und halten uns an der Südseite des Kalkofenbergs entlang in nordöstlicher Richtung auf einem blau-weiß markierten Verbindungsweg bis zu einer von riesigen Bäumen überdachten Wegkreuzung. Hier gelangen wir wieder auf den Weinsteig, dem wir nun erneut in Nord- Süd Richtung zu unserem Auto am Parkplatz Drei- Buchen folgen. Mit einer Runde, die sich nach knapp 9,5 Kilometern schließt haben wir die 7. Etappe um ein weiteres Wegstück bis zur Wegkreuzung Dreimärker ausgebaut.
Wir fahren mit ein paar Fotostops durch die Weinlagen am Rande des Pfälzer Waldes zurück zu unserem Hotel in Siebeldingen. Das Hotel ist ein Hof, in dem Christoph Püngeler seine Gäste in freundlicher Art mit einem guten Frühstück am Morgen versorgt. Ein Restaurant vor Ort ist zwar nicht vorhanden, die Eltern und der Bruder des Hoteliers betreiben allerdings ein sehr ambitioniertes Restaurant im nahen Dernbach. In dieser Familien- Kooperation ist ein Fahrdienst für die Hausgäste eingeschlossen.
Wir sind am Abend gespannt auf das, was die Küche im Restaurant Schneider für uns zaubert und werden nicht enttäuscht. Wir haben hier eine sehr gute Adresse gefunden, die wir uns für einen Pfalzbesuch unbedingt vormerken werden. Eine nette Geschichte bekommen wir von Werner Püngeler, der das Restaurant mit seiner Frau Petra Roth- Püngeler seit 1988 führt, auf der Heimfahrt zu hören.
Sie nahm 1987 an der Weltmeisterschaft der „Chaîne des Rôttiseurs“ in San Sebastian teil. Die Bekanntgabe des Gewinners begann mit dem Wort „Madame“, ein siegessicherer Konkurrent korrigierte „Monsieur !?“. „Non non“- bestätigte der Juror „Madame Roth- Püngeler !!“ Gekränkt riss sich der eitle Maître daraufhin die Kochschürze herunter. Die unsportliche Geste führte zu seiner Disqualifikation. Mit Frau Roth- Püngeler gewann in diesem Jahr erstmals eine Frau den begehrten Titel.
Wegen eher nüchterner Wetteraussichten können wir uns am Donnerstag nicht so richtig für eine Wanderung begeistern. Wir beginnen den Tag mit dem Besuch einer renommierten Sekt- Kellerei in Siebeldingen, wo wir ein paar Köstlichkeiten für zu Hause einkaufen. Wir hatten bereits Gelegenheit am Vorabend im „Schneider“ davon zu kosten und uns von der Qualität zu überzeugen.
Die älteste Stein- Kirche der Pfalz steht in Wollmesheim südwestlich von Landau. Beim Besuch der vor 1030 gebauten Kirche stehen wir leider nun auch hier vor verschlossener Tür. 21 Jahre vor dem Speyerer Dom wurde diese Kirche 1040 geweiht. Etwas frustriert stellen wir uns die Frage was wir heute noch anstellen wollen. Spontan entscheiden wir uns zu einen Besuch in Speyer.
Auf der Fahrt dorthin begegnen wir in Mörzheim Spuren der jüngeren deutschen Geschichte. Typische Betonhöcker, die die 2. Linie des deutschen Westwalls bildeten sind hier noch erhalten. Nach dem Bau der Maginot- Linie des französischen Erzfeindes in den Jahren 1929-1932 wurde mit dem deutschen Westwall in den Jahren 1938-1942 in 3 Linien dieses aberwitzige Militär- Bollwerk in die Landschaft gesetzt. Allein auf der Gemarkung Mörzheim lagen 840 Meter dieser Linie, die mit 15 Bunkern versehen war.
Große Schwärme von Staren sammeln sich in den Bäumen auf den Feldern und bereiten sich für ihre Abreise in den Süden vor. Entspannt fahren wir nach Speyer, wo wir unser Auto ganz in der Nähe des Doms abstellen.
In der Nähe des Doms wirbt das historische Landesmuseum der Pfalz mit einem Plakat für eine aktuelle Ausstellung mit dem Titel: „Medicus- Die Macht des Wissens“. Hinter dem Museumsgebäude fällt der Blick auf eine scheinbar startende Boeing 747 der Lufthansa. Ich erinnere mich an das spektakuläre Technik- Museum in Speyer, durch dessen reichhaltige Sammlung ich mich zuletzt vor 5 Jahren gekämpft habe. Von der Tragfläche der 747 bietet sich ein großartiger Blick auf den Dom.
Nun, die Medicus Ausstellung wollen wir uns nicht entgehen lassen. Aufhänger ist die Figur des Rob Cole aus Noah Gordons Roman „Der Medicus“. Der junge Held Rob verdingt sich als Lehrling eines Baders und Quacksalbers im mittelalterlichen England. Auf der Suche nach Wissen und Erkenntnis führt ihn sein Weg in den Orient. An der renommierten Madrassa in Isfahan wird er vom Medizin- Gelehrten Ibn Sina als Student angenommen. 1986 erschien der Roman, den ich als junger Medizinstudent verschlungen habe. Die Ausstellung bietet allerdings erheblich mehr als diese spannende Geschichte Gordons und spannt mit vielen Originalexponaten einen Bogen über 5000 Jahre Medizingeschichte. Das Verbot zu fotografieren trifft mich da hart.
Am Nachmittag besuchen wir den Dom, der uns bei jedem Besuch Speyers erneut in seinen Bann zieht. Das Bauwerk (1030-1124) ist die größte erhaltene romanische Kirche mit der größten romanischen Hallenkrypta der Welt. In der Grablege salischer Kaiser, Könige der Staufer und Habsburger befindet sich auch das Grab des Erbauers Konrad II. (Regierungszeit 1027-1039). Mit dem Betreten der Kirche betreten wir 1000 Jahre Menschheitsgeschichte. Der Bischofssitz steht seit 1981 auf der UNESCO- Liste. Am Abend lassen wir ein weiteres mal im Restaurant Schneider in Dernbach den Tag bei einem guten Tropfen an uns vorüberziehen.
Der Freitag beginnt gruselig- um die bewaldeten Hänge wabern dunkle Wolken die auch die Weinberge in den niederen Lagen mit einem feuchten Nebel überziehen. So fahren wir heute mal nach Neustadt um uns dort umzuschauen. In einem Lokschuppen gegenüber des Hauptbahnhofs befindet sich das Pfalzbahn- Museum, dessen Besuch sich anbietet.
Im Obergeschoss des Museums befindet sich eine Eisenbahnanlage der Spur I, die das Herz jedes Modellbahnfans schneller schlagen lässt. Ein schon höher betagter Herr beaufsichtigt die Anlage, auf der ein Dampfzug seine Kreise zieht. Ein Soundgenerator simuliert das typische Dampflok- Geräusch. Der Faszination für Lokomotiven, allen voran Dampflokomotiven kann auch ich mich nicht entziehen.
Wir kommen ins Gespräch mit dem Fahrdienstleiter der Anlage. Etwas traurig berichtet er uns, dass der Erbauer der Anlage leider verstorben ist und sich so recht kein Nachfolger finden ließe. Wir erfahren auch, dass es wohl sowieso schwierig wäre Nachwuchs für die Mitarbeit im Museumsbetrieb zu begeistern. Wir nutzen die verbleibende Zeit bis zur Schließung des Museums am Mittag und schauen uns die großen Exponate in der Halle an. Eine Dampflok der BR 18 aus dem Jahr 1925 wie sie vor den berühmten Rheingold- Express gespannt wurde steht neben einigen anderen Fahrzeugen in der Halle.
Ein Nachbau der „Pfalz“ (1925), einer Maschine der allerersten Epoche die 1853 von der Münchener Lokomotivfabrik Maffei in München für die Pfälzische Ludwigsbahn- Gesellschaft gebaut wurde, hat einen festen Platz im Neustädter Museum gefunden. Gerade 18 Jahre zuvor, im Jahr 1835 begann der Eisenbahnbetrieb in Deutschland mit der Inbetriebnahme des „Adler“ auf der Strecke Nürnberg- Fürth. Die schmucke „Pfalz“ wurde zuletzt 1985 zum 150 jährigen Bestehen der Eisenbahn in Deutschland unter Dampf gesetzt. Mit 200 PS Leistung konnte sie immerhin schon eine Geschwindigkeit von 100 Stundenkilometern erreichen.
Neben einigen interessanten Schienenfahrzeugen nehmen wir eine Henschel- Dampfschneeschleuder aus dem Jahr 1942 genauer unter die Lupe. Das Ungetüm mit dem Standort Wuppertal wurde bis 1970 im schneereichen Bergischen Land und im Sauerland eingesetzt, um Schneemengen von den Schienen zu katapultieren, die ein Schneepflug nicht mehr bewältigt. Diese Maschine hat keinen eigenen Antrieb und wird von mehreren Lokomotiven geschoben. Die 4- Zylinder der Dampfmaschine treiben einen Rotor (d=2,90m) an, der sich durch Schneehöhen von bis zu 6 Metern frisst. Ähnliche Schneeschleudern sind heute noch im alpinen Einsatz in der Schweiz.
Nach dem Besuch des kleinen aber feinen Museums wenden wir uns der Neustädter Innenstadt zu. Durch Geschäftsstraßen mit viel Fachwerk nähern wir uns dem Marktplatz und der Stiftskirche St. Ägidius, deren Ursprünge auf das 13. Jahrhundert zurückgehen. Schon wieder finden wir eine Kirche verschlossen vor und erhalten nur Gelegenheit uns die Deckenmalereien (um1500) in der Vorhalle der 2-türmigen Kirche anzusehen. Den schönen Marktplatz der Stadt sollten wir noch einmal bei schönerem Wetter aufsuchen.
Auf diesem Marktplatz begann am 27. Mai 1832 der Festzug auf das Hambacher Schloss. Mit annähernd 30000 Teilnehmern war das Hambacher Fest die erste Großdemonstration in Deutschland. Geschmückt mit Fahnen und Trikoloren in den Farben Schwarz-Rot-Gold wurde hier erstmals für die Freiheit und Einheit Deutschlands demonstriert.
Am Abend haben wir uns noch eine vielversprechende kulinarische Adresse ausgesucht. Das Restaurant „Robichon“ in Frankweiler. Seit 1984 bewirten Bruno und Hannelore Robichon hier ihre Gäste. Koch Bruno vermittelt uns mit seinem Menü das „Savoir- vivre“ aus seiner Heimat, deren Besuch uns ja Covid-bedingt derzeit verwehrt ist. So starte ich mit frischen „Fines de Claires“ zu einem kurzen Ausflug in die Bretagne. Die weitere Rundreise durch Frankreich führt uns mit dem Seehecht an die südliche Atlantikküste. Nach dem bretonischen Lammrücken à la provencale endet das herrliche Menü mit einer kleinen Käseauswahl. Pfälzer Grau- und Spätburgunder machen den Abend perfekt.
Wir haben unsere geplante Abreise von Samstag auf Sonntag verschoben und unser Zimmer im Sonnenhof um eine Nacht verlängert. Wettertechnisch soll der Samstag uns für die letzten regnerischen Tage noch einmal entlohnen. Mittlerweile hat das Corona- Thema Hoteliers und Gaststätten erreicht. Bereits am Freitag Morgen durfte kein Frühstücksbuffet mehr angeboten werden. Für Montag wird ein Lockdown inklusive Beherbergungs- Verbot ausgesprochen.
Der exponentielle Verlauf mit täglichen Fallzahlen über 15000 Infizierten in Deutschland lässt Experten erneut daran zweifeln, ob die Kapazitäten unserer Intensivstationen ausreichen. Im April sind wir mit der 1. Welle unter 6000 täglichen Neuinfektionen geblieben. Bei aller wirtschaftlicher Härte die Gastronomen und Geschäftsleuten nun ein weiteres mal entgegen schlägt kann niemand wirklich wollen, dass die Vergabe eines Beatmungsplatzes über Triage- Kriterien erfolgt.
Während ich diesen Bericht schreibe, erleben wir den 2. Lockdown des Jahres 2020, der zunächst bis Ende November festgelegt ist. Wir mussten erneut mit ansehen wie eine Flach- (Entschuldigung !) „Querdenker“- Community von 16000 Teilnehmern in Leipzig ihr ganz spezielles Superspreader- Event feiert, was jedem über Rest- Hirn verfügenden verantwortungsvollen Menschen einen Faustschlag ins Gesicht verpasst. Die harte Arbeit von Wissenschaftlern und Experten stellen Querdenker grundsätzlich in Frage. Impfgegner, Verschwörungstheoretiker und Soziopathen entdecken mit Fake- News ihre Chance für die ganz große Bühne.
Und beim Thema Fake- News gestatte ich mir an dieser Stelle noch eine Bemerkung zum Erfinder derselben. Mr. Donald Trump hat nach vier Jahren Amtszeit die US- Wahlen verloren. Mit 22000 nachweislichen Lügen und Falschaussagen hat er das Amt des Präsidenten konkurrenzlos beschmutzt und Fake- News zur täglichen Normalität gemacht. Es gibt ausreichend Nachahmer in der Welt und das bereitet mir große Sorgen. Wo bleibt da noch Platz für Vertrauen und Verlässlichkeit zwischen den Führern dieses Planeten?
Kein Fake ist, dass die von ihm ignorierte Pandemie mittlerweile in den USA eine viertel Million Corona- Opfer gefordert hat, womit die relative Sterblichkeit mehr als das fünf-fache Deutschlands beträgt. Nun hält dieser Narziss seine eigene dringend notwendige demokratische Abwahl für einen Fake- wie tief kann man sinken ?!
Wir genießen am Samstag das vorletzte Frühstück im Sonnenhof. Draußen verheißt der blaue Himmel einen tollen Wandertag. Bei der Anfahrt zu unserem heutigen Startplatz treffen wir bei Gleisweiler bei einem Foto- Stop auf ein Wegkreuz das an die Seselschlacht bei Gleisweiler vor mehr als 500 Jahren erinnert. Das Sesel, das kleine Winzermesser war die Hauptwaffe, mit der die Bauern aus Gleisweiler und Burrweiler gemeinsam gegen Bauern aus Flemlingen und Rosbach kämpften. Mehrere Bauern verloren wegen strittiger Weiderechte in der blutigen Schlacht ihr Leben, woran noch einige alte Steinkreuze erinnern.
Bei Burrweiler stellen wir das Auto am Gasthof Buschmühle ab. Hier steigen wir in das Ende der 6. Etappe des Weinsteigs ein. Wir erhalten noch einmal die volle Breitseite der herbstlichen Farbenpracht mit auf den Weg. Diesen Tag heute wollen wir noch einmal in vollen Zügen genießen und haben uns dafür einer überschaubare Runde von etwas mehr als 10 Kilometer vorgenommen.
Nach einem ersten Aufstieg erreichen wir auf 423m Höhe die St. Anna- Wallfahrtskapelle. Erbaut zum Ende des 19. Jahrhunderts steht die neugotische Kirche hoch über den Weinlagen am Osthang des Teufelsberges. Der Ausblick an einem Tag wie heute lässt tief durchatmen. Wir sind heute nicht allein unterwegs, es ist Wochenende und wir haben den Eindruck angesichts des nahen Lockdowns sind viele Leute noch für einen letzten Kurztrip angereist, was unser Hotelier uns bestätigt.
Es ist der Blick den ich schon mehrfach beschrieben habe, der unser Panorama nach Norden mit dem Hambacher Schloss und im Süden mit Siebeldingen begrenzt. Unter uns liegen inmitten der Weinlagen die kleinen Orte mit ihren engen Ortsdurchfahrten. Der Horizont, vor dem sich der eine oder andere Ballungsraum entlang des Rheins demarkiert, wird begrenzt von den rechtsrheinischen Mittelgebirgen.
Von der Kapelle aus werden wir die 7. Etappe des Weinsteigs heute nach einer südlichen Umrundung des Teufelsbergs (598m) mit der Ankunft an der Wegkreuzung Dreimärker komplettieren. An der Trifelsblick- Hütte hat man noch einmal einen schönen Blick Richtung Trifels- Land und Annweiler. An der Hütte scheinen die aktuellen Corona- Regeln bei einigen Wanderern noch nicht angekommen zu sein. Von der Wegkreuzung Dreimärker beschreibt der Verbindungsweg zurück zu unserem Auto an der Buschmühle einen nördlichen Bogen um den Lambertskopf (544m).
Vor dem Rückweg nach Siebeldingen wollen wir die letzten Sonnenstrahlen des Tages vom Friedens-(besser Sieges-?) Denkmal auf dem Werderberg bei Edenkoben erleben. Ende des 19. Jahrhunderts nach dem Deutsch- Französischen Krieg von Luitpold von Bayern erbaut, erinnert das Denkmal an den Sieg des Norddeutschen Bundes mit den süddeutschen Staaten über Frankreich im Krieg von 1870-1871. Leider wirft der Schatten der Höhen des Pfälzer- Waldes bereits einen langen Schatten in die Landschaft.
Mit diesem schönen Blick und den Eindrücken auf der Rückfahrt nach Siebeldingen lassen wir es uns am letzten Abend in der Pfalz noch einmal bei Püngelers im „Schneider“ in Dernbach gut gehen. Der Regen am Sonntag erleichtert uns bei der Abreise den Abschied aus unserem „Klein- Italien“ in den Lockdown zu Hause.
Arnd Korbmacher
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