Rundkurs von Lauenstein im Ith / Weserbergland
Der 13,2 Kilometer Rundkurs, den Dorothee im Bereich des nördlichen Ith ausgewählt hat führt uns entlang des Ith-Kammwegs über die höchste Erhebung des 22 Kilometer langen Mittelgebirges, den Lauensteiner Kopf mit 439m Höhe. Der Ith ist der längste Klippenzug Norddeutschlands im südlichen Niedersachsen und schließt sich im Weser-Leine-Bergland nordwestlich an den Hils an. Als Wasserscheide bedient er über seine Zuflüsse nach Westen die Weser und nach Osten Saale und Leine. Die durch Reliefumkehr nach Westen aufgerichtete Schicht aus Jurakalk (Korallenoolith) hat die hohen Dolomit- Zinnen hervorgebracht, die nicht nur geologisch interessant sind.
Es ist der Klettersport, durch den ich den Ith bereits in meiner Jugend kennengelernt habe. In meinem Bericht „35 Jahre im DAV“ habe ich bereits über die Kletter- Ausflüge zum JDAV-Zeltplatz in Holzen im südlichen Ith berichtet. Hier liegen die für den Alpinsport interessantesten Felsformationen, die so weit im Norden der Republik im südlichen Niedersachsen das Herz eines jeden Kletterers höher schlagen lassen. Der Ith war auch mein absolutes Mittelgebirgs- Lieblings- Klettergebiet und das lag nicht nur an dem griffigen Kalkstein. Ich habe schöne Erinnerungen an die Kletter- Wochenenden in den Ith, die oftmals auf die langen Pfingst- Wochenenden fielen um der langen Anfahrt gerecht zu werden.
Beim Einbecker Mai- Bock wurden die gekletterten Routen mit ihren „Schlüsselstellen“ bis in die Nacht diskutiert. Kletterhallen wurden erst später erfunden, es gab für uns nur die Möglichkeit in den Klettergebieten in unseren Mittelgebirgen oder in Steinbrüchen zu klettern. Ein wenig fühlten wir uns an den Felsen im Ith wie die Free- Climbing- Pioniere im Yosemite- Valley in California und träumten hier von kommenden alpinistischen Großtaten. Es war ein erhebender Anblick beim Sichern von den Felsen hinab in die weite Ebene nach Westen zu blicken, wo auch die Kühltürme des AKW- Grohnde seit 1985 in der Landschaft stehen. Zwei Gerüche auf dem Zeltplatz sind mir besonders in Erinnerung geblieben. Unmengen von Bärlauch verströmten einen würzigen Knoblauch- ähnlichen Geruch. Geruch Nummer 2 galt es möglichst zu vermeiden- es war der Geruch, der beim Betreten der Plumps-Klo-Anlage direkt den Hirnstamm befiel. Die Kehrseite des einfachen Lebens.
Wir sind früh losgefahren und erreichen gegen 10 Uhr nach 2,5 Stunden Fahrzeit den Startpunkt unserer Wanderung an der St. Nicolaikirche von Lauenstein. Lauenstein hat seit 1590 Marktrecht, eine Kirche stand hier nachweislich seit 1430. Der Eingang im mittelalterlichen Turm wurde 1513 gotisiert, das Kirchenschiff Mitte des 18. Jahrhunderts neu gebaut. Mit dem alten Amtsgerichtsgebäude und dem Lauensteiner Hof sind noch ein paar historische Häuser um Kirche und Marktplatz erhalten.
Wir verlassen den Ortskern in nördlicher Richtung durch einen kleinen Park und passieren ein weiteres historisches Fachwerk-Gebäude am Rennenberg. Es ist eine der beiden Papiermühlen am Grindelbach, in der seit 1642 Papier geschöpft wurde und die die Jahrhunderte überdauert hat. Im Dachstuhl sind die typischen Gauben zur Papiertrocknung eingebaut. Zuletzt war hier bis 1969 eine Weberei untergebracht- heute ist es eine zum Wohnhaus umgebaute Fachwerk- Perle mit einer hübschen Magnolie im Vorgarten, deren Blüten gerade aufplatzen.
Der Weg führt uns hinaus über einen langen Feldweg in eine grünende Landschaft mit gelben Rapsblüten und weißen Kirsch-, Schlehen und Weißdornblüten. Es ist noch recht frisch, die Temperaturen im ausklingenden April morgens immer noch knapp über Null. Wenn der noch bedeckte Himmel ein paar Sonnenstrahlen in das Blütenmeer schickt leuchten die Farben. In den Kirschblüten tummeln sich die ersten fetten Hummeln.
Bald treten wir über den Jürgensweg in den Naturwald Saubrink/Oberberg ein, einen Mischwald aus Buchen- und Eichenbeständen. Vor allem die mächtigen Eichen sind mit Plaketten als Naturdenkmäler ausgezeichnet. Buschwindröschen und eben Bärlauch begleiten uns am Wegesrand. Langsam gewinnt der Weg an Höhe und bald begegnen wir den ersten Felsen im Wald. Es ist ein Naturwald in dem keine Forstwirtschaft betrieben wird.
Den nördlichsten Punkt des Ith-Kamms erreichen wir bei „Friedas Ruh“ einem felsigen Ort, an dem die Baumwurzeln scheinbar schwer in den Boden eindringen können. Sie liegen frei auf dem Waldboden verteilt und geben dem Ort damit etwas mystisches.
Der Weg wendet sich ab hier in südlicher Richtung. Zunächst ist es noch ein sanfter Anstieg. Auch hier begegnen uns an den Hängen im Wald neben Buschwindröschen und Bärlauch die lila und weißen Blüten des Lerchensporns. Bald schwingt sich der Pfad über einen steilen Treppenweg zwischen den Felsen „Teufelsküche“ und „Fahnenstein“ auf die Höhen des Ith-Kamms. Von einem Aussichtspunkt haben wir noch einmal freie Sicht auf Coppenbrügge bevor wir bald die 400er Höhenlinie am Oberberg (404m) queren.
Hier oben auf dem Kamm-Plateau wachsen die genannten Pflanzen quasi bodendeckend zwischen den Bäumen soweit das Auge reicht und der würzige Bärlauch- Geruch dominiert während der gesamten Tour. Immer wieder bieten sich von den Klippen Tiefblicke in den Wald und in die Ebene. Die Felsformation „Adam und Eva“ lädt mich zum Hand-an-den-Fels-legen ein, ich verspüre Lust noch einmal zum Klettern in den Ith zu fahren.
Der Kammweg klettert von der 400- Metermarke weiter zum höchsten Punkt des Iths an. Wir erreichen den Lauensteiner Kopf auf 439m, auf dem ein Aussichtsturm einen Rundumblick über die Baumwipfel ermöglicht. Über Bisperode hinweg blicken wir nach Westen auf die immer noch dampfenden Kühltürme des AKW-Grohnde an der Weser. Nach der Atomkatastrophe von Fukushima wurde im novellierten Atomgesetz von 2011 der Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022 beschlossen. Derzeit befinden sich noch sechs Meiler am Netz- nach 37 J. Laufzeit soll Grohnde noch in diesem Jahr abgeschaltet werden. Als weltweit einziger Kernkraftwerksblock hat er Anfang des Jahres eine Gesamtstrommenge von 400 Mrd. Kilowattstunden erzeugt.
Chernobyl und Fukushima haben uns gezeigt, dass sowohl Naturgewalten, als auch technisches- oder menschliches Versagen zur Mega- Katastrophe großflächiger radioaktiver Verseuchung unserer begrenzten Ressourcen und Lebensräume führen kann. Wenn sich im dicht besiedelten Europa ein ähnliches Szenario abspielen würde wären die Folgen unabsehbar und zwar für hunderttausende von Jahren, je nach Halbwertszeiten der Spaltprodukte. Wenig beruhigend sind die Kernkraftwerke hinter den deutschen Grenzen, einige davon sind als Pannenreaktoren bekannt.
Wir verlassen den Ith-Kamm und steigen durch den Wald in südöstlicher Richtung ab nach Lauenstein. Hier suchen wir noch die Reste der im 13.Jh. von den Edelherren von Homburg errichteten Burg auf. Es sind wirklich nur letzte Überreste der Anlage, die seit dem 16.Jh. bedeutungslos wurde und im 19.Jh. wegen Verfalls abgerissen wurde. Im Dreißigjährigen Krieg entstanden starke Beschädigungen, 1625 durch den Einfall kaiserlicher Truppen unter Tilly, 1637 kamen schwedische Truppen, 1640 wurde Lauenstein durch Weimarer Truppen geplündert. Ein Mauer- oder Turmrest mit einer Schießscharte im Wald scheint noch ein Relikt der Burg zu sein.
Das letzte Wegstück führt uns vom Burgberg südlich von Lauenstein mit einem schönen Blick auf den Ortskern und die nach Nordosten anschließende Ebene hinunter zu unserem Auto. Bei der Rückfahrt fahren wir noch einmal am Zeltplatz bei Holzen vorbei, der derzeit Corona-bedingt geschlossen ist. Dafür ist der Parkplatz am Zugang zu den Lüerdisser Klippen aber gut gefüllt. Die 28 Klippen im Wald waren bisher alles was ich vom Ith kannte. Heute haben wir uns den nördlichen Teil erwandert und werden in der Region sicher noch einiges entdecken können.
Arnd Korbmacher
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