Eggeweg 2024
Ende 2024 starten wir mit unseren Freunden Moni und Bernhard das Wanderprojekt „Eggeweg“. Damit schließen wir an den Hermannsweg an, der mich mit Dorothee von Mai 2021 bis September 2023 an zahlreichen Wochenenden von Rheine in Westfalen entlang des Teutoburger Waldes bis nach Leopoldstal südlich von Detmold geführt hat. Wir haben uns auf den 162 Kilometern sehr viel Zeit gelassen, um die kulturhistorisch interessante Landschaft zu Füßen des „Osnigs“ ausgiebig zu erkunden. Zur Corona- Zeit haben wir die Strecken auf dem Hermannsweg als Rundwanderungen geplant und dadurch die tatsächlich gegangene Wegstrecke auf 327 Kilometer verlängert.
Geologisch und geografisch gibt es keine scharfe Abgrenzung des Eggegebirges zum Teutoburgerwald. Der Gebirgsrücken des Eggegebirges verbindet in Nord-Süd-Ausrichtung den Teutoburger Wald mit dem Rothaargebirge im Süden. Als südliche Begrenzung des Niedersächsischen Berglandes umschließt der Teutoburger Wald mit dem Eggegebirge die Westfälische Bucht mit dem Münsterland. Der Eggeweg ist ein 70 Kilometer langer Kammweg, der als ehemaliger Grenz- und Höhenweg in Richtung Süden ins Sauerland nach Ober-Marsberg im Diemeltal führt. Der Qualitätswanderweg überschneidet sich von den Externsteinen bis zum lippischen Velmerstot 441m mit dem Hermannsweg.
Es ist Mitte November und die Temperaturen liegen knapp über dem Gefrierpunkt, etwas Schnee hat Mitte der Woche zu Hause bereits zu chaotischen Verkehrsverhältnissen geführt. Das Wochenende ist allerdings weitestgehend niederschlagsfrei gemeldet und verspricht ein schönes Wandererlebnis. Mit zwei für die Jahreszeit gemäßigten Etappen von etwa 13 Kilometern hat Dorothee den ersten Teil dieser Unternehmung bis zu einem Wanderparkplatz südwestlich von Bad Driburg geplant. Über 600 Meter im Aufstieg und 500 im Abstieg zeigt das Höhenprofil am Ende des Wochenendes an. Das Nachtquartier haben wir in einem Landgasthof südlich von Berlebeck gebucht.
Treffpunkt am Samstagvormittag ist ein Wanderparkplatz an der L828, der Altenbekener Straße bei Kempen. Hier, am heutigen Tagesziel lassen wir Monis Auto zurück und fahren zu den Externsteinen, wo wir unser Auto abstellen. Zu dieser Jahreszeit ist hier am Morgen alles wie ausgestorben. Ende September haben wir zuletzt mit Anne und Jan die Aussichtsbalkone in den Felsen über den spektakulären Treppenweg auf die Externsteine aufgesucht. Jetzt ist hier alles verrammelt, möglicherweise auch wegen Glatteisgefahr auf den steilen Felstreppen im Winter.
Beim heutigen Aufstieg laufen wir auf eisigem Untergrund mit leichter Schneeauflage durch den Wald und erreichen die Silbermühle am Anfang des Silberbachtals. Der lange Anstieg von 200 Höhenmetern führt aus dem Talgrund hinauf zur höchsten Erhebung im nördlichen Eggegebirge, dem preußischen Velmerstot auf 468 Meter. Wir folgen dem Silberbach mit einer Bachquerung eine ganze Weile bis zum Abzweig des Schlussanstiegs, der uns in einer ausladenden Schleife auf den nördlichen Bergrücken des mit 27 Metern niedrigeren lippischen Velmerstot 441m führt. Der 1,60 Meter hohe Gipfel-Obelisk trägt die Inschrift:
„Komm‘ gern zu mir, doch schone mich, denn alles hier geschah‘ für dich“
Auf der Höhe befinden wir uns nun in einer Winterlandschaft, durch die wir uns in südlicher Richtung dem preußischen Velmerstot nähern. Zwischen beiden Gipfeln verlief die Grenze zwischen den Fürstentümern Lippe und Preußen. Das Gipfelerlebnis erhält durch den Blick in die grüne Ebene eine Aufwertung. Leider ist der hölzerne Aussichtsturm hier oben versperrt, denn er wurde durch ein Feuer in seiner Grundsubstanz erheblich beschädigt.
Wir hören von einem einheimischen Wanderer, dass ein geistig verwirrter Mensch versucht hat sich mitsamt dem Holzturm abzufackeln. Der schwer beschädigte Turm ist wohl nicht mehr zu retten- sehr schade! Von 1963 bis 1994 war der Gipfelbereich militärisches Sperrgebiet. Heute präsentiert sich die Heidelandschaft zwischen den Erhebungen wieder friedlich und ist mit Neokom-Sandsteinfelsen durchsetzt. Der besonders harte Sandstein aus der Unterkreidezeit findet sich an vielen Gebäuden zwischen Paderborn und Münster, aber auch im Kölner Dom und im Deutschen Reichstag in Berlin wieder.
In einem Unterstand trinken wir Tee und essen unser Mitgebrachtes. Ich habe bei unseren Unternehmungen immer wieder über die toten Fichtenbestände in der Landschaft berichtet, die auch hier einen deprimierenden Eindruck vermitteln. Zunehmende Trockenheit und Borkenkäferbefall liegen der Verwüstung dieser Wälder zu Grunde. Gerade eben ist die UN-Klimakonferenz in Aserbaidschan zu Ende gegangen. Ambitionierte Klimaziele wurden dabei nicht beschlossen, vielmehr war es ein Ringen um Gelder, was allein schon sehr viel über den Umgang mit dem Thema aussagt. Ein freiwilliger Verzicht liegt eben nicht in der Natur des Menschen, schon gar nicht wenn man sich ein reines Gewissen erkaufen kann.
Auf dem Eggegrat passieren wir einen Gedenkstein zu Ehren des Franziskanerpaters Dr. Beda Kleinschmidt (1867-1932). Der Kunsthistoriker, Wissenschaftler und Schriftsteller aus Brakel genoss in Deutschland hohes Ansehen und engagierte sich für den Eggegebirgsverein. Der Himmel hat sich im Laufe des Tages zunehmend bewölkt und nach einigen Kilometern mit Weitblick auf die mit Schnee angepuderte Landschaft erreichen wir den Parkplatz an der L828. An den Externsteinen vorbei erreichen wir am Nachmittag den Landgasthof mit dem schönen Namen „Hirschsprung“, wo wir nach einer heißen Dusche bei einem „Nickerchen“ die Beine ausruhen.
Der Chef des Hauses hat uns bei der Ankunft bereits in seiner Kochuniform empfangen. Beim Abendessen enttäuscht er uns nicht, wir bekommen alle etwas Gutes auf den Teller. Ich habe mich für die „Gans vom Hans“ entschieden, klassisch mit Rotkohl und Klößen ist es ein Gericht, das mit einem Glas Syrah zu einer runden Sache wird. Auch Doros Schweinshaxe ist prachtvoll auf den Teller gebracht. Der gemütliche Gastraum ist gefüllt, denn offensichtlich gefällt nicht nur uns die gute Küche von Hans. Mitte August waren wir mit unseren Freunden zuletzt unterwegs, als wir den Urwaldsteig am Edersee abgeschlossen haben. So haben wir genügend Gesprächsstoff auch für ein zweites Glas Wein. Wir schlafen gut in unserer „Suhle“, wie uns der Name des Nachtlagers an der Zimmertüre verrät.
Der Sonntag beginnt sonnig und lockt nach einem guten und reichhaltigen Frühstück nach draußen. Doch was ist passiert?- Die Temperatur hat über Nacht einen Sprung von über 10 Grad auf der Celsius-Skala hingelegt. Die Wetter- Plattformen sprechen von „Bomben-Zyklon“ oder auch von „Bombogenese“, so nennt man Stürme mit einem Druckabfall von mehr als 24 Hektopascal über 24 Stunden. Orkan Sigrid hat sich mit einem Sturz von über 30 hPa über den britischen Inseln offensichtlich zu einem Bombenzyklon entwickelt, der sich dort mit Sturm und Schneefall austobt. Über Deutschland bekommen wir ab Sonntag eine herbstliche Hitzewelle, da das Tiefdruckgebiet tropische Luftmassen aus Nordafrika zu uns pumpt.
Wir können heute Mütze, Handschuhe und eine Kleiderschicht weglassen. Was auf der Höhe gestern noch als Schnee unter den Sohlen geknirscht hat ist heute Matsche. Im Aufstieg hat sich der Weg zu einem Bach gewandelt und auf der Höhe sind Pfützen zu kleinen Seen herangewachsen. So arbeiten wir uns undulierend um die 400 Höhenmeter über den matschigen Höhenweg mit Marschrichtung Süden. Im Westen sehen wir das schöne Eisenbahnviadukt von Altenbeken. Auch hier finden sich die seit dem 16. Jahrhundert bis zum zweiten Weltkrieg im alten Steinbruch Silberort am Osthang des preußischen Velmerstot gebrochenen Sandsteine als Baumaterial wieder.
Ein Gedenkstein weist am Rehberg auf den Absturz eines Transportflugzeugs am 13. April 1945 hin. Die Dakota C-45 stürzte hier bei schlechten Sichtverhältnissen auf ihrem Flug von Dreux nach Hildesheim nach Baumberührung ab. Von den 6 Personen an Bord überlebte nur der Funker Joseph L. Boucher.
Eine Station der Königlich-Preußischen-Optischen-Telegrafenlinie von Berlin nach Koblenz befand sich hier auf dem Rehberg. Von 1833 bis 1849 gestattete die von Carl Pistor entwickelte Signaltechnik die Erzeugung von 4095 verschiedenen Zeichen. Per Fernrohr wurden die durch das Land weitergeleiteten Signale gelesen. Ein einziges Signal brauchte Mitte des 19. Jahrhunderts von Berlin nach Koblenz etwa 7,5 Minuten, eine Depesche von 30 Worten benötigte 1,5 Stunden. Wegen des großen technischen Aufwands bei maximaler Übertragung von 6 Telegrammen pro Tag waren die Telegrafen ausschließlich der Staatskorrespondenz vorbehalten. Der Antrag der Berliner Kaufmannschaft zur Nutzung der Anlage für die Übertragung von Börsenkursen und Handelsnachrichten wurde 1835 abgelehnt. Heute entscheiden Mikrosekunden über erfolgreiche Deals an der Börse.
Einen windgeschützten Platz finden wir für unsere Mittagspause an der Knochenhütte. Der Blick nach Osten reicht über Pferdekoppeln weit in die Landschaft um Bad Driburg Richtung Solling. Nur hier und da sieht man ein paar verstreute Höfe. Auch auf unserem Weg sind wir an diesem Wochenende nur wenigen Gleichgesinnten begegnet. Oberhalb von Bad Driburg erreichen wir die Schutzhütte „Driburger Hütte“. Eine Tafel weist auf die Ruinen einer ehemaligen sächsischen Höhenburg aus dem 8.-9. Jh. hin. Die Fluchtburg beherbergte ein Benediktinerinnen- Kloster und wurde 1189 zur Ritterburg ausgebaut und nach der Zerstörung 1444 nicht wieder aufgebaut. 1904 entstand neben der Ruine der sogenannte Kaiser-Karl-Turm. Den Besuch der am Rand von Bad Driburg gelegenen Anlage werden wir nachholen.
Mit einem letzten schönen Tiefblick auf Bad Driburg erreichen wir unser Auto, das wir am Morgen auf einem Waldparkplatz südwestlich der Ortschaft abgestellt haben. Wir bringen unsere Freunde noch zu ihrem Auto und verabreden uns für eine Fortsetzung des Eggewegs Anfang Februar. Bei regem Ausflugsverkehr schwimmen wir in einer endlosen Blechlawine über die A44 und A1 zurück nach Hause.
A. Korbmacher
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